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Frommestraßen-Besetzung beendetAbschied vom Soziotop

Ein Wohnhaus in Lüneburg wurde gestern von der Polizei geräumt - gegen den Widerstand von rund 30 AktivistInnen.

Räumung des Gründerzeithauses: die Frommestraße in Lüneburg. Bild: dpa

LÜNEBURG taz | Als die taz gegen 12 Uhr in dem vorübergehend besetzten Haus in der Frommestraße anruft, sind im Hintergrund Sägegeräusche und berstende Fensterscheiben zu hören. „Jetzt kommen die Bullen hier rein“, sagt eine Frauenstimme, das Telefonat bricht daraufhin ab. Gegen 13 Uhr war das Haus in der Lüneburger Altstadt vollständig geräumt.

In den frühen Morgenstunden des gestrigen Montags hatte die Polizei begonnen, die Besetzung des dreistöckigen Gebäudes mit der Hausnummer 4 aufzulösen. Der größere Teil der Besetzenden, der sich im unteren Geschoss des Hauses aufhielt, ließ sich freiwillig aus dem Gebäude tragen, nachdem die Polizei gewaltsam eingedrungen war.

Sieben weitere Aktivisten hatten sich im zweiten Obergeschoss verschanzt und das Treppenhaus mit Möbeln und Stacheldraht verbarrikadiert. Mit Schneidemaschinen und schwerer Hydraulik arbeitete sich die Polizei zu ihnen vor, sagen die besetzenden Bewohner und Sympathisanten.

Das Viertel rund um die Frommestraße ist in Lüneburg für seinen alternativen Charakter bekannt – hier wohnen seit Jahrzehnten viele junge Menschen in großen Wohngemeinschaften. Ein kulturelles Biotop, das es nach Ansicht der Bewohner zu schützen gilt.

Bereits Ende September hat die Lüneburger Stadtbaurätin Heike Gundermann bekannt gegeben, dass mehrere Gebäude der Frommestraße abgerissen werden sollen, darunter das gestern geräumte. Unterirdische Hohlräume unter dem Stadtgebiet und Bodenbewegungen führen dazu, dass sich die Gebäude immer weiter absenken.

Die Stadt Lüneburg hält die Häuser für einsturzgefährdet – mit dieser Begründung war bereits im Juni das Nachbarhaus in der Frommestraße 5 geräumt worden, welches seitdem leer steht. Am 1. November sprach die Stadt eine Nutzungsuntersagung für die Frommestraße 4 aus, gegen die eine Bewohnerin klagte. Am vergangenen Dienstag bestätigte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Einsturzgefahr des Gebäudes: „Leib und Leben seiner Bewohner“ seien „akut gefährdet“.

Die Gerichtsentscheidung war das letzte Wort, die Stadt setzte den Bewohnern eine Räumungsfrist bis Sonntagnacht. Doch statt zu gehen, formierte sich Widerstand: Bewohner der Frommestraße 4, Bekannte und Sympathisanten hielten die Besetzung insgesamt 15 Stunden aufrecht.

„Räumung und Abriss sind exemplarisch für die gesamten Stadtentwicklungsprozesse, in denen die Bewohner nicht mehr berücksichtigt werden“, erklärt eine Aktivistin. Der Stadt Lüneburg werfen die Besetzenden vor, gemeinsame Sache mit privaten Investoren zu machen, die die sanierungsbedürftigen Gründerzeitbauten durch lukrative Neubauten ersetzen wollten. Die Folge einer solchen Politik seien steigende Mieten und langfristig eine Veränderung der Mieterklientel im Viertel. Das jetzt geräumte Haus in der Frommestraße 4 gehört der Immobilienfirma Sallier, die nach Angaben der Besetzenden auch die Hausnummer 1 bis 3 gekauft haben soll.

Der jetzt notwendig gewordene Abriss des Hauses hätte durch bauliche Sicherungsmaßnahmen verhindert werden können, sagt die Aktivisten. Doch die wären aufgrund der zunehmenden Instabilität des Gebäudes kostspielig geworden. „Sallier hat hier nicht einen Handschlag getan“, so der Vorwurf gegen den Eigentümer. „Dass hier saniert werden muss, ist klar, aber die Stadt hat es versäumt, den Eigentümer dazu zu verpflichten.“

Dafür scheint es nun zu spät zu sein – das Haus ist geräumt, der Abriss beschlossene Sache. Ein genaues Datum dafür gibt es noch nicht, doch „viel Zeit haben wir nicht“, sagt die Pressesprecherin der Stadt Lüneburg, Suzanne Moenck.

Die Stadt plane, das Viertel als Sanierungsgebiet auszuweisen, da es hierfür besondere Fördermittel gebe, so die Pressesprecherin. „Von Neubau ist hier gar keine Rede.“ Die Aktivisten der Frommestraße 4 dürften diesen Versprechen wenig Glauben schenken.

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3 Kommentare

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  • D
    Doddel

    Die Häuser sind einsturzgefährdet, weil ein reicher Lüneburger Investor großes mit der folgenden Brachfläche vorhat. Seit 4 Jahren kauft er Ecke Bastion/Fromme Grundstück für Grundstück und lässt sie verfallen. Seine Pläne sind Büro- und Eigentumswohnungen. Vor nem Jahr gab es von der Stadt nen Maßnahmenkatalog zur weiteren Standsicherheit für 12 Jahre, den der Investor und Vermieter erfolgreich ignorieren konnte. Nachdem er dann mehrmals nicht nachweisen konnte, dass das Haus für ihn unwirtschaftlich ist, hat er seine eigenen Gutachter reingeschickt und die haben ihm und der Stadt das Haus als Unbewohnbar und Einsturzgefährdet deklariert! Soviel nur zur Einsturzgefahr...kann ja dann auch jeder selber beurteilen.

  • M
    Moddel

    Liebe TAZ,

     

    diese Gebäude sind tatsächlich einsturzgefährdet und durch die Senkungen nicht mehr standsicher. Selbst bei einer teuren Sanierung würden sie vielleicht noch 5 Jahre stehen. Vielleicht sollte sich die Redakteurin selbst mal ein Bild von den Gebäuden machen und den tatsächlichen Zustand der Gebäude den Lesern darstellen. Der TAZ-Leser kann eigentlich nach diesem Artikel nicht beurteilen, wie der wirkliche Sachverhalt ist. In diesem Fall ist es doch schlechter Journalismus.

  • I
    Ichschmeissmichweg

    Ui, wie reißerisch. Ein einsturzgefährdetes Haus wird geräumt. Der Artikel kommt ohne Foto, so daß sich kein Leser ein Bild vom Zustand des Hauses und der ganzen Häuserzeile machen kann.

     

    Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich vorschlagen, die Anwohner dürfen so lange dort wohnen, bis ihnen das Dach auf den Kopf fällt. Ist nur das Problem, daß dann alle nach dem Staat kreischen würden. Der müsse sie schützen.

     

    Die Häuser waren schon vor 25 Jahren, als ich dort zuletzt Bekannte wohnen hatte, in erbärmlichem Zustand. Bei der Benutzung der Treppen kam ich mir vor wie in einem "Schiefen Haus" auf dem Jahrmarkt. Die Frommestraße liegt mitten im Senkungsgebiet der Stadt. Seit Jahren war dort ein Eingangstor, dessen Pfosten sich durch die Erdbewegungen immer weiter zusammengeschoben haben, touristischer Geheimtip.

     

    Was mich allerdings auch wundert, ist der Verkauf an den "Investor". Der wollte einen modernen Klotz auf ein benachbartes Grundstück stellen, hat dieses Vorhaben aber meines Wissens inzwischen wegen der viel zu hohen Kosten für die Sicherung des Fundaments aufgegeben. Die Idee, 200.000 Euro für den Erhalt der Halbruinen innerhalb der nächsten 10 Jahre auszugeben, halte ich allerdings für ein wenig unrealistisch.

     

    Es ist schade, daß die wunderschönen Altbauten mit großer Wahrscheinlichkeit abgerissen werden müssen. Zur Sicherheit sollte dort dann die Parkanlage erweitert werden. Was mit relativ neuen Häusern (ca. 40 Jahre alt) im Senkungsgebiet geschieht, können übrigens die Hausbesitzer am Ochtmisser Kirchsteig berichten.