Kolumne Pressschlag: Nur noch Geisterspiele im Bundestag

Etliche Journalisten schrieben über den Sportausschuss. Sie sahen: spielende und schlafende Abgeordnete sowie leere Stühle. Jetzt dürfen sie nicht mehr zu den Sitzungen.

Journalisten sollen die schlafenden Abgeordneten nicht mehr sehen. Bild: kallejipp / photocase.com

Zwischen vielen freien Plätzen sitzen in lichten Reihen ein paar Herren und Damen. Einige von ihnen sind sehr beschäftigt. Sie spielen - vielleicht Fußball, oder auch Tennis, genau kann man die kleinen Bildschirme ihrer iPhones aus der Entfernung nicht erkennen. Wir befinden uns im Sportausschuss des Deutschen Bundestages.

Hier soll es um Sport gehen. Ob damit der Versuch eines Abgeordneten gemeint ist, nach 38 vergeblichen Anläufen auf seinem iPhone nun endlich das EM-Halbfinale von 1988 zu gewinnen, darf bezweifelt werden. Eigentlich geht es im Sportausschuss um Themen wie Korruption, Doping oder die öffentliche Förderung des Sports. Eigentlich.

Zur Beratung der Sportförderung für 2012 waren in der letzten Woche nur zwei der zehn Abgeordneten der Regierungskoalition erschienen. Schließlich ging es nur um läppische Beträge jenseits der 100-Millionen-Euro-Marke. Eigentlich uninteressant.

Doch weil böse Journalisten sich erdreisteten, darüber und über die Spielleidenschaft zu berichten, fühlten sich die Parlamentarier ungerecht behandelt. Dabei ist Sport doch die schönste Nebensache der Welt. Aber die Abgeordneten machten ernst und gingen gegen die ihnen widerfahrene Ungerechtigkeit vor. Sie haben in ihrer 39. Sitzung - mit zehn Stimmen von Union und FDP gegen acht der Opposition - beschlossen, Journalisten und interessierte Bürger ab sofort von ihren Sitzungen auszuschließen.

Ausschussmitglied Martin Gerster (SPD) erinnert sich an die Begründung: "Aufgrund der schlechten Presse und der schlechten Berichterstattung." Es hatten tatsächlich etliche Journalisten geschrieben, was sie gesehen hatten: spielende, schlafende Abgeordnete und leere Stühle. Der Berichterstatter hat sich der Ausschuss nun entledigt. So einfach geht das - im Gegensatz zum EM-Halbfinale. Damals fühlten sich manche ungerecht behandelt, weil der Elfmeter für die Niederländer zustande gekommen sein soll, als Marco van Basten über das Bein von Jürgen Kohler stolperte.

Sport kann manchmal verdammt ungerecht sein. Aber den Schiedsrichter kann man eben nicht einfach ausschalten. Da haben es die Abgeordneten leichter, die können unliebsame Reporter aussperren. Das bedeutet nicht nur einen Verlust an Demokratie und Transparenz, sondern auch endlich mehr Ruhe beim Spielen. Immerhin spielen sie Tennis. Oder Fußball. Sie sitzen ja schließlich im Sportausschuss. Und vielleicht erreicht Deutschland dann doch noch das EM-Finale.

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Jahrgang 1984, ist Autor der taz in Frankfurt. Bereits seit Kindertagen spielt er gern mit Worten. Hat deshalb Philosophie studiert (und Mathematik). Nach Stationen bei Radio (Spaß) und Fernsehen (Öffentlich-Rechtlich) schreibt er ein Buch (Grundeinkommen) und berichtet seit mehreren Jahren für die taz, die Frankfurter Rundschau, Zeit Online, den Freitag, das Neue Deutschland und verschiedene Lokalzeitungen über das politische Zeitgeschehen, soziale Bewegungen, gesellschaftlichen Stillstand, Medien, Fußball und über diejenigen, die sonst keine Stimme bekommen.

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