Die Wahrheit: Buchen zu Nudelhölzern

Der Weltkulturvermehrungsapparat Unesco gerät außer Kontrolle.

Wir leben in Zeiten des Verlusts. So vieles, was uns einst lieb und teuer war, schwindet: das Eis der Polkappen, die Artenvielfalt, die akademischen Titel unserer Politiker und die Unbefangenheit unserer Jugend. Nur die Kultur wächst. Unaufhaltsam. Dank der Unesco, dem offiziellen Kulturvermehrungsapparat der Internationalen Weltgemeinschaft. Kein Tag, an dem die "Topentscheider" (Landlust) nicht irgendwo auf der Welt irgendwas zum Weltkulturerbe erklären.

Auch Deutschland hat es wieder getroffen. Neben einer Fabrik für Schuhleisten und 18 Pfahlbauten hat es fünf Buchenwaldgebiete erwischt. Begeistert wies die Unesco darauf hin, dass die Wälder eine große Artenvielfalt beherbergten. Vor allem Buchen seien dort sehr zahlreich zu finden. Eines der fünf Waldgebiete ist der Buchenwald Grumsin in Brandenburg. Die Ernennung hat hier für die Betroffenen ungeahnte Folgen. "Wer erklärt denn bitte einen Buchenwald zum Weltkulturerbe? Das ist vielleicht eine Sauerei! Wir haben hier vielleicht eine Baumkultur, aber mehr auch nicht!", ereifert sich Jacky Schneider-Großherr, Baumpflegerin in Grumsin, die namentlich aber lieber unerkannt bleiben möchte.

Ganz andere Probleme sieht der örtliche Buchenbereichsleiter Anton Ankermann, denn das Siegel "Weltkulturerbe" sei gleichbedeutend mit "Touristen-Pilgerstätte". "Hier in Brandenburg kennt sich doch keiner mit Touristen aus! Hier wollte nie jemand hin! Und womit? Mit Recht! Jetzt werden die uns die Bäume einrennen, und wir stehen da, wie die Buche vor der Eiche!"

Sorge macht den Grumsiner Buchenverantwortlichen vor allem die fehlende Infrastruktur. Bislang existiert in ganz Brandenburg kein Hotelgewerbe. Diesen Zustand innerhalb nur weniger Monate zu ändern, ist eine große Herausforderung. Bereichsleiter Ankermann hat darüber nachgedacht, vorläufig sein privates Gästezimmer für Weltkulturerbe-Touristen anzubieten. "Bis zu zwölf Leute könnten dort vertikal übernachten. Aber das reicht ja nicht. Und was, wenn, sagen wir mal, einer aus der Mitte nachts auf das stille Örtchen muss?", analysiert Ankermann den gegenwärtigen Zustand nachdenklich.

Es fehlt allerdings nicht nur an Unterbringungsmöglichkeiten für die Gäste. "Wir brauchen dringend Plätze, die von den Touristen nach Herzenslust vollgemüllt werden können. Bisher ist der Wald ja urwüchsig, da müssen wir extra Brachflächen in den Wald bulldozern. Dort können die Familien dann picknicken und hinterher ihren Müll liegen lassen", erklärt Umweltreferatsleiterin Anita Schönhausen.

Sollten Familien nicht selbst an Verpflegung und Verpackungsmüll gedacht haben, werden zeitgenössische Gastronomiebetriebe diese Lücke ausfüllen. "Mit McDonalds haben wir schon gesprochen, die machen ja eh gerade auf grün - da passt der Wald als Standort super. Und der typisch bunte Verpackungsmüll am Wegesrand - das kann ich mir optisch gut vorstellen. Ansonsten werden wir alle ein bis zwei Kilometer entweder eine Pommesbude, einen Döner oder ein Starbucks platzieren", erklärt Schönhausen.

Glücklicherweise ist der Grundstein für eine solide verkehrstechnische Anbindung schon gelegt: Mitten durch das Naturschutzgebiet verläuft die A 11. "Wir planen 33 Ausfahrten, alle 600 Meter. Sie können Touristen keine Gewaltmärsche aufdrängen! Gerade bei einer demografisch überalternden Gesellschaft muss man in die Zukunft planen und körperliche Einschränkungen berücksichtigen", erläutert Ankermann.

An den jeweiligen Ausfahrten sollen die Touristen dann ganz individuell entscheiden können, wie sie den Wald erkunden möchten. Neben modernen Quads für Offroad-Begeisterte, mit denen sich laut Ankermann "einfach genial durch die Landschaft pesen" lässt, gibt es auch die bequeme Möglichkeit, sich mit dem Bus durch den Buchenwald kutschieren zu lassen. Allerdings sind die Testversuche mit den großzügigen Luxuslinern, die für jeden Gast Badezimmer, Fernseher und Karaoke bieten, bisher alle gescheitert. "Drei von den Dingern haben die Fahrer hoffnungslosen in diesen Mist-Buchen verkeilt. Und der vierte Bus, der ist bis heute samt Fahrer verschollen."

Doch Ankermann hat einen Plan B, falls ihm die Arbeit über den Kopf wachsen sollte. "Wenn alle Stricke reißen, dann bauen wir mitten in den verdammten Buchenwald eine mittelständische Fabrik und produzieren aus dem Scheiß-Buchenholz Nudelhölzer. Meine Mutter hat immer gesagt, ein Nudelholz, das braucht jeder. Und dann können mich die Unesco-Heinis aber mal so was von volle Latte gern haben!"

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