Aus „Le Monde diplomatique“: Iran am langen Hebel
Der Krieg gegen den Iran hat längst begonnen. Seit Jahren verschärft der Westen die Wirtschaftssanktionen und nimmt die unkalkulierbaren Folgen in Kauf.
Dass ein Iran ohne Atomwaffen einem nuklear gerüsteten Iran vorzuziehen wäre, wird kaum jemand bestreiten. Nicht einmal der Iran selbst: Das Land hat den Atomwaffensperrvertrag (NPT) nicht aufgekündigt, akzeptiert die Inspektion seiner wichtigsten Nuklearanlagen(1) durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO), und seine politischen Führer – zuallererst Großajatolla Ali Chamenei – haben wiederholt erklärt, dass der Besitz, die Herstellung oder der Einsatz von Atomwaffen nicht mit den Grundsätzen des Islam zu vereinbaren sei.
Seit den Tagen des Schahregimes befürwortet das Land eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten. Nach übereinstimmender Einschätzung von 16 verschiedenen US-Geheimdiensten gibt es keine gesicherten Hinweise darauf, dass sich Teheran zum Bau der Bombe entschlossen hat.(2)
Ein solcher Schritt dürfte wohl auch nicht lange unentdeckt bleiben. Bei der Entwicklung der iranischen Nukleartechnik gibt es gleichwohl genug Unklarheiten und dunkle Stellen, die nicht gerade Vertrauen stiften. Und die Brandreden islamischer Führer verschärfen natürlich noch das Misstrauen. Bleibt die Frage, wie man darauf reagieren soll.
Gary Sick war Berater von US-Präsident Jimmy Carter und ist Autor von „October Surprise: America’s Hostages in Iran and the Election of Ronald Reagan“, London (I.B. Tauris) 1991
Hardliner Frankreich und Großbritannien
Eine populäre Denkschule geht davon aus, dass der Iran zu einem Kurswechsel nur durch Zwangsmaßnahmen zu bewegen sei. US-Präsident Clinton war der Erste, der Mitte der 1990er Jahre eine solche Politik verfolgte, die von George W. Bush und Barack Obama fortgeführt wurde.(3) Die europäischen Staaten hielten sich anfangs zurück, doch seit einigen Jahren sind Frankreich und Großbritannien die striktesten Befürworter härterer Maßnahmen.
Zu Beginn der Sanktionspolitik betrieben die Iraner nur ein sehr rudimentäres Nuklearprogramm: Sie verfügten damals über keine einzige Zentrifuge. Nach 16 Jahren verschärfter Sanktionen berichtet die IAEO im Februar 2012 über ein umfangreiches Nuklearprogramm mit etwa 8 800 Zentrifugen, die schon über fünf Tonnen schwach angereichertes Uran erzeugt haben sollen.(4) Die Sanktionspolitik muss damit als gescheitert gelten.
Dass Teheran stillhält, ist unwahrscheinlich
Dieser Beitrag ist aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique, der taz-Beilage, die es übrigens auch als separates Abo gibt. Und für SchülerInnen, StudentInnen und Auszubildende gibt es gerade eine besonderes Angebot (bis zum 9.4. gültig)!
Die Antwort der Internationalen Gemeinschaft auf diese Entwicklung bestand darin, die Sanktionen weiter zu verschärfen. Und zwar bis zu dem Punkt, dass der Iran sein Öl nicht mehr absetzen kann, was für den Staat einen Einnahmeverlust von mindestens 50 Prozent bedeuten würde. Die Wirkung wäre dieselbe wie bei einer militärischen Blockade der iranischen Ölhäfen, die als Kriegshandlung gelten würde.
Damit schlagen die Sanktionen, die zunächst als Alternative zu einem Krieg gedacht waren, in einer Form wirtschaftlicher Kriegführung um. Wenn Mitte 2012 der fast vollständige Boykott iranischer Bankgeschäfte und Ölexporte durch die USA und die Europäische Union formell in Kraft tritt, wird aus den wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen endgültig ein verdeckter Krieg geworden sein. Niemand kann sagen, wie der Iran auf diesen Angriff reagieren wird. Aber dass Teheran stillhält oder einfach klein beigibt, ist wenig wahrscheinlich.
Die Sanktionspolitik gegen den Iran basiert auf der stillschweigenden Überzeugung, dass das Land denen, die zu Sanktionen greifen, keinen nennenswerten Schaden zufügen könne. Das glauben offenbar auch die ungenannten Kräfte, die bereits einen verdeckten Krieg eröffnet haben – mit der Ermordung iranischer Wissenschaftler oder mit Cyberterror mittels des Computerwurms „Stuxnet“, der die iranische Urananreicherung lahm legen sollte.(5)
Drohnen über Belutschistan
Mittlerweile wissen wir auch, dass die USA unbemannte Fluggeräte in den iranischen Luftraum entsenden. Zwei dieser Drohnen wurden abgeschossen, eine dritte vom Iran relativ unbeschädigt geborgen. Zudem gibt es glaubwürdige Berichte über eine westliche Unterstützung für Separatisten in den iranischen Regionen von Belutschistan, Chusistan, Kurdistan und Aserbaidschan. In Belutschistan haben israelische Agenten offenbar Verbindungsleute rekrutiert und sich dabei als CIA-Mitarbeiter ausgegeben.(6)
Solche Aktivitäten werden in Israel, den USA und einigen EU-Staaten mit Nachsicht oder gar Zufriedenheit gesehen. Darin zeigt sich ein gewisser Widerspruch: Obwohl immer wieder betont wird, der Iran sei eine Gefahr für Frieden und Stabilität in der Welt, beruht die westliche Politik auf der unausgesprochenen Annahme, das Land könne sich gegen die finanziellen Zwänge und verdeckten Angriffe auf seine Sicherheit kaum zur Wehr setzen. Im Übrigen würde natürlich keiner der Urheber dieser Gewaltaktionen Ähnliches auf eigenem Territorium hinnehmen.
Wie könnte die Reaktion Teherans aussehen? Militärisch stellt der Iran keine große Bedrohung für die Nachbarstaaten dar. Sein Militärhaushalt ist nicht nur im Vergleich zu dem der USA oder der Nato lächerlich gering. Auch die Militärausgaben des Golfkooperationsrats, also der sechs arabischen Staaten auf der gegenüberliegenden Seite des Persischen Golfs, übertreffen den iranischen Wehretat um ein Vielfaches.(7 )Zudem ist der Iran von Luft- und Marinestützpunkten der USA und der Nato umzingelt. Die Führung in Teheran weiß natürlich um die eigene Schwäche und wird jede direkte militärische Konfrontation vermeiden.
Auch für den Cyberkrieg gerüstet
Angesichts dieser westlichen Militärpräsenz investiert der Iran seit Jahren in eine relativ billige und robuste Verteidigung am Boden, die jedem Angreifer hohe Verluste zufügen könnte. Zudem hat man ein System asymmetrischer Kriegführung entwickelt und perfektioniert. Dazu gehören Guerillataktiken und der Einsatz einer Schnellbootflotte, die große Kriegsschiffe belästigen oder vielleicht sogar ausschalten kann. Iran verfügt auch über Marschflugkörper, eine relativ einfache Waffe, die aber im massiven Einsatz gegen große Ziele sehr wirksam sein kann.
Auch für den Cyberkrieg ist der Iran nicht schlecht gerüstet. Anders als bei der konventionellen Kriegführung herrscht im Internet ungefähre Waffengleichheit. Und iranische Experten haben bereits bewiesen, wie gut sie ihr Metier beherrschen, und zwar erstmals beim gewaltsamen Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung bei den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen von 2009.
Im Unterschied zu den arabischen Staaten, die es letztes Jahr mit Massendemonstrationen zu tun hatten, gelang es im Iran, das Internet selektiv lahmzulegen, also Facebook, Twitter und SMS-Botschaften zu behindern, ohne den Netzzugang für iranische Wirtschaftsunternehmen wesentlich einzuschränken. Außerdem unterwanderten die staatlichen Spezialisten die sozialen Netzwerke, um Führer der Opposition auszuspähen und Beweismittel für die Strafverfolgung zu sichern.
Die wirkungsvollste Waffe Teherans ist der Ölpreis
Im Iran herrscht kein Mangel an jungen kreativen IT-Spezialisten. Viele wurden von der Führung rekrutiert und für den „Schattenkrieg“ im Netz ausgebildet. Diese Truppe taugt nicht nur, um die eigene Bevölkerung in Schach zu halten, sie könnte auch gegen den äußeren Feind agieren. Anfang dieses Jahres wurde eine israelische Bank von einem Hacker namens OxOmar attackiert, der sich selbst als Saudi ausgab und die Daten von tausenden Kreditkarten israelischer Kunden veröffentlichte. Kurz danach wurden die Börse und die Fluglinie El Al zum Ziel von Cyberattacken. Der Hacker behauptete, von Saudi-Arabien aus zu operieren. Aber warum nicht aus dem Iran? Wer weiß im Internet schon, wer wen und aus welchem Grund angreift?
Moderne Systeme aller Art sind heute auf die Steuerung durch Computer angewiesen. Das gilt für Staudämme und Fabriken, für die Müllentsorgung wie das Stromnetz. Jeder IT-Sicherheitsexperte weiß aus leidvoller Erfahrung, dass die Steuerungssoftware solcher Systeme gegen Angriffe aus dem Internet meist nur unzureichend geschützt ist. Wenn Schadprogramme die Rechner infizieren, ist wie im Fall des Stuxnet-Wurms im Iran häufig nicht nachzuweisen, woher die Attacke kam. Intelligente und entschlossene Angreifer haben im Internet leichtes Spiel, und sie hinterlassen kaum Spuren.
Doch die wichtigste Waffe Teherans ist nicht der Cyberterror oder die Schnellbootflotte und schon gar nicht die fiktive Atombombe. Es ist vielmehr eine Art wirtschaftlicher Massenvernichtungswaffe – der Ölpreis. Und um diese Waffe einzusetzen, muss das Land nicht einmal die Straße von Hormus abriegeln.
So leicht lässt sich kein Ersatz finden
Wenn alle internationalen Sanktionen greifen, könnten bis Mitte 2012 pro Tag 2 Millionen Barrel iranischen Öls auf den internationalen Märkten fehlen. Zwar hat Saudi-Arabien angedeutet, dass es mit zusätzlichen Lieferungen einspringen will, und auch in Libyen läuft die Ölforderung wieder an; zudem könnten die USA und andere Ländern auch ihre strategischen Reserven freigeben. Dennoch würden beim Ausfall der iranischen Lieferungen allein in Europa 600 000 Barrel pro Tag (bpd) fehlen, was insbesondere die drei schwächsten Volkswirtschaften der EU hart treffen würde. Griechenland, Italien und Spanien beziehen ihr Öl aus dem Iran heute auf der Basis von Kompensationsgeschäften(8) und relativ günstigen langfristigen Verträgen. Zum selben Preis und in gleicher Qualität wird sich so leicht kein Ersatz finden lassen. Man müsste also neue Verträge mit anderen Lieferanten aushandeln und wegen der veränderten Ölqualität die Raffinerien umrüsten.
Eine solche Umstellung wird kaum gelingen, ohne die Ölpreise in die Höhe zu treiben. Schon als Anfang Januar der Disput über die Schließung der Straße von Hormus eskalierte, stieg der Barrelpreis um mehr als 6 Prozent und ist seitdem nicht wieder gesunken. Da war noch kein Schuss gefallen und keine Sanktion in Kraft getreten. Jede Ölpreiserhöhung wirkt sich bekanntlich auf die gesamte Weltwirtschaft aus, weil sich nicht nur – politisch besonders heikel – das Benzin verteuert, sondern praktisch jedes industriell erzeugte und/oder transportierte Produkt.
In vier Monaten könnte sich also folgendes Szenario ergeben: Überall in der Welt kämpfen die Staaten mit dem Problem, das iranische Öl zu ersetzen. Die Weltmarktpreise für Rohöl steigen. Der Iran muss mit einem Bruchteil seiner Staatseinnahmen auskommen. Im Süden des Irak ereignen sich unerklärliche Explosionen an Pipelines und Ölterminals, dadurch fällt eine weitere Million Barrel pro Tag aus. In mehreren Raffinerien in Saudi-Arabien und Kuwait kommt es zu merkwürdigen Betriebsausfällen, in den Ölhäfen der Emirate treten technische Komplikationen auf. Als Ursache vermutet man Computerprobleme, vielleicht auch Sabotage. Auf dem Ölmarkt fehlen zeitweise mehrere Millionen Barrel pro Tag.
Die Sanktionen werden sich weltweit auswirken
Störungen dieser Art lassen sich natürlich beheben, aber wenn solche unkalkulierbaren Ereignisse immer wieder auftreten, stehen wir vor einer neuen Situation: Der Ölpreis könnte in ungeahnte Höhen steigen, und zwar für unbestimmte Zeit. Das hätte massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, die sich gerade erst von einer großen Rezession zu erholen beginnt.
Diese Skizze einer möglichen Entwicklung macht vor allem eines deutlich: Die „lähmenden“ Sanktionen treffen nicht nur den Iran, sie dürften auch ernsthafte Folgen für den Rest der Welt haben. Wer ein solches Risiko eingeht, müsste sich zumindest sicher sein, dass das verfolgte Ziel klar definiert und realistisch ist.
Aber um welches konkrete Ziel geht es im Fall Iran? Soll das Land gezwungen werden, sein Programm zur Urananreicherung vollständig aufzugeben? Das ist ein Wunschtraum, wie man von jedem Menschen erfahren kann, der sich auch nur ein bisschen im Iran auskennt. Das Atomprogramm wird nicht gestoppt, egal wer in Teheran regiert.
Geht es darum, den Iran zu neuen Verhandlungen zu bewegen? Die Regierung signalisiert seit über einem Jahr ihre Bereitschaft zu neuen Gesprächen „ohne Vorbedingungen“. Das heißt: Teheran akzeptiert nicht, dass die vollständige Aufgabe des Nuklearprogramms als einzig mögliches Verhandlungsresultat definiert wird. Genau das verlangen jedoch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, und genau diese Formulierung findet sich auch im jüngsten Schreiben der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton an die iranische Führung.(9) Die Forderung war von Anfang an falsch, ein grundlegender Fehler in der Strategie des Westens, der überhaupt erst die gefährliche Zuspitzung herbeigeführt hat.
Die Extremisten werden sich im Recht fühlen
Sollten die aktuellen Sanktionen jedoch darauf abzielen, den Iran schlicht abzustrafen und damit zu einer Aggression zu provozieren und in einen Krieg zu treiben – dann könnte das Kalkül durchaus aufgehen. Die Gefahr einer nuklearen Bedrohung durch den Iran wäre damit allerdings nicht gebannt, sie könnte sogar wachsen, weil die Extremisten in der iranischen Führung sich in ihrem Misstrauen und ihrer Ablehnung gegenüber der internationalen Gemeinschaft bestätigt sähen.
Dieser Wirtschaftskrieg gegen den Iran wurde mit der Begründung begonnen, dass das Land irgendwann in der Zukunft beschließen könnte, sein mühsam erworbenes nukleartechnisches Know-how zum Bau einer Atombombe zu verwenden. Die potenziell schwerwiegenden Folgen der Sanktionspolitik wurden dabei nicht bedacht. Kaum jemand will sehen, dass solche Angriffe auf den Iran (ob direkt oder indirekt durch Sanktionen) die Teheraner Führung wahrscheinlich lediglich in ihrer Entschlossenheit bestärken, das iranische Nuklearprogramm zu vervollständigen und womöglich militärisch zu nutzen.
Diese Politik führt in die Sackgasse. Deshalb sollten alle Beteiligten für einen Moment innehalten und sich die möglichen Konsequenzen vor Augen führen. Was wird geschehen, wenn die extrem verschärften Sanktionen das Land an den Rand der Zerstörung bringen? Diese Frage werden die Politiker von ihren Bürgern zu hören bekommen, sobald die Krise begonnen hat. Sie sollten aber schon jetzt darüber nachdenken.
Fußnoten:
(1) Die jüngsten Konflikte mit der IAEO betrafen nicht den Zugang zu Nuklearanlagen im engeren Sinne, sondern zu Bereichen unter Kontrolle des iranischen Militärs. Siehe: original.antiwar.com/porter/2012/02/29/how-the-media-got-the-iran-iaea-access-story-wrong/.
(2 )Siehe „U.S. Agencies See No Move by Iran to Build a Bomb“," New York Times, 24. Februar 2012.
(3) Siehe Jeremy R. Hammond, „Clinton Outlines Continuation of Bush Policies Under Obama at CFR“, "Foreign Policy Journal, 17. Juli, 2009.
(4) Siehe Isis-Report vom 24. Februar 2012: www.isis-online.org/uploads/isis-reports/documents/ISIS_Analysis_IAEA_Report_24Feb2012.pdf.
(5) Siehe Yossi Melman, „The war against Iran’s nuclear program has already begun“, "Ha’aretz, 2. Dezember 2011.
(6) Alain Gresh, „Quand Israel attaquera-t-il Iran? Il y a deux ans …“, Nouvelle d’Orient, 17. Januar 2012, blog.monde-diplo.net. Siehe den Bericht über sehr frühe CIA-Aktivitäten im Iran von Selig A. Harrison: „USA und Iran – Fatales Bündnis der Falken“, "Le Monde diplomatique, Oktober 2007.
(7) Die Militärausgaben des Iran werden auf rund 9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der schärfste arabische Rivale Saudi-Arabien allein gab 2010 knapp 43 Milliarden US-Dollar aus. Zahlen vom Stockholm International Peace Research Institute (Sipri), milexdata.sipri.org.
(8) Bei solchen „barter arrangements“ werden die gelieferten Waren ganz oder teilweise mit anderen Waren oder mit Dienstleistungen bezahlt.
(9) Peter Jenkins, „The latest offer to Iran of nuclear talks: Don’t hold your breath“, 30. Januar 2012, www.lobelog.com
Aus dem Englischen von Edgar Peinelt
Le Monde diplomatique vom 9.3.2012
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