piwik no script img

Server der Piratenpartei beschlagnahmtHacker wollten Stromkonzern angreifen

Vor der Wahl in Bremen beschlagnahmt die Polizei Server der Piraten. Dabei steht die Partei nicht im Visier. Angeblich plante Anonymous einen Hackerangriff auf den Stromkonzern EDF.

Teil der EDF-Stromerzeugung: Das AKW Cattenom. Bild: dapd

BERLIN dpa/afp | Das Internet-Angebot der Piratenpartei Deutschland ist durch eine Polizeiaktion vom Netz genommen worden: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt habe am Freitag "eine Vielzahl" von Servern beschlagnahmen lassen, teilte die Organisation mit. Das Verfahren richte sich aber nicht gegen die Partei selbst, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Die Aktion, an der auch das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligt war, gehe vielmehr auf ein französisches Rechtshilfeersuchen zurück. Dabei geht es um einen Angriff auf die IT-Infrastruktur des französischen Stromkonzerns Électricité de France SA durch die Hackergruppe Anonymous. EDF betreibt die französischen Atomkraftwerke.

"Die Aktion hat uns kalt erwischt", sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Bernd Schlömer am Freitag auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Es wurde einfach der Stecker gezogen." Schlömer sprach von einem "einmaligen Vorgang", dass man der Piratenpartei als der führenden Internetpartei in Deutschland zwei Tage vor der Bürgerschaftswahl in Bremen das wichtigste Arbeitsmittel entziehe. "Das wäre so, als würde man der CDU oder SPD aufgrund eines Ermittlungsersuchens aus dem Ausland sämtliche Geschäftsstellen schließen."

Immerhin waren die Seiten des Piraten-Landesverbandes Bremen und Bremerhaven unter http://bremen.piratenpartei.de/ weiter erreichbar. Auf dieser Seite wurde nach der Beschlagnahmung der Server gemutmaßt, der Grund für diese "so kurz vor einer Landtagswahl doch wohl beispiellose Überreaktion" sei womöglich, dass der Piratenpartei ein Dokument zugespielt worden sei, welches diese veröffentlicht habe.

Die Partei sei von den Behörden nicht um die Herausgabe der Daten gebeten worden. Die Polizeiaktion habe sich direkt gegen die Firma Aixit in Offenbach gerichtet, wo die Piratenpartei Server angemietet habe. "Das hätte man mit einem Anruf klären können."

Wenige Stunden nach der Polizeiaktion gegen die Piratenpartei waren die Internet-Angebote bka.de und polizei.de nicht mehr zu erreichen. Anonymous bezichtigte sich auf Twitter selbst der Daten-Attacke (DDOS) auf die Websites der deutschen Ermittlungsbehörden. Die Piratenpartei distanzierte sich von der Aktion.

Der Vorstand der Piratenpartei betonte, er werde im "Rahmen seiner gesetzlichen Verpflichtungen zur Aufklärung der durch die französischen Ermittlungsbehörden erhobenen Vorwürfe beitragen". Die Zugänge zur technischen Infrastruktur der Piratenpartei seien daher – "so weit es den Ermittlungszielen dient" – zur Verfügung gestellt worden: "Damit soll die zielgerichtete Suche nach einzelnen Daten ermöglicht werden."

Kurz vor der Wahl in Bremen sieht sich die Partei, die stark auf digitale Kommunikation setzt, einer wichtigen Infrastruktur beraubt. So laufen unter anderem Website, E-Mail und Instant Messenger über die Server. "Das ist für uns ein sehr schwerer Schlag", sagte der Parteivorsitzende Sebastian Nerz der Nachrichtenagentur dpa.

Es werde "politisch ein massiver Schaden angerichtet", erklärte der Bundesvorstand in einer Mitteilung. "Im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungsarbeiten wird daher zu klären sein, ob die erfolgte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung rechtlichen Vorgaben entsprochen hat, insbesondere ob die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurden."

Nerz geht davon aus, dass die beanstandeten Inhalte mit dem sogenannten PiratenPad erstellt wurden - einer Web-Anwendung, in der Nutzer gemeinsam an Dokumenten arbeiten. Auch Nicht-Mitglieder können auf das System zugreifen. "Wir nutzen das PiratenPad parteiintern relativ viel und tauschen uns darüber auch mit Externen aus", erklärte Nerz.

Vermutlich stammten die ins Visier geratenen Dokumente von Netzaktivisten, die nicht der Partei angehörten. Das PiratenPad basiert auf der quelloffenen Software EtherPad, die Google 2009 gekauft hatte.

Im Netz sorgte die Polizeiaktion für Aufsehen, Ärger und Spott - beim Online-Kurznachrichtendienst Twitter war das Schlagwort "Servergate" einer der meistgenutzten Begriffe. "Französisches Ermittlungsverfahren ist also wichtiger als Parteiinfrastruktur kurz vor Wahlen in DE...ja ne ist klar", meinte etwa Nutzer @thinkpixelde.

Auch der Twitterer @0l1h7 hält den Schritt für überzogen: "Und wenn das nächste mal einer im Supermarkt in Berlin was klaut, wird erst einmal das Viertel evakuiert", schrieb er. Als Bewährungsprobe für den neuen Bundesvorstand sieht @rupkalwis_com die Beschlagnahmung - aber auch als Chance: "Bitte macht einen guten Wahlkampf daraus!"

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • HC
    hagbard celine

    SpiegelOnline berichtete am 20.Mai, dass eine Gruppe von Anonymous gezielt ein Atomkraftwerk angreifen wollte und die Polizei die Server abschalten musste, um diesen Terroranschlag zu verhindern. Welt und TAZ folgten mit ähnlichen Artikeln.

    Wir verachten diese gezielte Verbreitung von Desinformation zutiefst, jedoch ist es nicht unser Ziel die Pressefreiheit einzuschränken, vielmehr möchten wir Kritikern genauere Antworten liefern.

    Anonymous hat am 18. April im Rahmen von OperationGreenrights lediglich die Webpräsenz von EDF mit einer Distributed-Denial-of-Service Attacke angegriffen, dabei ist es unmöglich die Kontrolle über ein Atomkraftwerk zu übernehmen oder ihm einen Schaden jeglicher Art zuzufügen. Ferner widerspricht es dem gesunden Menschenverstand, anzunehmen, dass die hochkritische Infrastruktur mit einer direkten Verbindung zum Internet betrieben wird. Zitat Anonymous

  • H
    Hase

    tolle überschrift

  • J
    Jörg

    Naja, so ist das denn wohl. Wenn der politische Gegner nicht auf die etablierten Media, die ihm im Wahlkampf größtenteils benachteiligen würden, zurückgreift, dann muss man ihm eben dazu zwingen, indem ihm sein eigenes Spielfeld entzogen wird. Hier also ein schönes Beispiel für Repressionen durch den Staat!

     

    Erinnert mich nen bisschen an die Polizeiaktionen während des Naziaufmarsches in Berlin letzte Woche. Den es wäre ja doch etwas zuweit hergeholt zu behaupten, dass hier tatsächlich Parteifunktionäre ihren Einfluss spielen lassen und ihre Hetzhunde loslassen. Das würde ich ja nie behaupten… Vielmehr wird es die Exekutive des Staates selber sein, die hier aktive würde um ihre Interessen zu beschützen. Es is ja doch eher offensichtlich, dass der Polizei und dem BKA die Piraten Partei in Dorn im Auge sein muss. Schließlich gibt es hier einen deutlich Interessenkonflikt. Diese Institutionen, die ja in letzter Zeit immer mal den Wunsch äußerten den Bürger zu seiner eigenen Sicherheit stärker zu überwachen, wollen natürlich nicht, dass die Piraten Partei einen erfolgreichen Wahlkampf führt und am Ende möglicherweise auch noch in die bremer Bürgerschaft einzieht. Das wäre nämlich mit noch mehr Rechtfertigungsnot für neue Überwachungsnöte verbunden.

    Da kommt den BKA/der Polizei dieses Rechtshilfeersuchen natürlich recht, da kann man dann alles so zurecht rücken, dass hier nur Recht und Gesetz vertreten würde. Bleibt nur noch festzustellen, dass unsere Freunde und Helfer wohl nicht mit dem schnellen Echo gerechnet haben. Naja nur gut, dass für die Polizei und das BKA Internetpresenzen nicht von elementarer Bedeutung für die Ausführung der 'demokratischen Funktion' sind…

  • MB
    Mathias Bartelt

    Ihren Kommentar hier eingebenLiebe taz,

    liebe Piratenpartei,

    liebe Bremer Parteien,

     

    was immer von den Vorwürfen, auf denen diese Polizei-Maßnahme beruht, zu halten ist:

     

    Ich möchte den Parteien und der Landeswahlleitung in Bremen empfehlen, in Betracht zu ziehen, die Bremer Wahl mindestens für einige Wochen zu verschieben oder im Zweifel auf Ungültigkeit prüfen zu lassen. Auch, wenn ich nicht Mitglied der Piratenpartei bin: Ich bin der Auffassung, daß die durch diese Polizei-Maßnahme getätigte massive Behinderung des Piraten-Partei-Wahlkampfs, mithin die so getätigte Stigmatisierung - selbst dann, wenn sie für die Piratenpartei letztlich sogar Wahlkampf-fördernd wirkt - die Annahme erfüllt, daß das Bremer Wahlergebnis durch diese Maßnahme in wesentlichem Maße beeinflußt wird - und dies unzulässig und unlauter. Mensch kann juristisch mithin anderer Auffassung sein, vielleicht einfach der Hoffnung sein, daß es für die PP Wahlkampf-fördernd wirkt, und nur deshalb nichts tun. Im Zweifel jedoch müßte ein Gericht dies klären. Ich möchte jeden Falls anraten, die Polizei hier durch ein Gericht in ihre Schranken verweisen und ein entsprechend Weg weisendes Urteil fällen zu lassen.

     

    Dieses Vorgehen verstößt in meinen Augen klar und deutlich gegen den im obigen Artikel bereits genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch unmittelbar und insbesondere für die Polizei gilt. Die Polizei hat danach alle in Betracht kommenden verhältnismäßigen Mittel auszuschöpfen, bevor(!) sie zu einem solch weit reichenden Mittel greift - noch dazu, wenn eine Partei so kurz vor der Wahl derart dadurch beeinträchtigt wird. Es kommen noch andere im Artikel ebenfalls bereits angeschnittene Grundrechte hinzu, die dadurch m.E. unzulässig verletzt werden.

     

    Ich würde darüber hinaus daran erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren mindestens ein Mal - wie in der Presse erwähnt - moniert hat, daß beispielsweise von der Maßnahme der Hausdurchsuchung viel zu oft, viel zu anlaßlos, schon bei "Lappalien" und unverhältnismäßig Gebrauch gemacht wird. Auch sind die Gerichte und die für solche Maßnahmen zuständigen Richter_innen heillos überlastet und unterschreiben einen Durchsuchungsbefehl oft all zu schnell - auch dies ist m.E. bereits moniert worden. Ob die entsprechenden Richter_innen im hier vorliegenden Fall wirklich so gewissenhaft geprüft haben oder dabei die richtige Entscheidung getroffen haben, möchte ich doch bezweifeln.

     

     

    Mit besten Grüßen

     

    Mathias Bartelt

  • H
    HerrMannelig

    "Angeblich plante Anonymous"

    Schon wieder eine Nachrichtenseite, die Anonymous nicht verstanden hat. Ein Kollektiv ohne einheitliche Struktur, ohne Vorstand oder Anführer kann nichts planen. Jede sog. Anonymous-Aktion ist lediglich ein Werk von einigen Menschen, die sich unter dieser Flagge versammeln. Die einzelnen Aktionsgruppen können etwas planen, aber der Anonymous-Grundgedanke verhindert es, dass das Kollektiv als ganzes etwas planen könnte. Wenn ich morgen das Rathaus hier mit Eiern bewerfen sollte und dann der Zeitung sage, dass ich mich zu Anonymous bekenne, wird das auch als "Angrif der Organisation" gewertet werden, obwohl es nur auf meinem eigenem Mist gewachsen wäre..

     

    Haarspalterei? Vielleicht. Aber wie kann meinen Artikel, der bereits so früh Fehler im Verständnis aufweist ernstnehmen?

  • B2
    Berlin 2011

    Der von der Staatsanwaltschaft angegebene "Geschäftsweg" per Rechtshilfeersuchen ist verrätererisch: Es gibt ihn nur in der Strafverfolgung, aber nicht in der Gefahrenabwehr. Die Ermittler haben also keinen Angriff irgendwie abgewehrt, sondern gegen die Täter eines bereits abgewehrten Angriffs strafermittelt. Unser Autor kommt zu dem Schluss, dass die Ermittler weder technisch noch juristisch auf die Ermittlungen hinreichend vorbereitet waren: http://berlin2011.wordpress.com/2011/05/21/rechtshilfe-in-der-wolke/

  • RE
    Rah Ering

    So leicht bekommt man mediale Aufmerksamkeit. Und das muss ja - mit Blick auf die bevorstehenden hanseatischen Bürgerschaftswahlen - kein Nachteil sein! Die CDU will in Bremen private Sicherheitsdienste - als "Kiezläufer" - im öffentlichen Raum einsetzen. Allein um das zu verhindern sollte man eine bürgerrechtsnahe Partei (z.B. die Piraten) wählen.

  • A
    agtrier

    Das schöne ist, dass die "geheimen" Dokumente nun auf so viele Server wie möglich gespiegelt werden, um sicherzustellen, dass sie nicht mehr verschwinden können. Gut gemacht, liebe Polizei!

     

    Ach ja, und warum müssen Atomkraftwerke eigentlich an's Internet angeschlossen sein? Haben die nichts aus Stuxnet gelernt?

  • V
    vic

    Harter Tobak nach dem Prinzip Rasenmäher

    als Dienstleistung für französischen Atomstromkonzern.

    Das möchte ich erleben, dass aufgrund einer derartigen Vermutung der CDU Server beschlagnahmt wird -nur so als Gedankenspiel...

  • L
    Lichtwolf

    und sieht man diese Nachrichten auf der Seite der Tagesschau, oder bei den anderen Zeitungen?

    Nein.

  • DB
    der bulle

    Das muß nicht nicht nur rechtliche,

    sondern auch politische Konsequenzen haben.

     

    Und bei der völlig weltfremden und überragierenden Staatsanwaltschaft und bei dem offenbar verfassungsfeindlichen Richter, der diese unglaubliche Aktion abgezeichnet hat, erwarte ich personelle und dienstrechtliche Konsequenzen!!

  • N
    Niemand

    Anonymous kann das nicht gewesen sein, die treten doch für Informationsfreiheit ein, aber jeder der sich bei der Polizei oder BKA informieren wollte konnte das nicht machen!