Kommentar Grüne Urwahl: Grüne lernen von den Piraten

Die Wähler wollen mitreden, Transparenz ist ein Zauberwort. Dass die Grüne Basis ihre Spitze jetzt selbst wählen kann, geht völlig in Ordnung.

Das wichtigste Argument der Gegner einer Urwahl für die Spitzenkandidaten-Kür lautet: Das normale Grünen-Mitglied interessiere sich viel stärker für Inhalte als für leidige Personalfragen. Damit sei eine Urwahl, welche der Basis die Entscheidung über ihre Spitzenleute überlässt, eine anstrengende, aber nutzlose Selbstbeschäftigung.

Ganz entkräften lässt sich dieses Argument nicht. Die Grünen-Basis würde vermutlich leidenschaftlicher darüber abstimmen, welchen Spitzensteuersatz sie Reichen zumuten will, als über die Frage, ob die Grünen das Konterfei von Roth, Künast, Göring-Eckardt oder Trittin auf ihre Wahlplakate drucken sollen. Grünen-WählerInnen haben nun mal die – für Parteistrategen wie Journalisten – irritierende Eigenschaft, sich sehr für Politik zu interessieren.

Trotzem ist es richtig, dass sich der Länderrat jetzt nahezu einhellig für Basisdemokratie ausgesprochen hat. Denn in der Politik zählen nicht nur trockene Fakten, sie ist von Personen und ihren Leidenschaften, von Machtkämpfen und von Gefühlen nicht zu trennen. Die vier prominenten Spitzenleute und die beiden Kommunalpolitiker, die Spitze werden wollen, unterscheiden sich nicht in großen inhaltlichen Fragen – aber im Stil, in der Tonlage, in der Polarisierung.

Wie hältst du es mit Schwarz-Grün?

Die Urwahl wird der Partei deshalb eine wichtige Rückmeldung geben, was bei der Basis ankommt. Und was nicht. So könnte sie zum Beispiel eine Neuauflage des Strategieklassikers „Wie hältst du es mit der CDU?“ produzieren. Zwar betonen selbst Schwarz-Grün-Befürworter übereinstimmend, dass diese Variante 2013 ausgeschlossen sei. Doch unbestritten steht Katrin Göring-Eckardt für mehr Offenheit gegenüber den Konservativen als beispielsweise Claudia Roth.

Wichtiger noch ist das grundsätzliche Signal, das die Grünen mit der Urwahl senden: Basisdemokratie passt in die Zeit. Auch wenn der Hype um die Piratenpartei abgeflaut ist, hat sich doch in den Parteizentralen herumgesprochen, dass viele BürgerInnen heute mitreden wollen. Durch das nun gestartete Verfahren hat die Basis die Entscheidung in der Hand, nicht wenige Parteipromis. Auch für die am Ende Gewählten wird dies zum Vorteil. Sie starten mit echter Legitimation in den Wahlkampf und wissen eine motivierte Basis hinter sich.

Hinzu kommt, dass die Grünen nicht allein aus edlen Motiven zur Urwahl greifen. Zwar werden die Parteistrategen im Moment nicht müde, den Eindruck zu erwecken, sie allein hätten dieses Instrument erfunden und im Übrigen schon immer im Sinn gehabt, um die Personalfrage zu lösen. Richtig ist, dass die Grünen derzeit eine Notlage zur PR-Masche umfunktionieren.

Die Urwahl findet auch deshalb statt, weil sich die vier, fünf mächtigsten Grünen nicht auf ein Team einigen konnten. Monatelang belauerten sie sich, eigentlich sollte schon der vorletzte Länderrat das Verfahren klären – für diese Verspätung ist die Parteispitze verantwortlich. Sie übergibt der Basis die Entscheidung auch, weil sie selbst die verfahrene Situation nicht auflösen konnte.

Das ist übrigens völlig in Ordnung. Wenn die Strategen versagen, muss eben der oberste Souverän ran. Grund für die Selbstbeweihräucherung, die gerade aus allen Interviews der Grünen-Spitzen trieft, ist das übrigens nicht. Etwas mehr Aufrichtigkeit wäre hier ganz hübsch. Die Urwahl ist für die Grünen-ChefInnen eine Win-Win-Situation. Nicht mehr, nicht weniger.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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