Verfassungsschützer am NSU-Tatort: Der Mann, der nichts mitbekam
Der hessische Verfassungsschützer Andreas T. war am Tatort, als Neonazis 2006 in Kassel mordeten. Vor dem Untersuchungsausschuss tritt er als naiver Unwissender auf.
BERLIN taz | Es war eine elektrisierende Nachricht: Vor einigen Monaten wurde bekannt, dass ein hessischer Verfassungsschützer an einem der Tatorte der NSU-Terroristen war. Ein Nährboden für Verschwörungstheorien – auch durch die Medien transportiert.
Andreas T., jener Verfassungsschützer, kommt am Dienstag allein in den Sitzungssaal im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Fast vier Stunden lang sagt er vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aus. Er ist 45, schlaksig, mit Glatze. Dass monatealte Vorwürfe wieder hochkochen, habe ihn mitgenommen, sagt er leise.
T. war in dem Internetcafé in Kassel, in dem der Geschäftsführer Halit Yozgat am 6. April 2006 gegen 17 Uhr erschossen wurde. Tatwaffe: eine Ceska 83. Von den beiden Schüssen will T. als einziger nichts mitbekommen haben. Er meldete sich nicht bei der Polizei, das machte ihn verdächtig. Bei ihm zu Hause wurden Abschnitte von Hitlers „Mein Kampf“ gefunden – mit der Schreibmaschine abgetippt. Außerdem Waffen und Munition. Laut Zeugen war T.s Spitzname „Klein-Adolf“.
„Kein Rechtsextremist“
„Mit diesem Gedankengut habe ich mich in meiner Jugend befasst“, sagt T. vor dem Ausschuss. „Ich bin kein Rechtsextremist.“ Von der Bezeichnung „Klein-Adolf“ will er zum ersten Mal aus den Medien gehört haben.
T., der 2006 V-Mann-Führer in der Außenstelle Kassel war, hatte schon damals viele Ausreden: Er habe sich im Tag geirrt, er sei privat im Internetcafé gewesen. Sein Dienstherr habe ihm das nicht erlaubt. Als „Wildman70“ loggte er sich in ein Chatportal ein. Seine Ehefrau war zu dieser Zeit hochschwanger.
Die Ermittler sind sich sicher, dass T. nichts mit dem Mord zu tun hat. 2006 stellten sie fest, dass er das Café verlassen haben kann, bevor Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt es betraten. Sie rekonstruierten ein Zeitfenster von 41 Sekunden. Für einige der andere Taten hat T. teils gute Alibis. Nach dem Auffliegen des NSU ermittelte die Bundesanwaltschaft erneut – und sah keinen Grund, das Verfahren wieder aufzurollen.
„Sie hören nichts, Sie riechen nichts?“
Aber war T. vielleicht doch während der Tatzeit im Café? Wolfgang Wieland, Obmann der Grünen im Ausschuss, fragt: „Wir sollen Ihnen glauben, Sie hören nichts, Sie riechen nichts?“ Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) hält T. die Aussage seiner Quelle vor. Im April 2012 beschrieb diese Quelle, dass sie sich nach dem Mord mit T. unterhalten habe, T. sei nervös gewesen und habe sich beobachtet gefühlt.
T. sagt, er könne sich nach sechs Jahren nicht an das Gespräch erinnern. Auch im Hinblick auf seinen Dienstherrn, den hessischen Verfassungsschutz, helfen seine oft naiv klingenden Antworten kaum. Warum war zumindest an einem von drei Gesprächen beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Wiesbaden der damalige Chef mit dabei? Warum traf sich T. zu einem Vieraugengespräch mit seiner Vorgesetzten in einer Autobahnraststätte? Mit seinen Vorgesetzten habe er nicht über die Tatvorwürfe gesprochen, sagt T., nur über seine weitere Dienstverwendung. Und über „menschliche Dinge“.
Klar ist: Der hessische Verfassungsschutz (VS) hatte Angst um seine Quellen und untersagte, dass sie von der Polizei verhört werden. Bis in den den späten Abend hinein befragten die Abgeordneten Lutz Irrgang, den damaligen VS-Chef, seit fast sechs Jahren ist er im Ruhestand. Für die Abgeordneten ist es eine nervenaufreibende Befragung.
„Ich bin der Meinung, wir haben uns richtig verhalten“, sagt Irrgang immer wieder. Die Identität von V-Leuten müsse man schützen, es gehe um deren Sicherheit. Und ums Prinzip. Aber natürlich habe man die Ermittlungen nicht behindern wollen, behauptet Irrgang. Das Landesamt für Verfassungsschutz habe „alles erdenkliche getan, den Wünschen der Polizei und Staatsanwaltschaft nachzukommen". Wirklich?
Edathy zitiert aus einem Brief, den Irrgang damals unterzeichnet hat. Die Offenlegung der V-Männer sei nicht möglich, heißt es darin, da sie im Gegensatz zu Polizisten keine Beweismittel in „kurzfristig angelegten Kriminalfällen“ seien. Es ging zu diesem Zeitpunkt um eine Serie von neun Morden.
Der damalige Innenminister Volker Bouffier (CDU), der dem LfV damals den Rücken stärkte, ist für Ende September vor den Ausschuss geladen.
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