Sexshop "Other Nature": Alles außer Schweinkram
In Berlins erstem queer-feministisch-ökologisch-veganem Sexshop gibt es stimulierendes Spielzeug und tabulose Beratung - ganz unschmuddelig.
„Ach, Siri, du bist aber schlapp heute“, sagt Anne Bonnie Schindler, „sind deine Batterien leer?“ Die 32-Jährige geht mit den Vibratoren in ihrem Laden so liebevoll um wie andere Leute mit ihren Haustieren. Dann verschwindet sie kurz mit einem Dildo in der Hand: „Der Vixskin ist ein bisschen fusselig, ich geh den mal abspülen.“
Anne Bonnie Schindler hat mit ihrer Geschäftspartnerin Sara Rodenhizer den ersten queer-feministisch-ökologisch-veganen Sexshop Berlins eröffnet: „Other Nature“. Der Laden am Kreuzberger Mehringdamm besteht aus zwei Räumen. Vorn gibt es Sexspielzeug wie Dildos und Vibratoren, Gleitgel mit Haselnuss-Karamell-Geschmack, bunte Hanfseile zum Fesseln und schwarze Gummihandschuhe– aber auch alternative Menstruationsprodukte. Im hinteren Raum warten DVDs, Bücher und Zeitschriften auf Kundschaft.
Zwei junge Frauen betreten den Laden. „Hallo, ihr Lieben“, begrüßt Anne Bonnie Schindler die beiden. Sie wollen sich erst mal umsehen, befühlen die bunten Dildos und die Slipeinlagen aus Baumwolle. Der ganze Laden ist in hellen Farben eingerichtet, es gibt gemütliche Sessel, man duzt sich. Am Ende kaufen die beiden Frauen Postkarten und Anstecker mit feministischen Sprüchen. Dabei richtet sich das Angebot von „Other Nature“ keineswegs nur an Frauen. „Queer“ heißt hier, dass alle Leute willkommen sind, egal, wie sie sich geschlechtlich einordnen und von wem sie sich sexuell angezogen fühlen.
Ein sicherer Raum
Anne Bonnie Schindler hat Tee gekocht und serviert Blaubeeren. Sie erzählt, dass sie früher in einem herkömmlichen Sexshop gearbeitet hat. Eigentlich war sie dort ganz zufrieden: Den Laden führten zwei Frauen, die KundInnen wurden ausführlich beraten. „Trotzdem merkte ich, dass es nicht das ist, was frau braucht“, sagt sie. Es gab verdunkelte Fenster, Videokabinen zum Onanieren. „Alles war sehr auf den männlichen Orgasmus fixiert.“ In der Eingangstür hing ein dunkler Latexvorhang. „Der hat mir bei meinem Vorstellungsgespräch die größten Sorgen bereitet: Wie laufe ich da selbstbewusst durch, ohne mich zu verheddern?“, erzählt Schindler und lacht. Heute will sie genau solche Fragen ihren KundInnen ersparen. Ihr Laden soll ein sicherer Raum sein, in dem man sich wohl fühlt. Wer will, kann sich zu einer persönlichen Sprechstunde vor oder nach den Öffnungszeiten anmelden. Dabei geht es nicht nur um Sexualität ohne Tabus, sondern auch um gesellschaftliche Körperideale, Beziehungsnormen, mediale Bilder.
Was das Fachwissen und die Produktideen betrifft, hat Anne Bonnie Schindler ihrer Geschäftspartnerin Sara Rodenhizer viel zu verdanken. Die arbeitete früher in einem feministischen Sexshop in Kanada, zunächst als Aushilfskraft, später als Managerin. „Sara hat das absolute Know-how, was unsere Produkte angeht“, sagt Schindler.
Überhaupt scheint die Zusammenarbeit der beiden Frauen unter einem guten Stern zu stehen. Kennengelernt haben sie sich Anfang 2011 beim „Slut Conspiracy Stammtisch“, einem feministischen Kollektiv. Da hatte Anne Bonnie Schindler schon acht Jahre lang davon geträumt, einen eigenen feministischen Sexladen zu eröffnen: „Die Stadt setzt sich viel mit Sexualität auseinander, theoretisch und praktisch, aber einen Laden wie unseren gab es noch nicht.“ Darüber wunderte sich auch Sara Rodenhizer, die inzwischen nach Berlin gezogen war.
Dann ging alles ganz schnell. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, suchten nach einem leerstehenden Ladenlokal. Schon im Oktober 2011 wurde „Other Nature“ eröffnet.
Der Name des Ladens erklärt sich nicht ganz von selbst. Einerseits bezieht sich das Wort „Other“ darauf, dass der Laden anders sein soll als normale Sexshops, und das Wort „Nature“ darauf, dass es hier ausschließlich körper- und umweltfreundliche Produkte gibt, die vegan sind, also ohne tierische Stoffe hergestellt. Andererseits geht es auch darum, zu zeigen, dass hier jede „Natur“ willkommen ist: „Egal wie anders man ist, es ist immer eine Art von Natürlichkeit“, erklärt Anne Bonnie Schindler. In den Medienberichten über „Other Nature“ ist meist nur von der ökologisch-veganen Ausrichtung des Ladens die Rede, aber kaum von der queeren und feministischen. Der Focus titelte „Hier kommen vegane Sadisten zu ihrer Peitsche“, der Berliner Kurier fragte: „Wie viel Spaß macht Veganer-Sex?“ Stefan Raab freute sich in „TV total“ über die Schlagzeile „Erster Sexshop für Veganer“: „Heißt das, da gibt’s keinen Schweinkram?“ Schindler und Rodenhizer nahmen es gelassen und kommentierten auf ihrer Facebook-Seite: „Aber hey, wenn ihr darüber lacht – es sei euch verziehen.“
„Natürlich war es schade, dass viele Medien das so aufgezogen haben“, findet Schindler, „aber es ist auch verständlich. Ein feministischer Sexshop, das ist für die Bild kein Aufreißer!“ Sie gibt zu, dass das Konzept mit seinen vielen Aspekten vielleicht etwas kompliziert ist. „Da stecken ja viele Jahre Arbeit dahinter.“ Die meisten Berichte konzentrierten sich deswegen einfach auf ausgefallene Produkte wie die Peitschen aus Fahrradschläuchen: Während normale Peitschen meist aus Leder sind, stellt der Künstler Anton Blume seine aus recycelten Materialien her, unter anderem eben aus Fahrradschläuchen.
Bisher gibt es für Erotikartikel noch keine Öko- oder Fair-trade-Siegel, deswegen müssen Schindler und Rodenhizer alles bei den Herstellern selbst erfragen: Wo kommen die Materialien her? Werden tierische Stoffe verwendet? Wo wird produziert und unter welchen Arbeitsbedingungen? Wenn sie mit den Antworten nicht zufrieden sind, kommt der Artikel nicht ins Sortiment.
Vibrator „Lipstick“
Schindler zeigt einen Vibrator in rosa und lila, er heißt „Lipstick“ und wird von der Berliner Manufaktur „Playstixx“ hergestellt. „Das ist einer der ersten Vibratoren, die 2007 von der Zeitschrift Ökotest als ’sehr gut‘ bewertet wurden“, erklärt sie. Fast die Hälfte der getesteten Modelle enthielt Schadstoffe und bekam das Urteil „ungenügend“. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Ökotrend von Essen, Kosmetik und Kleidung auch auf Sexspielzeug übergeht.
„Ökologischer und veganer Lifestyle, das sind zurzeit Trends, und das ist natürlich gut für unseren Laden“, sagte Anne Bonnie Schindler. Aber ursprünglich sei ihre Idee eine feministische gewesen: „Wir wollen Produkte anbieten, die vor allem Frauen in ihrer Sexualität ermutigen, aber auch einfach gesund sind.“ Der ökologische und der feministische Aspekt hängen für die „Other Nature“-Betreiberinnen eng zusammen, beides steht aus ihrer Sicht für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Welt. „Das vegane Konzept hat sich daraus eigentlich nur konsequent ergeben“, so Schindler.
Ob sich der Laden finanziell trägt, können die beiden Inhaberinnen erst in ein oder zwei Jahren sagen. Momentan laufe es aber sehr gut, es komme viel Kundschaft, ganz unterschiedliche Menschen.
Wie aufs Stichwort betritt ein Mann in den Laden, vielleicht Ende vierzig, mit Regenjacke und Nordic-Walking-Stöcken. Was es denn demnächst für Workshops gebe, möchte er wissen. „Other Nature“ bietet nämlich auch Veranstaltungen zu Sexualität, Gesundheit und Beziehung an. „Als Nächstes gibt es was zu lesbischem Safer Sex, aber das ist nicht so dein Schwerpunkt, ne?“, sagt Anne Bonnie Schindler. „Nee“, erwidert der Mann, „ich wollte wissen, wann es wieder was über Bondage gibt.“ Schindler sagt, zum Thema Fesseln sei erst mal nichts geplant, aber sicher bald wieder. Der Interessent bedankt sich und geht, Schindler erzählt weiter: „Heute Mittag war eine 50-jährige türkische Mutter da. Es war alles ganz neu für sie. Dann hat sie einen ganz kleinen Vibrator gekauft, zum Ausprobieren.“ Anne Bonnie Schindler lacht, sie ist zufrieden. Es sieht aus, als würde ihr Konzept aufgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!