Urteil über Schul-Volksentscheid: Verfassungsrichter uneins
Verfassungsgericht lehnt Klage gegen Schul-Volksentscheid ab. Doch vier der neun Richter sprechen sich für eine Neuauszählung aus.
![](https://taz.de/picture/236673/14/Cyber_N4_volksentscheidDPA_4spSW.jpeg)
Über zwei Stunden lang sah es für die drei Kläger Klaus Krönert, Jan Vlamynck und Christian Lührs nach einer krachenden Niederlage aus. Ihr Antrag auf Anfechtung des Volksentscheids zur Schulreform "wird abgelehnt", hatte der Verfassungsrichter Gerd Harder erklärt und anschließend die 50-seitige Begründung verlesen, während die Richterkollegen daneben saßen. Doch ganz zum Schluss die Überraschung: Vier der neun Verfassungsrichter erklärten sich in einem "Sondervotum" nicht einverstanden mit der Ablehnung. Hinter den Kulissen hatte es gekracht. Die Mehrheit des Gerichts setze sich über wichtige Einwände "zu Unrecht hinweg", verlas Verfassungsrichter Michael Nesselhauf.
Eine Fünf-zu-vier-Entscheidung ist knapp und ungewöhnlich. Sie bezieht sich auf den Kern der Klage: War es korrekt, dass die Hamburger beim Volksentscheid vom 18. Juli 2010 sowohl für die sechsjährige Primarschule (Vorlage der Bürgerschaft) als auch für die vierjährige Grundschule (Vorlage der Volksinitiative "Wir wollen lernen") mit "Ja" stimmen konnten?
Klägeranwalt Uwe Lipinski sagt, so komme kein klarer Volkswille zustande. Die Mehrheitsfraktion der Richter erklärte diesen Anfechtungsgrund für "unbegründet". Denn es habe sich hier "um zwei separate Abstimmungen" gehandelt. Und nicht um eine "vom Stimmberechtigten zu treffende Auswahlentscheidung". Das hamburgische Volksabstimmungsgesetz lasse dies zu und sehe keine Ausnahmen für den Fall "inhaltlicher Widersprüchlichkeit" vor.
Ganz anders beurteilten dies Nesselhauf und seine drei Richterkollegen Martin Willich, Cornelia Ganten-Lange und Hannelore Wirth-Vonbrunn. Sie hatten im Zuge der Beratungen gefordert, dass die Zahl der Doppel-Ja-Stimmen nachträglich ausgezählt wird. Dafür müsste die mündliche Verhandlung vom 20. Juni wieder eröffnet werden.
Die Frage, ob vier oder sechs Jahre Grundschule, stünde in einem "Entweder-Oder"-Verhältnis, schreiben die vier. Somit habe ein Bürger, der mit Doppel-Ja stimmte, keine inhaltliche Entscheidung getroffen. Diese Stimmzettel müssten unberücksichtigt bleiben.
Bekanntlich stimmten 276.416 Hamburger gegen die Primarschule und nur 217.969 dafür. Doch die Gegner brauchten mindestens 247.335 Stimmen, um das Quorum für verbindliche Volksentscheide von einem Fünftel der Wählerstimmen zu überwinden. Würden mehr als 29.081 Doppel-Ja-Stimmen in den Wahlurnen gefunden, wäre das Quorum verfehlt. Es sei "nicht auszuschließen", dass das Ergebnis bei "verfassungsrechtlich einwandfreier Ermittlung anders ausgefallen wäre", schreibt das Richter-Quartett und bezieht sich auf den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
Die drei Kläger hatten weitere Punkte an den Abstimmungs-Vorlagen moniert. Unter anderem sei das Haushaltsrecht des Parlaments verletzt worden. Diese Fragen hat das Gericht gar nicht erst geprüft.
Klägeranwalt Lipinski zeigte sich enttäuscht. Das Gericht habe letztlich nicht geklärt, ob der Volksentscheid verfassungskonform sei. "Die wollten sich nicht festlegen."
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