Die Wahrheit: Göttlicher Schlüpfer

Von heute an zeigt die Katholische Kirche im Trierer Dom wieder einen Monat lang Jesu schmutzige Unterwäsche vor.

Dessous-Show auf katholisch. Bild: dpa

Zu Besuch in Trier. Die Geburtsstadt von Karl Marx. Aber sonst beschaulich. Denkt man. Wenn man nicht bereits am ersten Morgen um Viertel vor sieben Uhr morgens wie vom Donner gerührt ist. Der Donner sind die Glocken. Offenbar hat keine Stadt der Welt mehr Glocken auf weniger Quadratmeter. Viertel vor sieben! Bischof Ackermann ruft seine Herde. Die Pädophilen sollen an ihr Tagwerk gehen. Ackermann hat einige davon.

Kurz vor Ostern beginnt für die Trierer eine seltsame Zeit. Die Glocken bimmeln nicht. Das tun sie sonst immer. Einige sogar viertelstündlich, und das Leben in Trier richtet sich danach. So kommen Kassiererinnen pünktlich zum Kassieren und Lehrer in die Schule. Aber plötzlich sind die Glockenstränge wie abgeschnitten. Kein Schlag. Kein Ton. Patienten warten auf ihre Ärzte, Bypass-Operationen werden verschoben, weil kein Trierer mehr pünktlich erwacht. Die Glocken lassen ihre Bürger im Stich! Modegeschäfte öffnen erst zur Unzeit, die Kunden selber stehen auch nicht auf, die Umsätze fallen ins Bodenlose.

Eine Stadt verschläft! Bis zur Osternacht! Da holen die Glocken Luft, scheinen zu schwingen, leise, leicht, noch ohne dass der Klöppel die Glockenwand berührt, aber dann, morgens um neun Uhr, ein erstes zartes Pingen, um 9.15 Uhr ein kurzer Schlag, ab jetzt viertelstündlich und dann, ab 9.47 Uhr, bimmelt das Inferno los.

Mauern wanken. Bürger stürzen aus den Betten. Trommelfelle schwingen extrem gespannt. Hörstürze auf Balkonen. Zugereiste verlassen fluchtartig die Stadt. Kein Hund gehorcht mehr dem Herrchen, weil ihn dessen Stimme nicht mehr erreicht. Ein Krach, gegen den Manowar und Motörhead Fahrstuhlmusik sind. Ganz Trier vibriert ab jetzt wieder täglich unter diesem unfassbaren Gebimmele. Hier fände eine Diskussion um das Nachtflugverbot nicht statt. Man würde kein Flugzeug starten hören.

Heilige Fashionshow

Aber dieses Jahr war Ostern nur die Vorbereitung auf „Heilig Rock“. Heilig Rock? Häh? Ein Konzert vorm Dom? Kirchenpop? Nein, das Bistum Trier stellt Mode aus. Alte Mode. Sehr alte Mode. Von Jesus getragen. Etwa seine Zimmermannshose? Ein Stück schwarzer Cord? Nein, sein „Unterkleid“. Seinen „Rock“. Die bedeutendste Kostbarkeit des Trierer Doms. Underwear der Frühzeit. Fast 2.000 Jahre alt. Der Weltrekord für Dessous. Im Jahr 1512 wurde Jesu Unterhose zum ersten Mal gezeigt, und damals kann sie schon nur noch aus Mottenlöchern bestanden haben. Und nun ist wieder Wallfahrt, Trier ist vier Wochen lang das deutsche Santiago de Compostela, die B 51 wird zum Jakobsweg.

Bischof Ackermann lädt ein, denn die Kirche und der Glaube sind zwar Heilsbringer, aber der Pilger an sich ist ein echter Geldbringer. Ackermann war kürzlich noch schwer in der Kritik wegen der von ihm hier beschäftigten verurteilten Pädophilen, aber momentan wird in Trier auch wirklich jede Hand gebraucht. Wiederverheiratete sind zwar zu den kirchlichen Sakramenten nicht zugelassen, aber Pädophile dürfen weiter für das Bistum arbeiten. Als Pilger sind aber sogar Wiederverheiratete willkommen, denn der Pilger als solcher ist ein echter Hauptgewinn. Wer Pilger hat, muss nicht mehr Lotto spielen.

Bischof Ackermann hat dieses Jahr sogar auf einen „Jubiläumsablass“ verzichtet. Die Kirche verdient wohl so schon genug. Diesen Sündenerlass braucht man allerdings nicht extra, denn die österliche Vergebung des päpstlichen „Urbi et orbi“ gilt inzwischen sogar durch Fernsehen, Radio und Internet! Und in der einen Woche seither werden sich sicher nicht so viele Sünden angehäuft haben …

Nun bimmelt es wieder. 22 Uhr. Lumpensammlerglocke. Von St. Gangolf. Im Mittelalter mussten nun alle Bürger von der Straße verschwinden, und der Trierer hält sich bis heute daran. Da hat man Glück, wenn man drinnen sitzt, als einziger und letzter Gast in einer Weinstube.

Die Gläubischen jedenfalls zieht es zur Buchse, man rechnet mit 500.000 Besuchern, und der „Rock“ ist eine höchstamtliche Reliquie. Im Interview mit der Lokalzeitung, dem Trierischen Volksfreund, sagt Bischof Ackermann: „Der Heilige Rock ist echt, ob er tatsächlich das Untergewand ist, dass Jesus getragen hat, können wir natürlich nicht beweisen. Auch das Gegenteil ist nicht zu beweisen.“ Das heißt, es gibt den Stofffetzen, und damit „ist“ er. Ackermann argumentiert also ganz im (Trierisch-) Marx’schen Sinn: Das Sein bestimmt tatsächlich das Bewusstsein!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.