Liebe taz-Leserinnen und Leser,
vielen Dank für die angeregte Diskussion. Über Antworten auf meine Kommentare freue ich mich immer. Nun melde ich mich auch nochmal zu Wort, weil einige Mitschreiber doch sehr emotional reagieren. Mir kommt es auch so vor, als versuchten mich einige in eine Ecke zu drängen, in die ich nicht reingehöre. Mich der „kenntnislosen Hetze“ zu beschuldigen oder mich zum „Handlanger der Finanzindustrie“ abzustempeln empfinde ich als unfair. Leider muss ich deshalb etwas ausholen:
Zunächst zur Form: Ein Kommentar kann nur die Essenzen einer Analyse in sehr geraffter Form zusammenfassen. Auf 60 Zeitungszeilen bewerte ich die meiner Ansicht nach überfällige Entscheidung, spekulative Angriffe gegen einzelne Mitglieder der Eurozone zu beenden. Mario Draghi hat dies getan, indem er am vergangenen Donnerstag den Märkten unmissverständlich klar gemacht hat, dass die EZB am längeren Hebel sitzt, wenn sie weiterhin versuchen, spekulativ die Zinsen für bestimmte Staatsanleihen in katastrophale Höhen zu schrauben. Damit ist er der ureigenen Pflicht einer jeden Zentralbank nachgekommen.
Diese spekulativen Attacken haben dazu geführt, dass Spanien im Verhältnis zu den realwirtschaftlichen Daten viel zu hohe Zinsen für die Ausgabe weiterer Staatsanleihen bezahlen muss, während etwa von Deutschland viel zu niedrige Zinsen verlangt werden. Durch spekulative Bewegungen werden in dem Währungsraum also Spannungen erzeugt, die zu katastrophalen Auswirkungen führen können.
Ich bin der Ansicht, dass Draghis Ankündigung den entscheidenden Schlüssel zur Disziplinierung solche Angriffe auf den Euro liefern wird. In Ihren/Euren Kommentaren gibt es viele, die fürchten, dass die EZB nun via Notenpresse eine wahre Geldflut auslösen wird. Auch hier bin ich der Ansicht, dass die seit Gründung demonstrierte strikte Ausrichtung der EZB auf Preisstabilität solche Befürchtungen widerlegen wird.
Ich beschäftige mich als Volkswirt seit 16 Jahren mit der europäischen Währungsunion und bin mir der Komplexität der Wirkungszusammenhänge bewusst. Zu keinem Zeitpunkt habe ich behauptet, dass allein durch den Aufkauf von Staatsanleihen die Eurokrise überwunden wird.
In meinem Kommentar kritisiere ich, dass der von mir prophezeite (und eingetretene) Aufschrei gerade in Deutschland auf einer falsch verstandenen Problemanalyse beruht (die von vielen Medien propagiert wird). Auch in einigen Antworten auf meinen Kommentar wird dieses Missverständnis deutlich.
Erstaunlich finde ich, wie selbstverständlich hier mit erwiesenem Irrtümern argumentiert wird, dass etwa der Weg aus einer Überschuldung in harten Austeritätsmaßnahmen liege oder in dem simplen Rausschmiss eines Euro-Landes.
Häufig treffe ich auch die Annahme an, die Euro-Mitgliedschaft sei für Deutschland so etwas wie eine Clubmitgliedschaft, an dem man teilnimmt, solange man davon profitiert und austritt, wenn es einem nicht mehr passt.
Doch dieser Zug ist schon mit der Einführung des Euro abgefahren. Heute bestimmt allein die EZB über die Geldpolitik, die ihren Statuten gemäß unabhängig von politischem Einfluss arbeitet – so sehr das nun viele deutsche Beobachter ärgern mag.
Teil meiner gesamten Analyse der Eurokrise, die ich hier nicht ausführen werde ist, dass diese Krise vorhersehbar war. Denn ihre Ursachen wurden bereits in die DNA der Eurozone geschrieben.
Einer der Konstruktionsfehler war, eine Gemeinschaftswährung in Europa einzuführen, ohne für die zwingend erforderlichen politische Flankierung zu sorgen, ohne die ein einheitlicher Währungsraum nicht überleben kann. Kurzum: Es gibt keine funktionierende Währungsunion, die nicht gleichzeitig mit einer politischen Union einhergeht.
Gerade für so wirtschaftlich heterogene Mitglieder wie in der Eurozone waren die ökonomische Polarisierung und die heutigen Spannungen bis zum Bruch absehbar, wenn man außer der Geldpolitik alles andere den Nationalstaaten überlässt.
Zu den Grundpfeilern eines erfolgreichen Währungsraumes gehören etwa die Anpassung der Steuer- und Transfersysteme sowie eine einheitliche europäische Bankenregulierung. Das wäre jedoch der Schritt zu einer politischen Union, die bei der Konzeption des Euroraumes gerade aufgrund des vehementen Widerstandes aus Deutschland perspektivisch verhindert wurde.
Heute zahlen wir die Rechnung für die politische Kurzsichtigkeit der Kohl-Regierung und ihrer damaligen Berater in der Bundesbank.
Ökonomisch ist der Zusammenhang allen bekannt, die sich mit der Theorie optimaler Währungsräume beschäftigt haben. Zahlreiche Ökonomen haben bereits zur Einführung des Euro genau vor dieser Entwicklung gewarnt, die wir nun seit mehr als zwei Jahren erleben. Dazu zählen so renommierte Leute wie Barry Eichengreen und Martin Feldstein.
Eichengreen arbeitete schon Anfang der 90er Jahre in einem Vergleich der zukünftigen Eurozone mit dem Währungsraum der USA heraus, dass der Euroraum ohne einen effektiven Finanzausgleich nicht überleben wird (Barry Eichengreen: One Money for Europe? Lessons from the US Currency Union, erschienen in "Economic Policy").
Ebenfalls vor 20 Jahren warnte der Wirtschaftsforscher Paul Jansen, die Zentralisierung der währungspolitischen Verantwortung bei gleichzeitigem Festhalten an dezentraler Fiskalpolitik sei der "entscheidende Schwachpunkt und gewichtigste Konstruktionsmangel der beabsichtigten Währungsunion".
Karlhans Sauernheimer von der Uni Mainz warnte im gleichen Jahr weitsichtig, ein Ausschluss der Solidarhaftung durch den Maastricht Vertrag sein zwar "de jure, aber nicht de facto möglich": Sauernheimer argumentierte, der Verlust ökonomischer Stabilität würde die politische Stabilität eines Landes gefährden, "was die Vergemeinschaftung von Haushaltsrisiken" letztlich unvermeidlich mache.
Lange Rede, kurzer Sinn: Schon vor der Einführung des Euro haben viele Fachleute darauf hingewiesen, dass grundlegende Voraussetzungen, die für jeden funktionierende Währungsraum gelten, bei der Konzeption des Euro (insbesondere aufgrund des deutschen Einflusses) übergangen wurden.
Richtig konstruiert hätten die reichen Ländern über Jahrzehnte eine Menge Geld in die Hand nehmen müssen, um die ökonomisch sehr unterschiedlich leistungsfähigen europäischen Wirtschaften nach und nach anzugleichen (DDR & BRD…?). Kohl und seine Berater wie Issing haben aber nur nach den Vorteilen für die deutsche Industrie gegiert, die der Euro bringen sollte. Von den Verpflichtungen, die eine Einheitswährung für die starken Länder mit sich bringt, wollten sie nichts wissen. Das fällt uns jetzt auf die Füße.
Die rein ökonomisch geführte Debatte um die Eurokrise empfinde ich allerdings als politisch extrem kurzsichtig. Denn es geht um nichts anderes als die Frage, in welchem Europa wir in Zukunft leben wollen. Ich will kein Europa der chauvinistischen Separatisten und der „failed states“.
Ich habe einen ganz einfachen Wunsch für die Zukunft einer „Bundesrepublik Europa“:
Ich möchte durch das Europa der verschiedenen Kulturen reisen, in dem sich Autobahnen an Landesgrenzen nicht plötzlich in Schlaglochpisten verwandeln oder Schienenwege enden. Sollte ich auf der Reise von Lissabon bis nach Athen einen Unfall haben, möchte ich keine miserable medizinische Versorgung erleben, nur weil mir das im falschen passiert. Wo immer ich bin, möchte Menschen erleben, die gastfreundlich sind, weil sie auf Grundlage einer guten Ausbildung eub Auskommen haben, so dass sie Menschen aus anderen Ländern gerne an ihrem (kulturellen) Leben teilhaben lassen.
Schon diese wenigen Ziele lassen sich nur erreichen, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Europa mehr ist als die lose Verabredung einer Währungsgemeinschaft. Doch dazu bedarf es nicht nur Forderungen nach Austerität und Disziplinierung, sondern es verlangt danach, Verantwortung für ein gemeinsames, solidarisches Europa zu übernehmen.
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