Generalstaatsanwalt über Funkzellenabfrage: "Wir suchten die Nadel im Heuhaufen"

Sachsens Generalstaatsanwalt Fleischmann über Konflikte beim Dresdner Naziaufmarsch und die Frage, ob in Sachsen Linke stärker verfolgt werden als Rechte.

Keine "bösartigen Straftäter", nur "Überzeugungstäter". Bild: dapd

taz: Herr Fleischmann, das Bündnis "Dresden nazifrei" ruft bei den Demonstrationen gegen die Naziaufmärsche am 18. Februar zu einer "Funkzellenparty" auf. Jeder soll so viele Handys wie möglich mitbringen. Läuft damit nicht das Instrument der Funkzellenabfrage ins Leere?

Klaus Fleischmann: Das Mittel der Funkzellenabfrage (FZA) bei Großveranstaltungen hat sich erschöpft - insbesondere dann, wenn der Teilnehmerkreis intelligent genug ist, Gegenstrategien zu entwickeln. In den letzten Monaten ist diese Polizeistrategie, Straftätern auf die Spur zu kommen, so offen geworden, dass jeder weiß, wie er eine Funkzellenabfrage ins Leere laufen lassen kann. So, wie seinerzeit die Vermummung aufkam, um einer Fotografie zu entgehen. Eine andere Frage ist die der Auswertbarkeit der Massendaten. Wir wollten die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchen, mussten aber im Nachhinein feststellen, dass wir sozusagen in einer ganzen Scheune suchen.

Räumen Sie damit ein, dass der Einsatz der FZA 2011 in Dresden unverhältnismäßig war?

60, ist seit 2007 Generalstaatsanwalt in Sachsen. Geboren im bayerischen Münchberg, war er zunächst Richter in Hof und wurde 1993 nach Sachsen versetzt. In seiner Jugend, sagt er, habe er nach links tendiert. In der sächsischen Funkzellenaffäre war Fleischmann jüngst mit harscher Kritik am Landesdatenschutzbeauftragten Schurig in den Schlagzeilen.

Nein. Ein Versuch war sicherlich in Ordnung. Auch mit dem jetzigen Kenntnisstand wäre der Einsatz verhältnismäßig. Fraglich ist allerdings, ob er Erfolg versprechend wäre. Grundsätzlich hat sich die Funkzellenabfrage als strafprozessuales Mittel sicher nicht überlebt. Es gibt genug Ermittlungserfolge, zum Beispiel bei Baumaschinendiebstählen. Bei Massenveranstaltungen sieht das anders aus, wenn sich potenzielle Täter darauf einstellen.

Erwarten Sie erneut Gewalt am 18. Februar, oder ändert die neue Konstellation einer Großdemo in Hör- und Sichtweite des Naziaufmarsches etwas?

Das kann ich ganz schlecht beurteilen. Ich hoffe sehr, dass das Demonstrationsrecht von den Behörden auf stationäre Kundgebungen reduziert werden kann, um schwer zu schützende Aufzüge zu vermeiden.

Im kommenden Februar sind wieder Neonaziaufmärsche in Dresden geplant - und Proteste dagegen. Der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP) will nicht ausschließen, dass dabei erneute Handyüberwachungen zum Einsatz kommen. Martens sagte in einem Interview, Gewalttäter, die mit Molotowcocktails oder Steinen auf Menschen und Sachen werfen, bekämen "Probleme mit dem Staatsanwalt". "Wer gewalttätig ist, muss damit rechnen, dass gegen ihn mit allen zulässigen Mitteln vorgegangen wird, also auch nötigenfalls seine Daten von den Ermittlungsbehörden abgefragt werden". "So es geht, soll auf eine Funkzellenabfrage verzichtet werden. Wir wollen auf keinen Fall friedliche Demonstranten einschüchtern", sagte Martens. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Michael Leutert (Linkspartei) bleibt trotzdem skeptisch: "Die Begründung, Gewalttäter feststellen zu wollen, diente schon 2011 als Legitimation zur Erfassung hunderttausender Handydaten". Es sei zu befürchten, dass sie nur als Vorwand für ein "neues Handygate" dienen soll.

Es gibt bereits Aufrufe zu Blockaden.

Blockaden sind eine eindeutige Straftat. Ich darf, unabhängig von der politischen Gesinnung, genehmigte Demonstrationen nicht grob stören.

Jena hätte das berüchtigte braune "Fest der Völker" nicht ohne Blockaden aus der Stadt vertrieben. Heiligt der gute Zweck nicht die Mittel?

Ich weiß nicht, ob das ein guter Zweck ist. Das kommt immer durcheinander. Das Demonstrationsrecht einem Bürger zu nehmen, ist kein guter Zweck. Gegen braune Lehren anzugehen, ist ein guter Zweck, aber bitte mit legitimen Mitteln.

Es entsteht der Eindruck einer gewissen Kulanz: Der Staat verfolgt Blockierer aus Prinzip, bietet aber gegen relativ geringe Geldbußen eine Einstellung des Verfahrens an.

Nein, die Blockierer oder Störer von Versammlungen sind ja keine bösartigen Straftäter, sondern letztlich Überzeugungstäter, die der Meinung sind, die Bekämpfung der braunen Gefahr würde dieses Mittel rechtfertigen. Aber das ist eine Fehleinschätzung, die, obwohl sie konträr zur Rechtsordnung steht, nicht mit harten Sanktionen verfolgt werden muss. Ganz anders als bei Steinewerfern, für die ich überhaupt kein Verständnis habe.

Können Sie sich erklären, wie auch außerhalb Sachsens der Eindruck entstehen konnte, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft linke Gegendemonstranten ganz besonders emsig verfolgt?

Es wurde kein einziger Demonstrant verfolgt! In Teilen der veröffentlichten Meinung war von Demonstranten die Rede, aber in Wirklichkeit wurden Straftäter verfolgt. Ich zeige Ihnen hier einen Pflasterstein, wie er zu hunderten auf Polizisten geworfen wurde.

Sie haben Zweifel am NPD-Verbot geäußert. Ist dies in der gegenwärtigen Aufregung nur ein politisches Placebo?

Placebo wäre zu hart formuliert. Das NPD-Verbot ist für mich eine Möglichkeit - aber nur dann eine gute, wenn man sicher sein kann, dass es funktioniert. Noch einmal zu scheitern, wäre katastrophal. Ich weiß nicht sicher, ob die V-Männer bei den Spitzenleuten in der NPD wirklich abgeschaltet sind, wie in Thüringen behauptet wird. Ich traue dieser V-Leute-Problematik überhaupt nicht.

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