Fünf Jahre Gleichbehandlungsgesetz: "Sanktionen müssen weh tun"

Ein eigenes Klagerecht, mehr Personal und ein höheres Budget für die Antidiskriminierungsstelle in Berlin. Das fordert Christine Lüders - die Leiterin.

Die Menschen tun zu wenig gegen Diskriminierungen, sagt Christine Lüders. Bild: ADS

taz: Frau Lüders, bevor das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor fünf Jahren in Kraft trat, wurde vielerorts versucht, es zu verhindern. Arbeitnehmer nannten es "bürokratisches Monster", Kanzlerin Merkel "Jobkiller". Beseitigt das Gesetz, das Diskriminierungen aller Art verhindern soll, Arbeitsplätze?

Christine Lüders: Natürlich nicht, diese Befürchtungen haben sich als unbegründet erwiesen. Es ist doch keine Bürokratie, wenn Unternehmen ihr Auswahlverfahren diskriminierungsfrei gestalten müssen. Und dass irgendeine Stelle wegen des AGG nicht besetzt wurde, ist mir auch noch nicht zu Ohren gekommen.

Jede und jeder kann gegen alles klagen?

Klagen können Menschen, die in der Arbeitswelt oder bei Alltagsgeschäften diskriminiert wurden. Das Problem ist eher, dass die Menschen zu wenig gegen Diskriminierungen vorgehen.

Warum?

Zum einen wissen noch zu wenige Menschen von dem Gesetz, zum anderen scheuen viele das persönliche Prozessrisiko.

57, seit Februar 2010 Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, studierte Pädagogik und war Vorstandsreferentin und Abteilungsleiterin bei Lufthansa, Referatsleiterin Öffentlichkeitsarbeit im Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen, zuletzt Referatsleiterin im hessischen Kultusministerium.

Haben Sie zu wenig Werbung gemacht?

Wir haben zwei erfolgreiche Kampagnen durchgeführt und uns in den vergangenen anderthalb Jahren bekannter gemacht. Aber 300.000 Euro für PR-Zwecke reichen leider nicht aus, um unseren gesetzlichen Auftrag ausreichend zu erfüllen.

Möglicherweise gibt es gar nicht so viel Diskriminierung wie angenommen?

Diskriminierung gibt es jede Menge. Es trauen sich nur nicht so viele Menschen, beispielsweise gegen ihren Arbeitgeber vorzugehen. Sie wissen: Ich allein gegen das riesige Unternehmen, das schaff ich nicht. Viele suchen dann unseren Rat, wir unterstützen sie bei den Klagen.

Die ADS selbst hat aber kein Klagerecht.

Zurzeit können wir nur schlichten. In manchen Fällen reicht das schon. Wenn ein Brief mit dem ADS-Siegel in einem Unternehmen eintrifft, hat das oft Wirkung und es kommt zu einer gütlichen Einigung. Stellt ein Unternehmen sich aber stur, sind uns die Hände gebunden. Deshalb brauchen wir ein Klagerecht für die ADS und die Antidiskriminierungsverbände.

Wo wird am häufigsten diskriminiert?

Die meisten Klagen finden im Bereich der Arbeitswelt statt: ältere Frauen, die in ihrem Unternehmen bei einer Beförderung nicht berücksichtigt wurden, Menschen mit Behinderungen, die für Jobs abgelehnt wurden. Bei Alltagsgeschäften gibt es zum Beispiel Vorfälle in Diskotheken und Fitnessstudios: Dort werden häufig junge Männer wegen ihres vermeintlich "ausländischen Aussehens" nicht eingelassen. Diesen Menschen helfen wir mit Beratung.

Wie machen Sie das?

Wir fordern vom Diskobesitzer eine Stellungnahme. Viele sehen dann ein, dass sie falsch gehandelt haben. Wenn das nicht wirkt, bleibt den Betroffenen nur der Klageweg. Außerdem brauchen wir höhere Sanktionen.

Wie hoch kann so ein Schmerzensgeld sein?

In Oldenburg musste kürzlich ein Diskobetreiber einem Mann, der wegen seines Migrationshintergrunds nicht reingelassen wurde, 500 Euro Entschädigung zahlen. Das ist in meinen Augen zu wenig.

Unternehmen wie Siemens, wo sich auch oft MitarbeiterInnen diskriminiert fühlen, lachen über eine solche Summe.

Für ein Großunternehmen müssen andere Summen gelten. Wenn eine Entschädigungszahlung nicht abschreckt, macht sie keinen Sinn.

Vor einem Jahr haben Sie die Kampagne "Anonymisiertes Bewerbungsverfahren" gestartet. Damals haben viele Firmen befürchtet, dass es nicht praktikabel sei.

Wir wissen heute: Es funktioniert. Unser Formblatt, das wir extra dafür entwickelt haben, wird von BewerberInnen und von Unternehmen genutzt. Die Stadt Celle beispielsweise arbeitet damit und ist hochzufrieden. Dort hat ein hochqualifizierter halbblinder Mann eine Stelle bekommen, der vorher nirgendwo eine Chance hatte. Da stand die Qualifikation im Vordergrund und nicht die Person.

Was muss noch verbessert werden?

Wir müssen personell besser ausgestattet werden. Wir haben 26 MitarbeiterInnen. In England arbeiten bei der Antidiskriminierungsstelle 250 Menschen. Darüber hinaus müssen die Opfer mehr Zeit bekommen, gegen eine Benachteiligung rechtlich vorzugehen.

Bisher gilt dafür im AGG eine Frist von zwei Monaten.

Die reichen nicht. Oft wenden sich Menschen an uns, die Monate vorher diskriminiert wurden.

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