Neue Abgasvorschriften ab 2015: Reedereien wollen Öko-Sünder bleiben

Die Küstenschifffahrt sieht ihre Wettbewerbsfähigkeit durch strenge Schwefelgrenzwerte gefährdet. Doch ihr Treibstoff ist viel schädlicher als LKW-Diesel.

In schwerer See: Küstenschifffahrt. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der für 2015 geplante strenge Schwefelgrenzwert für Schiffsabgase in Nord- und Ostsee könnte den Kurzstreckenseeverkehr einbrechen lassen. Wie Branchenvertreter in Hamburg warnten, würden die Treibstoffkosten stark steigen, was einen Teil der Transporte auf die Straße verlagern würde. Passende Abgasreinigungsanlagen, die es erlauben würden, mit dem bisherigen Bunkeröl weiterzufahren, seien noch nicht entwickelt und kaum zu finanzieren, sagte Hanns Heinrich Conzen von der Lübecker TT-Line. Er verlangt deshalb ein Moratorium. Umweltschützer finden das unnötig: Die Reeder hätten ausreichend Zeit gehabt, sich auf die neue Lage einzustellen.

Küsten- und Binnenschiffe verbrauchen pro Transporteinheit viel weniger Treibstoff und stoßen entsprechend weniger Kohlendioxid aus als Lastwagen. Die EU will daher bis 2030 ein Drittel dessen, was heute mehr als 300 Kilometer weit mit dem Laster transportiert wird, auf die Schiene oder das Schiff setzen. So steht es in ihrem Weißbuch für ein ressourcenschonendes Verkehrssystem. Weil das Straßennetz hoffnungslos überlastet ist und die Kapazität der Bahn nicht ausreicht, könnte das Schiff im innereuropäischen Verkehr der Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen.

Dem stehen zurzeit zwei Hürden entgegen. Zum einen sind die Frachtraten eingebrochen und viele Reeder haben Schwierigkeiten, sich zu refinanzieren. Zum anderen ist der Schiffsverkehr längst nicht so umweltfreundlich wie er sein könnte. „Das Schiff ist zwar effizient, aber nicht grün“, räumt Torsten Westphal von der emsländischen Arkon-Reederei ein. Die Schiffe blasen zwar aufgrund ihrer Sparsamkeit wenig CO2 in die Atmosphäre, stoßen aber wegen ihres minderwertigen Treibstoffs große Mengen an Stickoxiden und Schwefeldioxid aus.

Die Internationale Schifffahrtsorganisation hat daraus die Konsequenzen gezogen und den zulässigen Schwefelgehalt des Schiffstreibstoffs auf 3,5 Prozent reduziert. In den stark befahrenen Seegebieten Nord- und Ostsee gilt bereits heute der weltweit niedrigste Grenzwert von einem Prozent Schwefel im Treibstoff. 2015 soll dieser Wert zehnfach verschärft werden – auf 0,1 Prozent Schwefelanteil.

In der europäischen Küstenschifffahrt werden 1.400 Schiffe auf 1.000 Routen eingesetzt.

Sie transportierten vor der Krise 765 Millionen Passagiere, 138 Millionen PKW und 28 Millionen LKW.

In den deutschen Häfen bestreitet der Kurzstreckenverkehr 60 Prozent des Umschlages.

CO2: Je nach Quelle emittiert die Bahn etwa 20 bis 30 Gramm pro Kilometer und Ladungstonne, das Binnenschiff 35 Gramm und der Lastwagen an die 100 Gramm.

Der Liter Bunkeröl kostet zwischen 50 und 80 Cent pro Liter, der Liter Diesel 120 Cent.

„Das ist für uns eine existenzielle Bedrohung“, sagt TT-Geschäftsführer Conzen. „Wir konkurrieren mit dem Straßenverkehr, es wird schwierig sein, die Mehrkosten weiterzugeben.“ Weil die Kosten für den Schiffstreibstoff – das Bunkeröl – in den vergangenen Monaten ohnehin schon stark gestiegen sind, haben sich einige Reedereien aufs Langsamfahren verlegt. Westphals Massengutfrachter fahren seit einem Monat nur noch acht statt elf Knoten. Das senke den Treibstoffverbrauch von sechseinhalb auf vier Tonnen am Tag.

Um den künftigen Schwefel-Grenzwert einzuhalten, gibt es zwei Wege: schwefelarmen Treibstoff zu verbrennen oder Entschwefelungsanlagen, sogenannte Scrubber, einzubauen. Der saubere Treibstoff ist aus Sicht der Reeder zu teuer. Auch die Scrubber sind mit Investitionskosten von fünf bis sechs Millionen Euro kostspielig, vor allem aber seien sie für die kleinen Küstenschiffe noch nicht ausgereift, sagt Conzen. „Es gibt nicht eine einzige Anlagen für ein Mehrmotoren-Roro-Schiff.“

Die Reedereien bräuchten mehr Zeit zur Umrüstung, sagt Conzen. Er könne es sich gut vorstellen, dass sich die Internationale Schifffahrtsorganisation auf eine Fristverlängerung einließe, wenn die Europäer das forderten. Aus Wettbewerbsgründen müssten in Europa einheitliche Schwefel-Grenzwerte eingeführt werden. Andernfalls zögen die Reeder mit Schiffen in Nord- und Ostsee den Kürzeren gegenüber solchen mit Schiffen vor allem im Mittelmeer. Das gelte auch für Fabriken in den skandinavischen Ländern, deren Produkte zu höheren Kosten exportiert werden müssten.

„Das überrascht uns nicht“, sagt Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund (Nabu) zur Klage der Reeder. Seit Jahren sei die Reduktion auf 0,1 Prozent angekündigt. Im übrigen sei geplant, den weltweiten Standard 2020 auf 0,5 Prozent zu senken. „Das wäre das faktische Verbot von Schweröl“, sagt Oeliger.

Die Reeder müssten anerkennen, dass auch der Straßengüterverkehr viel sauberer geworden sei. Ab 2014 gelte die Norm Euro 6, was auch den LKW-Verkehr verteuere. „Das bedeutet, dass sich das Thema Luftschadstoffe beim LKW praktisch erledigt hat“, sagt der Nabu-Referent. Auch ein Schwefelgehalt von 0,1 Prozent wäre immer noch 100-mal höher als der Grenzwert für LKW-Diesel.

Auch der Nabu fordert einen einheitlichen Schwefelgrenzwert für ganz Europa. Nach einer Rechnung der EU-Kommission stünden den Ausgaben für sauberere Schiffe ein Vielfaches an Einsparungen im europäischen Gesundheitswesen gegenüber.

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