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Aufenthaltsrecht für FlüchtlingeSchwarz-Gelb findet Ausländer wertvoll

Bald läuft das "Aufenthaltsrecht auf Probe aus" und rund 14.000 Flüchtlingen droht erneut die Duldung. Nun will auch Schwarz-Gelb ein liberaleres Bleiberecht.

Wie lange werden sie bleiben dürfen? Flüchtlinge bei der Ankunft in Nürnberg. Bild: dpa

BERLIN taz | Rund 14.000 Personen, so schätzen Pro Asyl und die Hilfswerke der Kirchen, droht Ende 2011 der Rückfall in die Duldung. Der Grund dafür: Die Frist für die sogenannte Aufenthaltserlaubnis auf Probe läuft aus.

Es ist ein Experiment, das Bundesregierung und Länderinnenminister 2007 begannen und 2009 um zwei Jahre verlängerten. Langjährig in Deutschland geduldete Flüchtlinge, die man aus humanitären Gründen nicht abschieben kann, bekamen eine Probezeit, um zu beweisen, dass sie ihre Familie selbst ernähren können. Waren sie zudem in die Gesellschaft integriert, hatten sich keine Straftaten zu schulden kommen lassen, stand ein - immer wieder zu erneuerndes - Aufenthaltsrecht in Aussicht.

Doch weil die Betroffenen durch Gesetze jahrelang vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden, keinen Anspruch auf berufliche Qualifizierungen oder vom Arbeitsamt finanzierte Sprachkurse hatten, schafften viele von ihnen den Sprung in die Existenzsicherung nicht. So droht ihnen jetzt, zum Stichtag 31. Dezember 2011, der Rückfall in einen unsicheren Rechtszustand.

Integrierte Menschen anerkennen

Eva-Marie Rütenik-Kulla, von der Diakonie Berlin-Steglitz, kennt solche Fälle: "Dass mal jemand 1.800 Euro Brutto verdient, ist die Ausnahme." Aber diejenigen, die bei "Netzwerk Bridge" seien, einer Initiative verschiedener Träger, die Geduldeten ein Bleiberecht durch Arbeit ermöglichen will, wären unglaublich motiviert - und die Arbeitgeber angetan.

Nachdem es lange so aussah, als würde der Stichtag einfach so verstreichen, ist nun Bewegung in die Debatte gekommen. Das Interessante daran: Nicht nur das rot-grüne Rheinland-Pfalz hat der Innenministerkonferenz (IMK), die Donnerstag und Freitag in Wiesbaden tagt, einen Antrag vorgelegt, der die Minister dazu auffordert, von der Bundesregierung ein neues Bleiberecht zu verlangen. Auch die schwarz-gelbe Regierung Schleswig-Holsteins hat beschlossen, eine Bundesratsinitiative für eine "Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration" anzustoßen.

Der Vorstoß geht auf den parteilosen Justiz- und Integrationsminister Schleswig-Holsteins, Emil Schmalfuß, zurück. "Wir wollen keinen Zuzug in die Sozialsysteme. Aber die Menschen sind hier und integrieren sich, das sollten wir anerkennen. Im Zeichen des demografischen Wandels sind sie auch wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft", erklärt Norbert Scharbach, Staatssekretär von Minister Schmalfuß, das Vorhaben.

Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kann den Vorstoß trotz aller Kritik an Details erst einmal nur begrüßen. "Das ist ein Paradigmenwechsel. Man sieht endlich ein, dass alle andere Regelungen keine Lösung sind. Die Menschen sind hier."

Alle Vorstöße, auch die der drei Oppositionsparteien, fordern eine dauerhafte Rechtsgrundlage. "Die Stichtagsregelung war gut, aber wir brauchen eine Dauerlösung, um die Integrationsleistung der Menschen anzuerkennen. Es laufen ja auch immer wieder neue Fälle auf", sagt Horst Muth, unter der grünen rheinland-pfälzischen Integrationsministerin Irene Alt Referatsleiter für Ausländer- und Asylrecht. Flüchtlingsverbände gehen von weiteren 86.000 Geduldeten aus, die von solch einer Regelung profitieren könnten.

Regulären Aufenthaltstitel bekommen

Gäbe es eine dauerhafte Lösung, könnten alle Betroffenen versuchen, nach einigen Jahren des nur geduldeten Lebens in Deutschland einen befristeten Aufenthaltstitel zu erlangen.

Die Hürden dafür legen die politischen Lager unterschiedlich hoch. Schleswig-Holstein will, wie auch die SPD, allein den Zugang zum Rechtsanspruch an eine acht- bzw. sechsjährige Wohndauer für Alleinstehende oder Familien in Deutschland knüpfen. Rheinland-Pfalz fordert dafür sieben und fünf Jahre, Grüne und Linke fünf und drei.

Dazu müssen diverse andere Kriterien erfüllt werden. Unter anderem die ebenso je nach politischem Lager unterschiedlich streng gehandhabte Voraussetzung, dass die Betroffenen ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Leistungen sichern müssen. Bei Familien mit minderjährigen Kindern soll jedoch nur eine "überwiegende Lebensunterhaltssicherung" notwendig sein, Sozialleistungsbezüge bei Kranken, Behinderten oder im Alter dürften kein Ausschlussgrund für einen Aufenthaltstitel sein, fordern beispielsweise Rheinland-Pfalz, aber auch Schleswig-Holstein.

Doch erst einmal müssen grundsätzliche Widerstände überwunden werden: Sowohl Niedersachsen Innenminister Uwe Schünemann, bekannt für seine in Flüchtlingsfragen harte Haltung, als auch das Bundesinnenministerium signalisieren bisher noch, dass sie keine Notwendigkeit für eine Neuregelung oder eine Verlängerung der "Aufenthaltserlaubnis auf Probe" sehen. Ihre Zustimmung ist jedoch im Rahmen der IMK notwendig, die Beschlüsse nur einstimmig fällen kann.

So setzen Flüchtlingsinitiativen auf Druck aus den Bundesländern. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat derweil vorsorglich per Erlass die Regelung für das "Aufenthaltsrecht auf Probe" um zwei Jahre verlängert. Und auch der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) hat zumindest diesen Schritt bereits angekündigt.

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9 Kommentare

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  • Z2
    Zorin 2

    Politische Flüchtlinge sind wertvoll, Leute die vor dem Verhungern fliehen aber nicht?

     

    Hallo Lena und andere gute Menschen: Guckt ihr im TV manchmal Reportagen aus Afrika und den arabischen Ländern? die zuständige Familienministerin in Nigeria, vielleicht war es auch nur ihre Sprecherin, träumte jüngst davon, die Leute dort zu weniger Kindern pro Frau überreden zu können, schränkte aber ein: "Vier Kinder sind OK."

     

    Als Konsequenz daraus wird es schon bald ungeheure Hungersnöte geben. Und dann? Sollen die Verhungernden dann alle hier her kommen? Nach dem was ihr hier und anderswo ständig sagt und fordert, wollt ihr das ja. Was das zuerst für das bisschen Natur bedeutet, das noch übrig ist, bald darauf auch für die Menschen hier, kann sich jeder Grundschüler an zwei Fingern abzählen.

     

    Ich glaube euch - den Grünen - das nicht, dass ihr darüber untereinander nicht auch sprecht und alles genau durchschaut. Aber ihr seid eben auch nicht mutiger als die anderen Deutschen, die ihr verachtet und täglich beschimpft. Und euer Verhalten, andere die Drecksentscheidungen fällen zu lassen, die ihr insgeheim auch wünscht, euch aber hinterher das Mäntelchen des Heiligen aus dem Morgenland umzuhängen, ist einfach nur infam.

  • A
    andreas

    Was dem Einen die Durchmischung(Hauptantrieb der deutschen Linksgrünen) mit den verhassten Deutschen ist, ist dem Anderen(Neoliberale FDPler) der Immobilienmarkt und die Aufrechterhaltung des unendlichen Angebots an billigen Arbeitskräften.

     

    Was das mit den Einwanderern selbst macht ist Beiden im Grunde vollkommen egal. Es müssen nur möglichst Viele sein, das allein zählt.

     

    P.S Wenn die Bevölkerung in diesem Land zurückgeht dann ist das eben so, das ist schon dutzende Male vorgekommen und kann unserer Umwelt nur gut tun.

  • D
    Daniel

    an die Vorkommentatoren:

     

    es geht hier gar nicht um "Zuzug in die Sozialsysteme" (was übrigens auch durch Studien widerlegt ist), sondern um FLÜCHTLINGE, die vor Krieg, Verfolgung, Folter, etc. geflohen sind und hier, mit ganz wenigen Ausnahmen, auf Jahre in einem Schwebezustand existieren, in dem ihnen ständig die Abschiebung droht, auch wenn es im jeweiligen Land noch nicht sicherer geworden ist. Diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, hier legal leben und arbeiten zu dürfen (und übrigens nicht "direkt", sondern nach vielen Jahren) ist nicht nur menschlich geboten, sondern auch ökonomisch und sozial sinnvoll.

  • Z
    Zwitscher

    finde es unerträglich, den Begriff "wertvoll" zu verwenden.

    @von Stefan:

    "Unser Sozialbudget" speist sich nicht unerheblich aus Raubbau, Waffenhandel und Unterdrückung.

  • L
    Lena

    Eine reelle Kommentarpolitik jenseits von "jeder Kommentar ist wertvoll" wäre längst überfällig. Unsere Geduld mit lästigem Rassismus ist eben kein unendlich verfügbares Füllhorn.

  • HG
    Hubert Graupensiepen

    Scharzgelb ist für ein Bleiberecht? Ja klar, denn bei einer schrumpfenden Bevölkerung werden ja sonst die Immoblilien wertlos.

    Da werden die Menschen mal wieder zu Verfügungsmasse.

  • A
    Abstimmen

    Entweder fragt man die Deutschen mit wem sie leben wollen, wer kommen soll und wieviele kommen sollen oder es endet in einer Katastrophe. Die Leute sind mehrheitlich nie "ausländerfeindlich" gewesen wie jedem unterstellt wurde der nicht seine Kultur gegen Multikulti tauschen wollte. Bei der ersten demokratischen Gelegenheit wird das jetzige Dogma der bunten multikulturellen Gesellschft weggepustet werden. Dagegen wird S21 und die schweigende Mehrheit nichts sein. Das weiß man und versucht fieberhaft kommende Abstimmungen durch Pässeverteilen zu untergraben. Das wird nicht reichen und nach einer Abstimmung kann das Klima zu Unrecht sogar generell gegen Passempfänger aus dem orient umschlagen. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß man politisch wie medial bis zur letzten Patrone und mit Schaum vor dem Mund versuchen wird Demokratie zur selbstbestimmten Planung von Einwanderung zu verhindern. Dann werden die jetzigen Dogma-Vorbeter verlieren. Das kommt eher früher als später.

  • I
    Ika

    Man kann durchaus eine gute Integration ermöglichen ohne diesen Menschen (direkt) eine volle Integrierung in unser Sozialsystem zu ermöglichen/zu verlangen. Wichtig wäre, diese Menschen integrieren und nicht assimilieren zu wollen.

  • S
    Stefan

    Eine reelle Migrationspolitik jenseits von "jeder Mensch ist wertvoll" war lange überfällig. Unser Sozialbudget ist eben kein unendlich verfügbares Füllhorn.