Streitthema Mieten in Berlin: Kotti wird ein teures Pflaster
Die Mieten im sozialen Wohnungsbau steigen rasant. Bewohner des Kottbusser Tors wollen bei einem Straßenfest am Samstag Lösungen suchen.
„Suchen Sie sich doch eine neue Wohnung, wenn Sie die Mieterhöhung nicht bezahlen können.“ Als im April bei vielen BewohnerInnen in den Hochhaus-Blocks auf der Südseite des Kottbusser Tors die vierte Mieterhöhung innerhalb kurzer Zeit ins Haus flatterte, beschwerten sich einige beim Eigentümer. Doch „ihr Ansprechpartner“ auf Seiten der zuständigen Hermes Haus- und Vermögensverwaltung fertigte sie kurz angebunden ab und wies nur in Richtung Stadtrand, etwa Marzahn. Parallel verschickt das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg Aufforderungen an von Hartz IV lebende MieterInnen, „die Kosten ihrer Unterkunft zu senken“. Denn auch den Sozialbehörden sind die Mieten im sogenannten sozialen Wohnungsbau inzwischen zu teuer.
„Bei uns im Haus brennt die Luft“, berichtet Franziska Weber*. Sie ist vor drei Jahren in eines der Hochhäuser des sogenannten Südblocks gezogen. Die 35-jährige Wissenschaftlerin fühlt sich wohl in der Hausgemeinschaft, viele ihrer NachbarInnen leben schon seit Generationen in Berlin. „Wir haben Kreuzberg zu dem gemacht, was es ist“, sagt ihre Freundin Handan Özkal*, „und sollen jetzt vertrieben werden.“
Viele BewohnerInnen im Haus beziehen eine kleine Rente. „Meine Großeltern und Eltern“, berichtet die 38-jährige Bauingenieurin Özkal, „kamen in den 60er-Jahren nach Berlin, arbeiteten zu niedrigen Löhnen und machten Kreuzberg zu ihrem Zuhause.“ Nun wollten sie ihren Lebensabend auch hier genießen. Und Özkals Kinder gehen im Viertel zur Schule. Doch inzwischen muss jede zweite Familie in den 1.000 Sozialwohnungen am südlichen Kottbusser Tor 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben.
Modell zum Steuersparen
Die Wohnungen gehören der vor Jahren privatisierten ehemaligen städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW und der seit dem Bau der Häuser privaten Admiral-Grundstücks GmbH/Hermes-Hausverwaltung. Ende der 70er-Jahre wurden die Häuser des sozialen Wohnungsbaus vor allem als Steuerabschreibungsmodelle für westdeutsche Gutverdiener genutzt. Wer mehr als 150.000 Mark Jahreseinkommen hatte, konnte seine Einlage innerhalb von fünf Jahren über Steuerersparnisse wieder zurückholen. Gleichzeitig konnten die Baukosten nicht hoch genug sein, denn nach diesen richtet sich die „Kostenmiete“, die am Kottbusser Tor in einigen Häusern bis zu 14 Euro pro Quadratmeter erreicht. Die Differenz zwischen dieser Kostenmiete und der staatlich festgelegten Sozialmiete zahlte der Senat.
Da sich dieser für die Steuergelder kaum politische und soziale Zugriffsrechte sicherte, bedeutet das vor einigen Jahren eingeleitete Ende der Subventionen auch eine Entlassung der Eigentümer aus der Mietbindung. Jetzt dürfen sie ihre Mieten an den fiktiven „Kosten“ ausrichten. „Dabei sind die Häuser mit unseren Steuergeldern schon längst mehrfach abbezahlt“, empört sich Franziska Weber. Die Entwicklung sei zwar noch nicht so schlimm wie im nahen Fanny-Hensel-Kiez, der eine ähnliche Struktur hat. Aber die Mieterhöhungen „werden viele Nachbarn vertreiben“, befürchtet Weber.
Deshalb fordern die MieterInnen die sofortige Wiedereinführung einer Kappungsgrenze von 4 Euro nettokalt, zumindest für die 16 vom Senat so genannten „problematischen Großraumsiedlungen“, zu denen auch das Kottbusser Tor gehört. Auf einem Straßenfest am Samstag ab 14 Uhr auf der Südseite des Kottbusser Tors wollen sie mit allen, auch mit „Besserverdienenden und Touristen“, ihre Forderungen diskutieren. „Von den Politikern der rot-schwarzen Koalition erwarten wir Lösungen“, so Weber, „die eine sofortige Erleichterung bringen.“ Und von den drei Oppositionsparteien fordern sie „die Entwicklung von tragfähigen Modellen zur Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus“.
*Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin