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Mord an Polizistin war vermutlich geplantRätsel um den braunen Berggasthof

Über einen Gasthof in Thüringen gibt es Verbindungen zum Mord der Terroristen an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Vermutet wird, dass sie gezielt erschossen wurde.

An Zufall beim Mord an Michèle Kiesewetter glaubt im Moment niemand mehr. Bild: reuters

BERLIN taz | Es muss ein schöner Abend für die Neonazis gewesen sein. Frank Rennicke, in der Szene für seine Lieder gegen die "roten Ratten" oder die von "fremden Horden" besetzte BRD verehrt, trällerte. Bis zu 150 Rechtsextreme waren bei der Veranstaltung im Thüringer Wald dabei. Sie bereiteten eine Demo gegen die "völkermörderische Globalisierung" vor.

Treffpunkt war damals, am 18. März 2006, der "Gasthof zur Bergbahn" im beschaulichen Oberweißbach, Ortsteil Lichtenhain. Die heutigen Pächter wollen mit Neonazis nichts zu tun haben, doch bei ihren Vorgängern war das noch anders. Ganz anders.

Das Bundeskriminalamt ermittelt nun, welche Rolle der Gasthof und seine früheren Betreiber im Zusammenhang mit den Terroristen vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) und dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 spielen. Denn die Ermittler glauben inzwischen, dass Michèle Kiesewetter gezielt ermordet worden sein könnte – und dass die Antwort auf die Frage nach dem Motiv in der 1.800-Einwohner-Gemeinde Oberweißbach zu finden sein muss.

Kiesewetter stammt aus Oberweißbach. Und nicht nur das: Jemand aus ihrer Familie versuchte, wenn auch schon vor Jahren, den Gasthof anzumieten - später sei er dann aber an einen aus dem Umfeld des NSU verpachtet worden, berichten Ermittler.

Eine Hinrichtung

Deshalb will niemand mehr so recht daran glauben, dass die Polizistin 2007 in Heilbronn, 300 Kilometer von ihrer alten Heimat entfernt, zufällig von Rechtsterroristen erschossen wurde. Kiesewetter hatte damals ihr Auto am Rande einer Festwiese geparkt, während sich die Täter anschlichen und sie mit einem Kopfschuss regelrecht hinrichteten.

Nun geht das Rätselraten neu los. Auf einer alten Version der Internetseite des "Gasthofs zur Bergbahn", die in den Untiefen des Netzes gespeichert ist, taucht im Impressum ein Name auf, der elektrisiert: Ralf W. Offizieller Pächter des Hofs in den Jahren 2005 und 2006 war er allerdings nicht - das übernahm nach taz-Informationen dessen Schwager.

Ralf W. gehörte zum Kern der Jenaer Kameradschaftsszene, wie auch die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Nach deren Abtauchen 1998 stieg W. zwischenzeitlich zum Vizelandeschef der NPD in Thüringen auf und baute in Jena ein rechtsextremes Schulungszentrum auf. Schon lange steht Ralf W. im Verdacht, dem Trio beim Verschwinden geholfen zu haben.

Bisher nur Spekulationen

Nun taucht er auch noch im Zusammenhang mit dem braunen Gasthof im Thüringer Wald auf. Auf Anfragen reagiert W. nicht. Die Bundesanwaltschaft führt ihn als einen von vier beschuldigten Terrorhelfern.

Was aber könnte das Motiv der NSU-Terroristen gewesen sein, die Polizistin Michèle Kiesewetter zu ermorden? Eventuell Rache, heißt es in Sicherheitskreisen. Aber für was? Andere mutmaßen, dass die Terroristen befürchteten, die Polizistin könnte sie erkannt haben. Aber mehr als Spekulationen sind das bisher nicht.

Nur an Zufall will inzwischen keiner mehr glauben. Zumal es noch eine weitere, rätselhafte Verbindung zwischen dem NSU und dem Mord geben könnte. So soll ein Familienmitglied von Kiesewetter in seiner eigenen Gaststätte einen Koch mit Zschäpes Geburtsnamen beschäftigt haben.

Ob und wie der Mann mit der mutmaßlichen Terroristin verwandt ist, wurde bisher nicht bekannt. Fest steht nur: Die Hintergründe der Terrortaten werden von Tag zu Tag merkwürdiger.

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9 Kommentare

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  • PW
    P. Wieschke

    Laut "stern"

     

    www.stern.de/politik/deutschland/raetselraten-um-michele-kiesewetter-stiefvater-bestreitet-kontakte-zu-rechtsradikalen-1754470.html

     

    soll der NPD'ler P. Wieschke im März 06, also 1 Jahr vor dem Polizistenmord, als Veranstalter für ein Frank Rennicke-Konzert in Oberweissbach eingetragen sein.

    W. wurde mal zu 2 1/2 Jahren verurteilt, weil er zu einem Sprengstoffanschlag auf einen Döner-Imbiss in Eisenach angestiftet haben soll.

    Also in dem Ort, in dem die beiden NSUler eine Bank überfielen, bevor sie sich in dem angezündeten Wohnwagen erschossen.

    Der Sprengstoffanschlag erfolgte übrigenz einen Monat vor der ersten Hinrichtung der NSU.

     

    Und der Ort Coburg, in dem 99 auf einem Konzert ein paartausend DM Spenden für das Trio gesammelt worden sind, liegt 30km südlich von Oberweißbach.

     

    Seit 1/4 JAhr vor der Gründung der Münchener Aktionsgruppe-Süd(AS) hatte die NSU keine Morde mehr begangen, vorher 3 der 4 in Bayern.

    Knapp ein halbes Jahr nach der Verhaftung der ASler (wegen Gründung k.V. und Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags) beging der NSU dann einen Mord in Rostock, ca 1/4 Jahr später ging die Nagelbombe in Köln hoch.

    Einen Monat nach Verurteilung M. Wieses( Anführer AS ) beging der NSU zwei weitere Morde, einen in Nürnberg, eine Woche später einen weiteren in München.

    Laut einen TP-Artikel

     

    www.heise.de/tp/artikel/35/35885/1.html

     

    in Sichtweite von M. Wieses WG( die er bis zu seiner Verhaftung bewohnt hat ).

     

    Die scheinen sich da ganz schön auf die Füsse getraten zu sein, der Verfassungsschutz mittendrin.

  • W
    Webmarxist

    Man darf keine falsche Vermutung in den Raum bringen, sonst wird die Sache für den falschen Beschuldigten (den jetzigen Pächter der Gaststätte ) nicht gut. Den in einen Haus wo Rechtsextreme verkehren, will sich wohl keiner aufhalten. Die Obwerweißbacher weißen die Vorwürfe strikt zurück. Nazis hätten, bei denen in Ort nichts zu suchen.

     

    Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

  • C
    CrisisMaven

    Da bleibt nur ein Schluss: vermutlich war es eben doch die "unbekannte weibliche Person", die in 33 oder mehr Gewaltdelikte verwickelt war und deren DNA aus einem Landeskriminalamt stammte ...

  • KB
    Kurt Behrend

    Wieso ist eigentlich noch niemandem die unglaubliche Ähnlichkeit zwischen der Polizistin Michele K. und der Nazibraut Beate Z. aufgefallen?

    Ich habe die Bilder der beiden mal übereinandergelegt. Der Mund, die Augen...eigentlich sämtliche Gesichtsmerkmale identisch.

    Sind die beiden verwandt, eventuell Geschwister?

    Bitte um DNA-Abgleich, das können unsere Fahnder so gut :-)

  • P
    PeterWolf

    Es gab wohl einige Fehlinformationen durch das BKA.

    Falls zumindest die forensischen Untersuchungsberichte in den Medien stimmen, wurde die Polizistin mit der selben! (nicht der gleichen) Waffe ermordet, wie die anderen "Migranten", ihre eigene Dienstwaffe und andere Ausrüstungsgegenstände wurden, wie auch die Mordwaffen, bei den mutmasslichen Tätern gefunden.

    Da liegt ein irgendwie gearteter Zusammenhang nahe.

    Der muss allerdings keineswegs etwas mit "Familienfehde" oder ähnlichem, gar für Kiesewetters ehrenrührigem zu tun haben.

    Hoffentlich klärt sich das noch wirklich auf!

  • A
    allesundnichts

    Tja, Frau Kiesewetter wird wohl nicht die einzige Polizistin oder Justizangehörige sein, die persönliche Kontakte zu den Nazis hatte.

    Und es wird wohl auch nicht beim Kontakt bleiben, sondern sie wird vielleicht selbst eine Nazi-Frau gewesen sein bzw. nationalsozialistisches Gedankengut in sich gehabt haben. Und wenn es so war, wird sie nur die Spitze des Eisberges sein. Deutschlandweit gibt es hunderte oder gar tausende Polizisten die sehr sehr weit rechts stehen. Wie war es z.B. mit dem "Unfall" in Dessau, als ein Asylbewerber in einer Arrestzelle verbrannte oder der Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt; nach dem Überfall unterhielten sich die Polizisten doch nett mit den Nazi-Schlägern und ließen sie danach laufen.

     

    Die Polizisten sind aber nur die unterste Ebene. Wie sieht es z.B, bei Anwälten, Stattsanwälten oder Richtern aus? Da wird es auch hunderte "Rechts-Freunde" geben.

     

    Aber nach der politischen Weltanschauung oder Überzeugung bei Justizangehöriegen egal welcher Ebene wird ja leider nicht geguckt... und bei CDU/CSU Politikern erst recht nicht....

  • AD
    Alban der Weise

    Tja, genau das, was ich vor ein paar Tagen in einem Kommentar hier auf der Seite schon vermutet hatte.

    Die Tötung der Polizistin passte einfach nicht in die Mordserie.

    Eigenartigerweise ist der Kommentar nicht veröffentlicht worden.

    Was mich aber noch viel mehr verwundert ist die Tatsache, dass im Fall einer getöteten Polizeibeamtin nicht viel mehr herausgekommen ist, als ein paar mit DNS verunreinigte Wattestäbchen.

    Ich wünsche mir - und das hoffentlich auch im Sinne der Verwandten und Kollegen von Frau Kiesewetter - dass die Sonne alles an den lichten Tag bringt.

  • I
    IgorSoukharyev

    Ja! Alles ist heuchlerische Lüge und willkürlicher Betrug!

    Und die Ursache ist der vom Staat erlaubte und lizenzierte Verkauf der Gerechtigkeit. Private Rechtsanwälte verteidigen gerne, mit besonderer Begeisterung und immer erfolgreich Mörder, Diebe, Betrüger, Neo-Nazis. Und Nicht-schuldige gelangen nach der Gerichtssitzung ohne Verteidigung und ohne Vorschlag von einem staatlichen ins Gefängnis. Und diese Rechtsanwälte haben keine private Beziehungen mit Richtern - enge und produktive Zusammenarbeit ist ausschließlich auf korporativer Ethik begründet. Hühner lachen, aber glauben. Sehr religiöse Huhner.

    Ich bin der Zeuge. Mit krimineller Verantwortung für falsche Aussagen informiert und einverstanden.

    Deutsche Justiz hat mich fast endlich überzeugt - Nazismus ist ein deutscher Brauch.

  • R
    Randmauler

    Schade, dass es dem Artikel an Recherche fehlt. Wenige Telefonate hätten genügt, um in Erfahrung zu bringen, dass sich die Familie Kiesewetter 1993 oder 1994 um die Anpachtung des Gasthofes in Lichtenhain bewarb. Eine Konkurrenz zwischen der Familie der später erschossenen Polizistin und dem Pächter aus dem Umfeld der Nazi-Szene hat es nicht gegeben. Die Ausschreibung, die er gewann, erfolgte 2004.