Klage gegen den Fiskalpakt: „Wir wollen ein besseres Europa“
Eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt fordert Exjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Erst einmal zieht sie aber vor das Verfassungsgericht.
taz: Sie bereiten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Europäischen Fiskalpakt und den permanenten Rettungsschirm vor. Mit diesen Verträgen verabreden die Eurostaaten, ihre Staatshaushalte zu sanieren und einen Notgroschen zurückzulegen. Was ist daran falsch?
Herta Däubler-Gmelin: Wenn es nur so harmlos wäre, wie Sie es beschreiben! In Wirklichkeit geschieht etwas ganz anderes. Der Fiskalpakt und der neue Rettungsschirm ESM werden in völkerrechtliche Verträge gegossen, die nicht kündbar sind. Beide Verträge verändern die Haushaltsbefugnisse des Deutschen Bundestags gravierend.
Die Bürgerinnen und Bürger, deren Verfassungsbeschwerde Professor Degenhart und ich vertreten, argumentieren deshalb: Unser Recht, einen Bundestag zu wählen, der auch etwas zu sagen hat, wird massiv beeinträchtigt.
Geht es Ihnen um die Zustimmung der Bürger, oder finden Sie, dass Europa zu stark wird?
Wir sind sehr für Europa. Allerdings für eines, das rechtsstaatlich und demokratisch ist. Wir wollen ein besseres Europa. Wir sind nicht für ein Europa, in dem lediglich Regierungen, Eurokraten und Banken bestimmen.
68, war von 1998 bis 2002 Justizministerin. Heute arbeitet die Sozialdemokratin als Anwältin und Rechtsprofessorin. Zusammen mit Mehr Demokratie e. V. will sie Verfassungsbeschwerde gegen ESM und Fiskalpakt einlegen. Mehr als 15.000 Bürger haben sich bereits angeschlossen.
Deswegen sagen wir mit dem Bundesverfassungsgericht, dass jeder Hoheitstransfer in kritischen Kernbereichen unseres Gemeinwesens der Zustimmung der Bürger bedarf. Außerdem sollte man die Kompetenzen, die den nationalen Parlamenten entzogen werden, beim Europäischen Parlament ansiedeln.
Sie sagen, der Rettungsschirm ESM und der Fiskalpakt seien nicht mehr kündbar. Wenn aber der Bundestag einen solchen Vertrag ändern wollte, könnte er es. Sind seine Rechte damit nicht gewahrt?
Nein, einseitig kann der Bundestag das nicht. Unsere Verfassung setzt jedoch voraus, dass der Bundestag selbstständig handeln kann, ohne von der Zustimmung anderer Regierungen abhängig zu sein. Ein Beispiel: Bundestag und Bundesrat haben gemeinsam mit Zweidrittelmehrheit die Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben.
Sollte der Fiskalpakt nun völkerrechtlich verbindlich werden, kann der deutsche Gesetzgeber die deutsche Schuldenbremse nicht mehr ändern. Er muss stattdessen übernehmen, was im Fiskalvertrag steht. Und genau das beeinträchtigt die Rechte des Bundestages. Der Bundestag hätte in einem Zentralbereich keine eigene Entscheidungsbefugnis mehr. Er könnte nur noch als Bittsteller gegenüber anderen Regierungen auftreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen