Massaker im Westen der Elfenbeinküste: "Ähnlich wie Völkermord"

Plünderungen, gezielte Hinrichtungen und Hunderte Tote: In der Stadt Duékoué im Westen der Elfenbeinküste ist es zu Massakern gekommen. Was genau ist passiert?

Streitkräfte des gewählten ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara. Die Mehrheit der Toten in der Stadt Duékoué geht offenbar auf ihr Konto. Bild: reuters

Waren es 330 Tote, wie die UN-Mission in der Elfenbeinküste (Unoci) in einer vorläufigen Bilanz errechnet? Waren es über 800, wie das Internationale Rote Kreuz (IKRK) erklärt? Auf jeden Fall ist die Stadt Duékoué im äußersten Westen der Elfenbeinküste vor einer Woche, zu Beginn des Blitzvorstoßes der Streitkräfte des gewählten ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara aus dem Norden des Landes bis nach Abidjan, Schauplatz von Massakern gewesen. Die Unoci spricht von "Kriegsverbrechen" und verspricht eine Untersuchung. Und die Ouattara-Armee FRCI (Republikanische Streitkräfte der Elfenbeinküste), die inzwischen das ganze Land kontrolliert und nur noch in Abidjan gegen verbliebene Anhänger des vorherigen Präsidenten Laurent Gbagbo kämpft, hat ihr erstes großes Problem: Die Mehrheit der Toten geht offenbar auf ihr Konto.

Duékoué war die erste größere Stadt im Gbagbo-kontrollierten Süden der Elfenbeinküste, die an die Ouattara-Armee FRCI fiel, nachdem sie im März zunächst schleichend, dann immer deutlicher begann, aus dem Norden des Landes über die seit 2003 geltende Waffenstillstandslinie vorzurücken. Die Einnahme von Duékoué am Morgen des 29. März war das Signal, dass es bei der FRCI-Offensive nicht mehr nur um lokale Scharmützel ging. Die mehrere zehntausend Einwohner zählende Stadt wurde deswegen besonders heftig von den Gbagbo-Streitkräften verteidigt, und die Ouattara-Truppen mussten hier besonders gewaltsam vorgehen, um die Kontrolle zu erlangen. Aber danach leisteten Gbagbos Soldaten keinen Widerstand mehr gegen Ouattaras Armee, bis es schließlich zum finalen Showdown in Abidjan kam.

In Duékoué standen sich nicht einfach zwei Armeen gegenüber, sondern die Volksgruppen der Region. Duékoué liegt nahe der Grenze zu Liberia, und in den Bergwäldern im Westen der Elfenbeinküste ist der ivorische Bürgerkrieg seit 2002 dem des Nachbarlandes sehr ähnlich gewesen, mit mystisch angehauchten Milizen, Pogromen und ethnischen Vertreibungen. In der mehrere zehntausend Einwohner zählenden Hauptstadt des Bezirks Moyen-Cavally sammelte sich die Gbagbo-treue "patriotische" Miliz FLGO (Befreiungsfront des Großen Westens), die sich vor allem aus dem lokalen Guéré-Volk rekrutierte. Die Guéré-Kämpfer sahen die aus anderen Landesteilen eingewanderten Kakaoplantagenbesitzer der Region samt ihren Gastarbeitern aus anderen westafrikanischen Ländern als Fremde, die den lokalen Bauern das Land wegnehmen. Die FLGO unter dem traditionellen Guéré-Führer Maho Gloféi operierte als ethnische Miliz, die zu Kriegsbeginn mit diskreter französischer Unterstützung das westivorische Kakaogebiet vor den Rebellen aus dem Norden der Elfenbeinküste verteidigte, indem sie Angehörige anderer Volksgruppen unter Generalverdacht stellte.

Bewaffnet mit Gewehren und Macheten

Die FLGO-Milizionäre hatten ihre Hochburg im Stadtteil Carrefour; ihre Feinde, vor allem Malinke und Westafrikaner, lebten im Stadtteil Kokoma. Bei den Wahlen vom November 2010, bei denen Gbagbo seine Niederlage gegen Ouattara nicht anerkannte und in deren Folge massive politische Gewalt neu ausbrach, war Duékoué ziemlich genau gespalten, und bereits zum Jahreswechsel 2010/11 gab es in der Stadt schwere Kämpfe mit Dutzenden Toten, als Guéré-Milizionäre eine Händlerin des nordivorischen Malinke-Volkes töteten und sich daraufhin eine Spirale der Gewalt hochschaukelte.

Als ab etwa dem 20. März die nordivorischen Rebellen, nunmehr Teil von Ouattaras Armee FRCI, im Gebiet zwischen Duékoué und Liberia vorzurücken begannen, bauten die Gbagbo-treuen Milizionäre mit Verstärkung aus Liberia Duékoué zur Frontstadt aus. "Duékoué kann nicht fallen, das ist nicht möglich, das ist nicht einmal denkbar", ließ sich noch am 29. März der lokale Gbagbo-Armeekommandant Célestin Koffi in der Abidjaner Zeitung Nord-Sud zitieren. In den Tagen zuvor hatten FLGO-Milizionäre bereits massive Übergriffe begangen. Sie errichteten Straßensperren, an denen sie Geld forderten, plünderten das Lager des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in der Stadt, stahlen Fahrzeuge von "Ärzte ohne Grenzen" und zündeten Häuser von Nord- und Zentralivorern an.

Aus dem nahen Dorf Bedi-Gouzan meldete "Human Rights Watch" ein Massaker an mindestens 27 Einwanderern aus Mali durch die lokalen Milizen bereits am 22. März; die Angreifer seien mit automatischen Gewehren, Raketenwerfern und Macheten bewaffnet gewesen, hieß es. In Duékoué flohen in diesem Zeitraum Tausende von Menschen, zumeist westafrikanische Migranten, vor den liberianischen Killern auf das Gelände der katholischen Mission. Die Zahl der Flüchtlinge dort sollte in den Kriegstagen auf 40.000 steigen.

Häuser angezündet und ausgeplündert

Im Morgengrauen des 28. März, ein Montag, rückten FRCI-Einheiten unter dem kriegserfahrenen Rebellenkommandanten Lossani Fofana in Duékoué ein. Sie stießen an mehreren Fronten gleichzeitig vor, nahmen die von ihnen als "Söldner und Milizionäre" bezeichneten Gbagbo-Kämpfer in die Zange. Es habe viele Opfer gegeben, berichteten Ouattara-treue Zeitungen am nächsten Tag. Die Guéré-Milizionäre wüteten im Gegenzug im Migrantenviertel Kokoma. Dort wurde der lokale Imam getötet, Häuser angezündet und ausgeplündert. Die Gewalt dauerte den ganzen Tag. Am Morgen des 29. März übernahmen die FRCI-Einheiten die komplette Kontrolle über die Stadt, die Gbagbo-Kämpfer und Milizen ergriffen die Flucht.

Die Präfektur, die Unterpräfektur, die Steuerbehörde, die Stadtkasse und die Häuser der Gbagbo-Wahlkampfleitung in Duékoué seien von den "neuen Herren" geplündert worden, berichtete zwei Tage später die Zeitung Fraternité-Matin in Abidjan. Wenn man den jüngsten Berichten von Menschenrechtsexperten glauben darf, war das noch das Geringste. Die Ouattara-Kämpfer besetzten das FLGO-Milizenquartier "Colombo" und separierten die Frauen und Kinder von den Männern, dann wurden die Männer beiseitegeführt und hingerichtet, so berichtet jetzt die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission (Unoci) unter Berufung auf "vorläufige" Berichte. Man habe 130 Leichen in zwei Massengräbern entdeckt. Weitere 200 Tote seien von den Straßen eingesammelt worden. So kommt die Unoci auf 330 Menschen, die zwischen Montag und Mittwoch, also dem 28. und 30. März, in Duékoué getötet worden seien; rund 100 davon gingen laut UN auf das Konto der Gbagbo-Milizen, der Rest auf das Konto der Ouattara-Armee FRCI.

Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) kommt nach dem Besuch einer Delegation in Duékoué am Donnerstag und Freitag auf über 800 Tote allein am Dienstag, 29. März, und nennt als Ursache "interethnische Gewalt". Das katholische Hilfswerk Caritas spricht sogar von "über 1000" Toten. Die katholische Kirche in der Elfenbeinküste gilt als eher Gbagbo-treu. Die Menschenrechtsorganisation FIDH (Internationale Föderation für Menschenrechte) sagt, in Duékoué seien seit der Wahl im November insgesamt mindestens 800 Menschen getötet worden. Am 29. März habe es aber Augenzeugen zufolge "gezielte Hinrichtungen von Personen der Guéré-Ethnie im Stadtteil Carrefour" gegeben.

Jüngstes Opfer: ein dreijähriges Kind

Die genaueste Zählung der Opfer von Duékoué vergangene Woche stammt von der Ivorischen Menschenrechtsliga (LIDHO): 816 Tote männlichen Geschlechts, das jüngste davon ein dreijähriges Kind. Diese Zahl komme zusätzlich zu den "sehr vielen zuvor registrierten Toten", präsiziert LIDHO und erklärt: "Die jüngsten Massaker in Duékoué ähneln einer Völkermordtat, verübt auf einem Hintergrund von Rache". Es sei auch nicht das einzige solche Verbrechen. Von Gbagbos Streitkräfte rekrutierte Milizen aus Liberia hätten in Guiglo "mehrere Dutzend" Menschen umgebracht, es sei auch in anderen Städten zu Tötungen gekommen.

Das Ouattara-Lager äußert sich widersprüchlich. Ein Sprecher der FRCI-Streitkräfte erklärte, die Toten von Duékoué "waren Milizionäre, keine Zivilisten". Die Regierung Ouattara wies in einer Erklärung jede Verantwortung ihrer Streitkräfte für Tötungen an Zivilisten zurück und erklärt, ihre Armee habe in anderen Städten zahlreiche Massengräber von Opfern der Gbagbo-Milizen gefunden.

Berichte aus dem Ouattara-Lager bestätigen, dass es Tötungen in Duékoué gegeben hat. Auf der Ouattara-nahen Webseite "Lebanco" steht der Bericht eines Reporters aus der Stadt über den 30. März, als erstmals ein Minister der Ouattara-Regierung Duékoué besuchte und vor Menschenmassen zu Reggaemusik des Ivorers Alpha Blondy die Befreiung feierte und die Bevölkerung zur ethnischen Versöhnung aufforderte. Die Kämpfe sind da noch ganz frisch. "Drei leblose Körper sind gut sichtbar auf der Einfallsstraße, nach der Brücke, die zum Krankenhaus führt", schildert der Reporter die Szene. "Sie scheinen beim Fluchtversucht niedergemäht worden zu sein. Sie sind jung, tragen Zivilkleidung. Nicht weit, gegenüber der Wasser- und Waldbehörde, verpesten zwei weitere Leichen die Luft. Auch sie sind in Zivil. Vor ihnen hat ein Militärwagen abrupt halten müssen, er hat die Reifen verloren und ist nur noch Schrott. Ein stämmiger junger Mann, die Zähne rot von Drogen, eine Auge geschwollen, liegt darin auf seiner Seite. Er trägt die Uniform der Anti-Aufstandsbrigade."

Dann beschreibt er das Guéré-Viertel und Milizenhauptquartier Carrefour: "Die Holzhütten stehen in Flammen. Schwarzer Rauch steht über der Stadt. Die Fassaden der Häuser an der Hauptstraße sind voller Einschlusslöcher, die Fensterscheiben zerbrochen, Zeichen des Leids der Menschen, die dort schliefen. Desolation ist da, Angst auch."

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