piwik no script img

Gestresste Lehrer"Praktisch keine Pause"

Laut einer Online-Umfrage der GEW ächzen Lehrer unter zu viel Bürokratie. Die Selbstverantwortete Schule sei ein Fehler.

Sollen durch eine Plakatkampagne besser rüberkommen: Lehrer in Hamburg. Bild: dpa

Hamburgs Lehrer leiden stark unter Verwaltungsarbeit, die nichts direkt mit dem Unterricht zu tun hat. Das ist ein Ergebnis einer Online-Umfrage, die jetzt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vorstellte. Deren Landeschef Klaus Bullan fordert nun von Schulsenator Ties Rabe (SPD) eine bei Amtsantritt versprochene Überprüfung: „Da ist der Senator im Wort.“

Ob Hamburgs Lehrer zu viel zu tun haben, ist seit dem Streit um das 2003 eingeführte Arbeitszeitmodell ein Thema. An eventuellen Besserungen beißt sich die GEW seither die Zähne aus. Und die Lage verschärft sich eher noch. „Seit dem Arbeitszeitmodell sind 60 bis 70 neue Aufgaben hinzugekommen“, so Bullan.

Das spiegelt auch die Umfrage wider, an der sich 700 Lehrer beteiligten: Gefragt nach den größten „Belastungen“, wurden „schwierige Schüler“ mit 255 Mal am häufigsten genannt. Es folgen „Zeitdruck“ (186) und die besagte Bürokratie (149). Die Gewerkschaft fragte ihre Mitglieder auch nach Ideen für eine mögliche „Entlastung“ – häufigste Antwort: „allgemeine Aufgaben reduzieren“.

GEW-Chef Bullan sieht eine Ursache in der 2007 eingeführten „Selbstverantworteten Schule“: Da seien „viele Aufgaben von der Behörde an die Schulen verlagert“ worden. Die Politik habe mit dem Köder gelockt, es würde mehr pädagogische Freiheit geben. „Das ist faktisch nicht geschehen“, sagt Bullan. Vielmehr seien mehr Tests und Kontrollen eingeführt worden – also noch mehr Belastung. „Die Selbstverantwortung“, sagt er, „hat sich aus unserer Sicht nicht bewährt.“

Außerdem litten die Lehrer sehr unter Zeitdruck, hätten „praktisch nie eine Pause“, führt der Gewerkschafter aus. Er verlangt doppelte Besetzung im Unterricht, kleinere Klassen, mehr Rückzugsräume, klare Strukturen und mehr Personal. Die Lage sei „schon jetzt grenzwertig“, sagt Bullan. Keinesfalls dürfe Rabe die Schulen nun noch „unter Spardiktat stellen“.

Die GEW flankiert ihre Forderungen mit einer Plakat-Aktion unter dem Motto „Lehrkraft stark machen“. Lehrer sollten hier mal „nicht als jammerig rüberkommen“, sagt Bullan. Zu sehen sind auf den Plakaten freundliche Lehrergesichter – und Kreidekarikaturen, die deutlich machen sollen, welche Hemmnisse sie ausbremsen. „Durch gestartet – weg verwaltet“ ist zum Beispiel ein Foto betextet, auf dem eine junge Lehrerin auf Akten steht. Sie gelangt in ein Schulsystem, dass überhäuft ist vom „Verwalten, Testen, Messen“. „Das wollen wir ändern“, verspricht die GEW.

Ob es gelingt? Schulsenator Rabe dämpft Erwartungen. Entlastung von Lehrkräften sei denkbar, sofern sie „haushaltsneutral“ gelinge. Zur geforderten Aufgabenkritik gebe es „Gespräche mit Schulleitern und Personalräten“. In Sachen Selbstverantwortete Schule sei er für Verbesserungen offen. Die Sache selbst, ist er sich sicher, habe „viele Vorteile gebracht“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • B
    bratz

    Schönes Beispiel dafür, dass viele nur verstehen, was sie verstehen wollen.

    Fakt ist, Schule ist für alle Beteiligten eine echte Herausforderung geworden. Fragt man, möchten nur wenigen mit dem Lehrer tauschen. Woran das liegen mag, kann sich jeder selbst beantworten.

    Ich liebe meine Arbeit... Zumindest den Teil, der mit dem unterrichten zu tun hat. Die vielseitigen und zerreißenden Erwartungen, die neuen Aufgaben und die ausbremsende Bürokratie sind allerdings ein ganz anderes Feld, welches prozentual bei mittlerweile ca. 35% liegt.

    35% Anforderungen, die mit der BerufsBeschreibung kaum etwas zu tun haben und auf die man nicht vorbereitet wurde.

    Und ehrlich gesagt... Aus der freien Wirtschaft kenne ich keine vergleichbar schlechten Unternehmen, die trotzdem erfolgreich sind! Wie soll es an Schulen funktionieren!? Schaut man sich das neue Berufsfeld des Lehrers an, stellt sich mir die Frage nach Einstellungskriterien, Leistungskontrollen und Konsequenzen. Soll ich nun Pädagoge und Fachlehrer sein oder brauche ich nun doch eher einen Abschluss in wiwi, Rechtslehre und

    Kommunikationswissenschaft. Zieht über Lehrer her, setzt euch für neue Reformen ein, schimpft, meckert und gebt kluge Ratschläge. Ich sage, das alles geht auf Kosten unsere Kinder und Jugendlichen. Sie sind keine Versuchshasen!

    Also lasst die Lehrer einfach wieder unterrichten und sorgt dafür, dass sie gesund und munter bleiben!

    Letztendlich werde ich den Verdacht nicht los, dass die Unzufriedenheit immer wieder auf die Strukturen des Beamtentums zurückgehen... Vielleicht sollte man das mal überdenken!

  • U
    ulschmitz

    auf das seltsam-sprech "von Menzel" muss man nicht weiter eingehen.

    zu fragen ist aber, wieviel von den zu recht monierten problemen die GEW mit zu verantworten hat; wäre mal interessant, deren gazetten der letzten 20 Jahre zu flöhen; dort taucht garantiert die forderung nach der "selbstverantwortlichen [autonomen] schule" auf - und auch die zahl der nicht nur pädagogischen konferenzen usw. ließe sich evtl. auch auf forderungen der GEW zurückführen. man hört ja auch von schulen anderswo, wo freitag bis 21:15 getagt wird: wie war unsere woche? was haben wir in der nächsten woche vor uns? wie fühlen wir uns? und ähnliches psycho-pädo-gesummse mehr. dass die bürokratie immer mehr anschwillt, zweifelsohne! unter anderem aus dem simplen grund, weil die zahl der klagen gegen schulentscheidungen immer mehr zunimmt - und jedes urteil im schulalltag umgesetzt werden muss. ein 20-minütiges telefonat mit einer en®gagierten mutter z.b. findet seinen niederschlag in einer rund 1-seitigen aktennotiz, die wiederum "abgelegt" werden muss - oder diskutiert werden muss...; ein e-mail von drei startzeilen verwandelt sich in nullkommanix in mehrseitige denk- und k®ampfschriften. leider gibt es noch gar nicht genug "stille" kündigungen, aber das regelt sich dann über den krankenstand - ganz autonom.

  • KM
    kurt mehler

    @von menzel

     

    ich habe als gäste bisweilen genau solche arroganten typen wie sie schon vor einer klasse stehen sehen ... wollten dann mal so eben locker ihre weisheiten an den mann bringen ... kann ja nicht so schwer sein, nicht wahr???

    ... diese herren sind dann in nullkommanix vor freundlichsten klassen grandios abgeschmiert ... und waren totaaaal glücklich, als die stunde endlich vorbei war ... und sie sich wieder in ihre einfach gestrickte welt der ach so leistungsfähigen, freien wirtschaft retten konnten ...

     

    ich bin ziemlich sicher, diese herren denken über den lehrerberuf heute anders als sie, herr von menzel, das in ihrer ahnungslosigkeit offensichtlich leider nur zustandebringen ...

     

    eines schönen tages wird auch die hamburger schulbehörde begriffen haben, dass ihr mit jeder aufgabe, die - natürlich kostenneutral - oben draufgesattelt wird, noch ein paar mehr ehemals engagierte lehrer von der fahne gehen ... natürlich innerlich, nach außen nicht sichtbar ...

     

    ... möchte garnicht wissen, wie viele engagierte kollegen - im oben beschiebenen sinn - allein die kürzung des weihnachtsgeldes gekostet hat ...

  • M
    Menzel

    GEW-Lehrer sind sowieso die furchtbar Leidenden par excellence, leider sieht sie niemand dabei.

     

    Für einen Lehrbeamten ist es ja schon Streß, wenn ein Schüler selbst denkt und von einem auch noch fordert, dass man sich qualifiziert auf ihn einlässt. Das gab's früher auch nich, da muss er selbstverständlich als schwierig eingestuft werden.

     

    Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis oder gleich ein Institut für Qualitätssicherung (Nietenmagnet). Gottchen, man is ja so wichtig. Und wegen der zusätzlichen, selbst geschaffenen Arbeitsbelastung muß man natürlich im Folgejahr für mehr Geld streiken. Anders kann man sich die zwei Schweißtropfen der Ratlosigkeit gar nicht vergolden lassen.

     

    Damit stößt man auf die verständnislose Öffentlichkeit, die ja so gaar nich begeistert ist. Hach ja, und dann potenziert sich der Streß noch in den wenigen Tagen vor den Ferien. Und dann auch noch diese Zeugniskonferenzen...

     

    Eine Sitzung jagt die andere, alle sind ja so waahnsinnig beschäftigt - wenn auch ohne konkretes Ergebnis, aber mit sehr gutem Gefühl.