Attentat in Frankfurt: Arid U. soll aus US-Hass getötet haben
Die Hinweise auf einen islamistischen Anschlag verdichten sich. Bei Facebook hatte der geständige Todesschütze Kontakte zu radikalen Predigern - und Links zu Dschihadhymnen.
BERLIN taz | Viel deutet darauf hin, dass der 21-jährige Arid U. aus islamistischen Motiven die beiden US-Soldaten in Frankfurt erschossen und zwei weitere schwer verletzt hat. Ein erster Hinweis war schon am Mittwochabend kolportiert worden: "Allahu akbar", soll Arid U. laut offiziell nicht bestätigten Zeugenangaben gerufen haben, bevor er abdrückte - Gott ist größer.
Am Donnerstag verdichteten sich die Hinweise auf ein islamistisches Motiv immer stärker. So betrieb der inzwischen geständige Arid U. im sozialen Netzwerk Facebook unter dem Namen "Abu Reyyan" ein Profil, das in Sicherheitskreisen für authentisch gehalten wurde und inzwischen offline ist. Dort hatte Arid U. unter anderem Links zu einer Dschihadhymne gepostet. "Meine Waffe ist jederzeit bereit", heißt es dort. "Oh ihr Beängstigten, kommt, greift mich an."
Auch zumindest virtuelle Kontakte zu mehreren radikalen salafistischen Predigern in Deutschland gehen aus dem Facebook-Profil hervor, darunter zu der Gruppe "DawaFFM" um einen Frankfurter Prediger mit marokkanischen Wurzeln, der sich Sheikh Abdellatif nennt. Erst vor wenigen Tagen fand bei ihm eine Durchsuchung statt.
Eines der Idole von Arid U. scheint laut seinem Internetprofil zudem der ehemalige Berliner Gangsterrapper Deso Dogg zu sein, der inzwischen als "Abou Maleeq" in Videos den bewaffneten Kampf verherrlicht.
Der Attentäter hatte am Mittwochnachmittag am Frankfurter Flughafen einen Bus des US-Militärs angegriffen und dabei den Fahrer und einen weiteren amerikanischen Soldaten getötet. Die Militärs befanden sich auf dem Weg nach Ramstein, von dort sollten sie nach Afghanistan in den Einsatz fliegen.
Am Donnerstag hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen in dem Fall übernommen, nachdem zunächst allein die Frankfurter Behörden ermittelt hatten. "Aufgrund der Tatumstände besteht der Verdacht, dass es sich bei dem Attentat um eine islamistisch motivierte Tat handelt", teilte die Bundesanwaltschaft mit. Details wollte die Behörde aber erst am Freitag berichten.
Zuvor hatten Polizisten im Frankfurter Stadtteil Sossenheim die Wohnung des Todesschützen durchsucht, der in Mitrovica im Kosovo geboren wurde und 1991 nach Deutschland gekommen war.
Nach taz-Informationen gehen die Ermittler derzeit von einem fanatisierten Einzeltäter aus, der nicht in dschihadistische Netzwerke oder gar Terrorzellen eingebunden war und sich möglicherweise im Blitztempo über das Internet radikalisiert hat. Arid U. war den Sicherheitsbehörden zuvor nicht aufgefallen und tauchte in keiner ihrer Islamistendateien auf.
"Lone Wolves" nennen Dschihad-Experten solche Täter. Einsame Wölfe, deren Radikalisierung nur sehr schwer zu erkennen ist - und deren Taten sich kaum verhindern lassen. "Das ist ein Attentat, das aus dem Nichts kommt", sagte der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) am Donnerstag.
Arid U. hat seine Tat inzwischen gestanden, wie Landesinnenminister Rhein berichtete. In einer ersten Vernehmung soll der 21-Jährige nach taz-Informationen zudem als Motiv Hass auf US-Soldaten angegeben haben. Er habe Videos über angebliche Gräueltaten amerikanischer Soldaten gesehen.
Sollten sich die bisherigen Hinweise bestätigen, wäre die Frankfurter Bluttat das erste islamistische Attentat in Deutschland. Größere Anschläge von Islamisten waren bisher immer vereitelt worden, so etwa der versuchte Anschlag mit Kofferbomben in Regionalzügen im Sommer 2006 oder der vereitelte Anschlag der Sauerland-Gruppe im Herbst 2007.
Dass Generalbundesanwältin Monika Harms den Fall nun rasch an sich gerissen hat, ist auch als Signal an die USA zu verstehen, wie ernst man die tödlichen Schüsse von Frankfurt nimmt.
In dieselbe Richtung gehen auch Äußerungen des neuen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), der am Donnerstagmorgen sein Amt übernahm. Die Tat sei besonders schmerzlich, weil ein enger Verbündeter auf deutschem Boden getroffen worden sei, sagte er bei seinem ersten Auftritt vor der Hauptstadtpresse am Mittag. Er verurteile den Anschlag "aufs Schärfste".
Erst wenige Stunden im Amt, hat der CSU-Mann ein Thema: die Bedrohung durch den gewaltbereiten Islamismus.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott