Tweets sollen seltener verfolgt werden: Mehr Freiheit für britische Trolle
Die britische Staatsanwaltschaft wird mit Beschwerden über Äußerungen auf Twitter oder Facebook überflutet. Nun will sie diese seltener verfolgen.
LONDON taz | Wird Trollerei in Großbritannien künftig ungestraft bleiben oder stärkt das Land die Pressefreiheit? Neue Richtlinien der britischen Generalstaatsanwaltschaft sehen vor, dass Personen, die im Netz „problematische“ Kommentare veröffentlichen, seltener verfolgt werden. Der Grund: Die britische Staatsanwaltschaft musste sich in den letzten Jahren mit einer steigenden Flut von kontroversen Veröffentlichungen auf sozialen Medien herumschlagen, die sich später als zumeist als ironisch gemeinte verbale Ausrutscher erwiesen.
Der jüngste und spektakulärste Fall aus dieser Serie von virtuellen Entgleisungen, die im Inselkönigreich für Aufsehen gesorgt hatten, war eine Drohung des Steuerberaters Paul Chambers aus Doncaster. Der junge Brite hatte vor zwei Jahren auf Twitter angekündigt, den Flughafen Manchester in die Luft sprengen zu wollen, weil der wegen Schneefalls geschlossen war.
Der sogenannte „Twitter Joke“-Prozess zog sich zwei Jahre lang hin und Chambers wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt – obwohl er von Anfang an betont hatte, dass es sich nur um einen Scherz gehandelt habe. Das Urteil gegen den 27-Jährigen, der außerdem kurz nach seiner Verhaftung seinen Job verlor, wurde inzwischen wieder aufgehoben.
„Wenn eine Nachricht sofort wieder entfernt und Reue gezeigt wird, dann kann es unangemessen sein, dem strafrechtlich nachzugehen“, betonte der britische Generalstaatsanwalt Keir Starmer, „wieder nüchtern zu sein, ist keine Verteidigung, aber es ist relevant ob – unabhängig davon, was veröffentlicht wurde – die Nachricht ziemlich schnell wieder gelöscht wird, sobald die betreffende Person erkannt hat, dass die Bemerkung unangebracht war.“
Starmer erklärte weiter, dass er die Schwelle für strafrechtliche Maßnahmen bewusst hoch ansetzen wolle, um das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht zu beschneiden. Er riet bei der Bestrafung zu „erheblicher Vorsicht“, auch in Fällen, bei denen Personen „sehr anstößig, obszöne oder falsche“ Nachrichten verbreitet hätten.
„Nachhaltige und rachsüchtige Angriffe“
In dem 14-seitigen von der der Generalstaatsanwaltschaft veröffentlichten Dokument wird deutlich zwischen den erstgenannten Veröffentlichungen und solchen unterschieden, die die Androhung von Gewalt, Belästigungen und Verstöße gegen Gerichtsurteile zum Inhalt haben oder die Anonymität von Vergewaltigungsopfern gefährden. Mit anderen Worten, damit ein spitzzüngiger Tweeter strafrechtlich verfolgt werden kann, muss erst nachgewiesen werden, dass seine Einträge über reine Schockwirkung oder ironische Verunglimpfung hinausgehen.
Was genau das in der Praxis heißt, bleibt abzuwarten, aber die neuen Richtlinien der Generalstaatsanwaltschaft stießen zumindest bei der britischen Wohltätigkeitsorganisation für Verbrechensopfer Victim Support auf wohlwollende Anerkennung: „Wir kennen Betroffene“, sagte der Vorsitzende des nationalen Hilfswerks Javed Khan, „bei denen nachhaltige und rachsüchtige Angriffe in sozialen Medien dauerhafte emotionale und psychologische Narben hinterlassen haben, und wir begrüßen die Klarstellung dazu, wie Staatsanwälte jetzt mit Online-Drohungen oder -Belästigungen umgehen werden.“
Erst vor Kurzem hatte der britische Politiker Alistair McAlpine 10.000 Twitterern mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht, falls sie sich nicht bei ihm entschuldigen würden. McAlpine war irrtümlicherweise in der BBC-Nachrichtensendung „Newsnight“ als Pädophiler bezeichnet worden, was einen Sturm von Beschimpfungen ausgelöst hatte.
Die BBC entschuldigte sich später bei McAlpine und entrichtete eine Schadensersatzzahlung in Höhe von rund 227.000 Euro an den konservativen Politiker. Der britische Journalist George Entwistle, der zu diesem Zeitpunkt Chef der BBC war, reichte im Anschluss an das Debakel nach nur 54 Tagen im Amt seinen Rücktritt ein.
Leitfaden für Trollerei
Natürlich könnten diese neuen Richtlinien der Generalstaatsanwaltschaft auch für eine Sturmflut von ungehörigen Online-Schlammschlachten sorgen, da jetzt eine strafrechtliche Verfolgung für umtriebiges Verhalten in sozialen Medien in Großbritannien schlichtweg unwahrscheinlicher ist. In einem ironischen Blogbeitrag nahm die britische Tageszeitung Guardian auch bereits zu diesem möglichen Szenario Stellung.
Der Beitrag soll ein Leitfaden zur Trollerei in sozialen Medien sein, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten: „Unflätige Tweeter der Welt vereinigt euch“, heißt es dort, „glaubwürdige Drohungen werden immer noch bestraft, also übertreiben Sie oder gehen Sie in den Knast. Vermeiden Sie plausible Phrasen wie 'Ich werde dir physisch aufs Maul hauen'. Versuchen Sie es stattdessen mit etwas viel weniger Glaubwürdigem: 'Ich werde dir so fest auf die Schnauze hauen, dass wir beide in den Ritterstand erhoben werden.'“
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