Der "Gärtnerhof" in Bienenbüttel nach Ehec: "Ich hatte Angst"

Im Nachhinein stellte sich heraus: Keine Probe vom "Gärtnerhof" in Bienenbüttel war mit Ehec kontaminiert. Doch für die Leute auf dem Hof ist nichts mehr, wie es war.

Als alle über Ehec sprachen, musste der Hof geschützt werden – jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt. Bild: reuters

BIENENBÜTTEL taz | Es war eine Belagerung, die am Abend des 5. Juni in der niedersächsischen Gemeinde Bienenbüttel begann: Dutzende Journalisten harrten dort tagelang vor dem Bio-Bauernhof aus, der Sprossen mit tödlichen Ehec-Bakterien verkauft haben soll.

Reporter überflogen den "Gärtnerhof" mit dem Hubschrauber, andere versuchten, über den Zaun zu klettern. "Ich hatte Angst", sagt Geschäftsführerin Uta Kaltenbach heute.

Den Run auf den mittelständischen Betrieb mit 600.000 Euro Jahresumsatz hatte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann ausgelöst. Am Nachmittag erklärte der CDU-Politiker, dass der Hof alle damals bekannten größeren Ausbruchsorte des Erregers beliefert habe. Zudem sei eine Mitarbeiterin infiziert gewesen. Die Ursache für ihre Ansteckung war aber unklar, und ein Labornachweis des Erregers auf Produkten des Gärtnerhofs fehlte. Dennoch betonte der Minister, dass es sich um eine "sehr deutliche Spur für die Infektionsquelle" handele. Lindemann bezeichnete den Hof sogar als die "Spinne im Netz". Da er den Sitz des Erzeugers – Bienenbüttel – nannte und es dort nur einen Sprossenhersteller gibt, konnte jeder Google-Nutzer schnell den Gärtnerhof als den verdächtigten Betrieb ermitteln – auch die Journalisten.

Die Ehec-Epidemie ab Anfang Mai war der größte Lebensmittelskandal der jüngsten Vergangenheit in Deutschland: Laut Robert-Koch-Institut kostete er 50 Menschen das Leben - die Rinderkrankheit BSE und das Gift Dioxin verursachten hierzulande keine Todesfälle. Insgesamt infizierten sich etwa 4.000 Menschen mit dem gefährlichen Bakterienstamm O104:H4. Viele von ihnen mussten auf der Intensivstation behandelt werden, weil ihre Nieren versagten.

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Die zuständigen Bundesbehörden warnten nach Befragungen von Erkrankten am 25. Mai zunächst davor, vor allem in Norddeutschland gekaufte Tomaten, Blattsalate und Gurken zu essen. 55 Prozent der Deutschen hielten sich einer Umfrage zufolge an diese Empfehlung – die Einnahmen vieler Gemüsebauern brachen ein, der mächtige Bauernverband und auch andere EU-Staaten protestierten, weil Labortests den Verdacht nicht bestätigten.

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Nach weiteren Untersuchungen warnten die Behörden ab 10. Juni nur noch vor rohen Sprossen, seit 21. Juli nur vor aus Ägypten importierten Bockshornkleesamen sowie daraus gezogenen Sprossen. Die Zahl der Erkrankungen ging aber schon seit dem 22. Mai zurück. Der Hof in Bienenbüttel hatte bis 3. Juni Sprossen geliefert. Am 26. Juli erklärten die Behörden den Ausbruch für beendet und schon zuvor für "aufgeklärt". (jma)

Morddrohungen, Angst, Sorgen

Die Folgen waren für das von Pionieren der Biobranche geführte, 33 Jahre alte Unternehmen verheerend. "Super Bio-EHEC-Erreger", kommentierte am 10. Juni jemand den Eintrag des Betriebs im Google-Firmenverzeichnis. Die Gärtnerhof-Mitarbeiter erhielten Morddrohungen. Der öffentliche Druck belastete die alternative Hofgemeinschaft zusätzlich. Dabei plagte sie sowieso schon der Gedanke, dass ihre Produkte für den Tod von 50 Menschen verantwortlich sein könnten.

"Wir haben Bio gemacht, weil wir gesunde Lebensmittel produzieren wollten. Und jetzt sollen Menschen wegen unserer Sprossen gestorben sein. Wir sind einfach erschüttert", sagen Kaltenbach und ihr Partner Klaus Verbeck in ihrem ersten ausführlichen Interview zu den Vorwürfen gegen sie. "Ehec kommt vor allem in der Tierhaltung vor. Wir benutzen keine tierischen Dünger. Und dann trifft es uns. Das ist schon eine bittere Ironie." Jetzt ließen sie sich von einer Psychologin therapieren.

9 von 15 Mitarbeitern wurden entlassen

Auch wirtschaftlich hat der Verdacht den Hof hart getroffen. Sechs Wochen durfte der Betrieb nichts liefern, weil die Behörden ihn gesperrt hatten. Jetzt verkauft er wieder Tomaten und anderes Gemüse – aber nur in minimalen Mengen, denn die Hofleute hatten in den Ehec-Wochen kaum Zeit, die Pflanzen zu pflegen. Außerdem ist ihr Ruf beschädigt. "Wir machen nur noch fünf Prozent unseres normalen Umsatzes", berichtet Verbeck. Die Sprossenproduktion – ihre Haupteinkunftsquelle – hätten sie bis auf weiteres stillgelegt. Neun der 15 Mitarbeiter wurden Verbeck zufolge entlassen. Zahlungsunfähig sei der Hof vor allem deshalb nicht, weil er keine Schulden habe.

"Uns ist bis heute nicht klar, wie der Minister Lindemann am 5. Juni unter Namensnennung unseres Betriebs diesen Verdacht aussprechen konnte, als ob er schon festgestanden hätte", sagt Kaltenbach. "Wir wurden vorverurteilt, obwohl es bis heute keinen Beweis gibt, dass unser Hof eine Quelle der Ehec-Epidemie war."

Ministeriumssprecher Gert Hahne betont: "Wir mussten schnell handeln, um zu verhindern, dass Verbraucher noch Sprossen des Betriebs essen." Aber dafür hätte Experten zufolge die Warnung vor Sprossen allgemein gereicht, die Lindemann ebenfalls am 5. Juni aussprach.

Keine Probe war Ehec-positiv

Tatsächlich ist bisher keine Probe aus dem Betrieb bekannt, die im Labor positiv auf den aggressiven Ehec-Typ O104:H4 getestet wurde. Obwohl die Behörden Hunderte Proben aus dem Gärtnerhof analysiert haben. Von den Sprossen über die Samen bis zu den beiden Hunden des Hofes wurde alles untersucht, was den Keim tragen konnte. Nur Nordrhein-Westfalen fand auf einer Sprossenpackung aus Bienenbüttel den Erreger. Aber die Packung wurde im Küchenabfall einer erkrankten Person sichergestellt. Deshalb kann es sein, dass die Infizierte den Erreger auf die Sprossen übertrug und nicht umgekehrt. Mangels harter Laborergebnisse stützen sich die Behörden vor allem auf eine Analyse der Speisepläne von Reisegruppen, die in einem Lübecker Restaurant gegessen hatten. Ergebnis: Gesund blieben nur Gäste, die keine Sprossen aus Bienenbüttel verzehrt hatten. Doch Gärtnerhof-Inhaber Verbeck sagt: "Das waren nur etwa 30 Infizierte und die haben in den Tagen vor ihrer Erkrankung ja auch noch woanders als in dem Restaurant gegessen. Das finde ich nicht sehr durchschlagskräftig."

Hinzu kommt: Die Behörden können nur für über 300 der rund 4.000 Erkrankungen nachweisen, dass die Betroffenen wahrscheinlich Sprossen aus Bienenbüttel gegessen haben. Das geht aus einem Bericht des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts vom 30. Juni hervor. Die restlichen Infektionen erklären die Ermittler zum Beispiel damit, dass durch Sprossen Angesteckte andere Personen infiziert haben.

Bockshornklee-Theorie "unglaubwürdig"

Gärtnermeister Verbeck reicht das nicht: "Mit so einer Argumentation könnte man alles beweisen. Das Ganze ist einfach nicht schlüssig." Unglaubwürdig findet er auch die offizielle Theorie, wie der Erreger auf den Hof gekommen sein soll: über ägyptische Bockshornklee-Samen, aus denen die Bienenbütteler Sprossen gezogen haben. Doch von der betroffenen 15.000 Kilogramm schweren Lieferung aus Ägypten bekam der Gärtnerhof nur einen kleinen Teil. Den Rest erhielten andere Abnehmer in mindestens zwölf EU-Ländern. "Wenn die Samen verseucht waren, müsste der Ausbruch in ganz Europa sein", meint Verbeck. Tatsächlich haben sich aber nur Menschen in Deutschland und einige wenige in Frankreich angesteckt.

Warum die Ämter dennoch an der Sprossen-Theorie festhalten? Gärtnerhof-Inhaberin Kaltenbach weist auf den immensen Zeitdruck hin, unter dem die deutschen Behörden standen, die Ursache der Epidemie zu finden. Am 1. Juni forderte sogar die EU-Kommission Deutschland auf, seine Anstrengungen zu verstärken. Denn Bauern in mehreren europäischen Ländern verkauften damals weniger Gemüse als sonst, weil Verbraucher Angst hatten, es könnte verseucht sein. Da Hamburg fälscherlicherweise Gurken aus Andalusien als Quelle geoutet hatte und Spanien dagegen protestierte, entwickelte sich der Fall zur Staatsaffäre.

Ideale Sündenböcke

In dieser Situation waren die Sprossenbranche und speziell der Sprossenhof in Bienenbüttel ideale Sündenböcke: aus der Biobranche, klein, nicht organisiert, weder Erfahrung noch finanzielle Ressourcen, um sich wirksam durch Öffentlichkeitsarbeit und auf dem Rechtsweg zu wehren. Die Gärtnerhof-Leute schalteten erst spät einen Rechtsanwalt ein.

Nun versuchen sie, ihre Zweifel an den Ermittlungsergebnissen der Behörden zu klären. Dazu wollen sie die Akten der Ämter einsehen. Doch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das die Ermittlungen koordinierte, hat abgelehnt.

Immerhin bekommt der Gärtnerhof jetzt Unterstützung von Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. "Den Leuten müssen die Akten vorgelegt werden, damit sie überhaupt mal eine klare Begründung haben", sagt die Niedersächsin der taz. Die Behörden sollten weiter nach den wirklichen Ursachen der Epidemie suchen – auch wenn sie den Fall schon als aufgeklärt darstellen.

Niedersachsens Agrarministerium dagegen weist die Vorwürfe des Gärtnerhofs zurück. "Völliger Unsinn" sei die Vermutung, die Behörden wären mit einem größeren konventionellen Betrieb sanfter umgegangen als mit dem kleinen Biohof, sagt Sprecher Hahne. "Wir hatten Tote und Schwerstkranke. Da ist uns die Betriebsform und -art egal." Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz wehrt sich. Dass bisher kein Labornachweis auf Sprossen oder Samen gelungen sei, könne daran liegen, dass die kontaminierten Teile der Lieferungen schon verbraucht oder gegessen wurden, erklärt Sprecher Andreas Tief. Und den Streit über die Akteneinsicht für den Gärtnerhof will das BVL nicht kommentieren, da es "sich hierbei noch um ein laufendes Verfahren" handele.

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