Indiens Umweltminister Jairam Ramesh: Schneller Umdenker in Lackschuhen

Er ist kompetent, eloquent und macht auch auf Elefanten eine gute Figur: Umweltminister Jairam Ramesh ist ein Star in Indiens Politik. Dabei ist er alles andere als grün.

Immer elegant, immer eloquent: Indiens Umweltminister Jairam Ramesh. Bild: reuters

DELHI taz | Für deutsche Verhältnisse ist er etwas klein, für indische gerade richtig. Seine langen, frisch frisierten Haare sind Kennzeichen eines Intellektuellen. Sie sind ungefärbt und schon etwas grau. Der 56-Jährige wirkt trotzdem jung, das macht sein schelmisches Lächeln. Durch die lange weiße Kurta scheint nackte Haut, er hat einen Bauch. Aber die Kurta umhüllt ihn elegant. Unter ihr trägt er enge weiße Stoffhosen und schwarze Lackschuhe.

Im Westen ist Jairam Ramesh bekannt als der Mann, der an der Seite Chinas und der USA das Klimaabkommen von Kopenhagen scheitern ließ. Er ist Indiens Umweltminister. Doch für den indischen Blick ist Ramesh zunächst einmal ein Mann von Eleganz, ein Schnelldenker und natürlich: ein Brahmane, Mitglied der höchsten Kaste. Wer in Indien Englisch spricht - die Bildungselite, zehn Prozent der Bevölkerung -, kennt den Namen Jairam Ramesh.

Er hat 2004 als Wahlkampfmanager den damals überraschenden Sieg der Kongresspartei herbeigeführt. Er ist ein Star der indischen Politik. Er hat es vom namenlosen Absolventen des Massachusetts Institute of Technology mit Charme und Intelligenz bis in den innersten Machtzirkel der regierenden Kongresspartei-Chefin Sonia Gandhi gebracht. Das ist in diesen Zeiten, in denen Indien zur Weltmacht aufsteigt, schon eine Menge. Andererseits: Attraktive Politiker wie den ermordeten Rajiv Gandhi hatte Indien schon viele. Jairam Ramesh aber ist der erste Grüne unter ihnen.

Im mexikanischen Cancún findet vom 29. November bis 10. Dezember der nächste UN-Klimagipfel statt. Nach dem Scheitern des Treffens im letzten Jahr in Kopenhagen wird nicht mehr damit gerechnet, dass in Cancún ein umfassendes Klimaabkommen verabschiedet wird. In Einzelfragen könnte es aber Fortschritte geben.

Indien hat in Kopenhagen die harte Haltung Chinas gegenüber den Industriestaaten unterstützt. Auch für Cancún kündigt Umweltminister Jairam Ramesh eine gemeinsame Position der großen Schwellenländer an: Ohne Neuauflage des Kioto-Abkommens, das allein die Industriestaaten zu CO2-Reduktionen verpflichtet, werde es kein Ergebnis geben.

Geld könnte ein weiterer Streitpunkt in Cancún sein. Die Industriestaaten hatten in Kopenhagen finanzielle Hilfe für Entwicklungsländer zugesagt. Doch die langfristigen Versprechen sind noch nicht konkretisiert worden. Und kurzfristige Zusagen, etwa an Bangladesh oder die Malediven, seien nicht erfüllt worden, obwohl die daran geknüpften Bedingungen von China und Indien erfüllt worden seien, kritisiert Ramesh. (mkr, gbl)

Er trägt an diesem Nachmittag drei Dinge in seinen Händen: ein weißes Nokia-Handy, ein schwarzes Brillenetui und eine dunkelbraune Sonnenbrille. Die Sonnenbrille muss sein. Er ist ja Umweltminister und deshalb oft draußen. Da braucht man in Indien fast immer eine Sonnenbrille. Zuletzt trug Ramesh sie neben zwei Förstern auf dem Rücken eines Elefanten, als er in den abgelegen Wäldern Bengalens eine Bahnstrecke besuchte. Auf der Strecke hatte ein Güterzug sieben Elefanten getötet. "Ich fühle eine große Agonie. Das anzusehen ist fürchterlich", sagte Ramesh. Ganz TV-Indien litt mit ihm beim Anblick der zerquetschten Dickhäuter.

Kurz zuvor aber hatte Ramesh die indischen Elefanten zum "nationalen Erbe" aufgewertet, damit ihnen ähnlicher Schutz wie dem indischen Tiger zusteht. Er kündigte Gespräche mit der Eisenbahnministerin an, die die Geschwindigkeit ihrer Züge in den Elefantenwäldern Bengalens von 70 auf 30 Stundenkilometern reduzieren solle. Ramesh überzeugte mal wieder.

Nun geht Ramesh schon wieder einem Ministerkollegen auf die Nerven. Er ist auf Besuch beim indischen Luftfahrtministerium in Neu-Delhi. Neben ihm steht der Hausherr. Der Ministerkollege will in Bombay, Indiens größter Stadt, einen neuen Flughafen bauen lassen. Den alten kennt die ganze Welt aus "Slumdog Millionaire", dem preisgekrönten Film, der mit einem Anflug auf die Slums von Bombay beginnt. Die Slums liegen dort rund um den alten Flughafen. Also braucht Indien für sein Selbst- und Außenbild nichts dringender als einen schönen neuen Flughafen in Bombay.

Doch Jairam Ramesh widerspricht. Er tut das, wie fast immer, in aller Öffentlichkeit: vor mindestens dreißig Fernsehkameras und einer Hundertschaft heimischer Journalisten, die schon den ganzen Nachmittag vor dem Luftfahrtministerium auf ihn warten. "Früher hätte in diesem Land kein Hahn nach den Umweltauflagen für einen neuen Flughafen gekräht. Er ist der Erste, der solche Auflagen ernst nimmt", sagt Niha Keshri, eine Fernsehreporterin des Senders TV9, die Ramesh seit seinem Amtsantritt als Umweltminister im Juni 2009 begleitet.

Dabei ist Ramesh eigentlich alles andere als grün. Er ist Ökonom. Vor seinem jetzigen Amt diente er als zweiter Mann im wichtigen Industrie- und Handelsministerium. Er ließ neue Kraftwerke bauen. "Er stand früher auf der anderen Seite", sagt der Umweltschützer Chandra Bhushan vom unabhängigen Zentrum für Wissenschaft und Umwelt über Ramesh. Doch die Betonung liegt auf "früher". Denn Ramesh ist nicht nur Schnelldenker, sondern auch Schnelllerner. Er ist keiner, der nur vor den Fernsehkameras glänzt. Er hat an sich als Ökonom den Anspruch, die Dinge zu verstehen, von denen er redet. Und so bescheinigen ihm viele aus der grünen, NGO-dominierten Szene in Indien, dass er sich, beginnend bei Klimapolitik und Tierschutz, bis in die vielen sensiblen Genehmigungsverfahren im Zuge des indischen Wirtschaftsbooms akribisch eingearbeitet hat.

Das gilt auch bezüglich der Bauerlaubnis für den Bombayer Flughafen. Hier will Ramesh einen Mangrovenwald und zwei Flussläufe vor der Zerstörung retten. Er beschreibt den Journalisten vor dem Luftfahrtministerium die Bedeutung des Mangrovenwaldes, welche seltenen Pflanzen dort anzutreffen sind. Er nennt die Flussläufe, die bedroht sind. Da fragt ein Journalist nach. Ramesh aber ist sofort bereit, dem Journalisten die Namen der Flüsse auf Englisch und Hindi zu buchstabieren. Eine kleine Geste, die aber zeigt, wie viel Spaß es Ramesh macht, seine Dossiers zu beherrschen und die Medien das Einmaleins des Umweltschutzes in Indien zu lehren.

Er nimmt sich reichlich Zeit für Antworten und will am Ende auch den deutschen Reporter beruhigen, dass er im Prinzip nicht gegen den Flughafen sei, der eines Tages "in Zusammenarbeit mit den Deutschen" gebaut werde. Aber bei seinen Umweltauflagen für den Bau bleibt Ramesh an diesem Tag hart. Sie seien bisher nur zu "60 Prozent erfüllt", sagt er. Seit eineinhalb Jahren pokert er schon mit dem Luftfahrtminister. Ende November aber willigt er endlich in den Flughafenbau ein - mit 32 vertraglich verbrieften Auflagen.

Dabei hat Ramesh die indische Umweltpolitik nicht neu verfasst. "Die umweltpolitischen Richtlinien haben sich unter Ramesh nicht verändert", sagt der Umweltlobbyist Bhushan. Doch die Fernsehreporterin Keshri ist trotzdem überzeugt, dass der Minister gerade neue, grüne Spielregeln für ganz Indien erfindet: "In Indien kann man nichts ohne Spektakel verändern", sagt Keshri.

Jedenfalls handelt Ramesh respektlos. Als Vertrauter Sonia Gandhis kann er sich das leisten. "Sonia erhebt die Umwelt zur neuen nationalen Priorität", titelt Anfang November die Tageszeitung Times of India auf Seite 18 über eine Parteirede Gandhis. Die Titelseite vom selben Tag aber beherrscht Ramesh: Er hat gerade die Baugenehmigung für ein neues Stahlwerk des südkoreanischen Stahlgigangten Posco im Bundesstaat Orissa mit einem negativen Expertengutachten aus seinem Ministerium infrage stellen lassen. Es geht bei dem Werk um die größte ausländische Direktinvesition, die jemals in Indien getätigt wurde. Der Premierminister hatte seinem südkoreanischen Kollegen gerade versichert, wie wichtig ihm das Projekt sei. Doch Ramesh langt dennoch zu. Das geht nur, weil Sonia Gandhi hinter ihm steht und auch der Premierminister ihr gehorchen muss.

Vor Rameshs Zeit wurde die Verantwortung für die internationalen Klimaschutzverhandlungen noch zwischen Umwelt- und Außenministerium geteilt. Die indischen Chefunterhändler waren Diplomaten. Dann kam Ramesh, und die Diplomaten mussten zur Seite treten. Auch deshalb waren viele Europäer über Indiens Auftreten auf der Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen so überrascht.

Anders als der größte CO2-Emittent der Welt, China, wäre Indien von den vorgeschlagenen Vereinbarungen kaum betroffen gewesen, weil es bisher wenig CO2 produziert. Dennoch stellte sich Ramesh in Kopenhagen an die Seite Chinas. Ihm ging es ums Prinzip. Er wollte sich keine Vorschriften von den Industrieländern machen lassen.

Aber ihm ging es auch um neue Lösungen: Er ist überzeugt, dass China und Indien, die beiden neuen Wachstumswirtschaften, diese Lösungen gemeinsam finden müssen. Deshalb fuhr er im Mai nach Peking und beschwor dort den "Geist von Kopenhagen". Zuvor hatte er fast parallel mit Peking weitreichende Selbstauflagen zu mehr Energieeffizienz und die Einführung erneuerbarer Energien bekannt gegeben. Indien und China, so will es Ramesh, bekennen sich aus eigener Kraft zum Klimaschutz. Nicht auf Kommando aus Europa.

Der Hyperminister Ramesh sei Indiens Antwort auf den internationalen Druck vor Kopenhagen im letzten Jahr, sagt der NGO-Mann Bhushan. Er ist skeptisch, dass ein Mann im Alleingang Indien grüner machen kann. "Ist die Luft unter Ramesh besser, sind die Flüsse sauberer geworden?", fragt Bhushan und schüttelt den Kopf.

Doch einer der bedeutendsten Wissenschaftler des Landes gibt Ramesh ein gutes Zeugnis: "Er studiert die Dinge gründlich und trifft seine Entscheidungen mit technischem Verstand", sagt Madhavan Nair, der berühmteste Raumfahrtforscher Indiens. Nair hat gerade eine neue, dicke Studie über Umweltzerstörung in Indien herausgegeben. Zur Vorstellung der Studie im Delhier Stadtteil Nagar wird Ramesh als Hauptredner erwartet.

Doch er kommt nicht. Er lässt nicht einmal ausrichten, warum. "Vielleicht irgendetwas Dringendes", rätselt Nair. Das ist unschwer vorstellbar. Jairam Ramesh hat die Aufgabe, Indien im Top-down-Verfahren grüner zu machen. Ob Sisyphus oder nicht - er hat viel zu tun. Toll, wie er sich dabei nicht schmutzig macht oder grantig wird. Jairam Ramesh trägt jeden Tag seine elegante Kurta und sein schelmisches Lächeln.

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