Allein an Heiligabend: Brecht die Gefühligkeitsästhetik

"Ich bin tüchtig allein. Da ist so ein Weihnachtsfest eine echte Herausforderung." Wie wird taz-Kolumnist Uli Hannemann sie meistern?

So idyllisch könnte Weihnachten sein... Bild: dapd

Die eine Liebe habe ich zum Teufel geschickt, die andere ist zum Henker gegangen und die dritte komplett den Bach runter, wo sie dann alle auch geblieben sind. Meine Freunde mögen mich nicht, nur weil ich sie nicht mag und das auch deutlich sage – unter Freunden sollte man ehrlich sein. Meine Bekannten kennen mich nicht, da sie mich nie kennengelernt haben. Meine Kollegen hassen mich, weil ich fröhlicher, geselliger und weitaus talentierter bin als sie. Meine Zimmerpflanzen haben in einem stummen Aufschrei sämtliche Blätter hingeschmissen und sind anschließend ganz von selbst in Flammen aufgegangen. Meine Haustiere haben vom Balkon herunter in einer dramatischen Aktion die Polizei gerufen und dann bei Peta Asyl beantragt. Meine Stühle wackeln, meine Wände bröckeln und mein Bett riecht nach altem Mann. Sogar der Schnee weicht vor mir zurück, sobald ich einen Schritt näher komme. Nur der Fernseher geht noch, eine weitere Strafe an sich. Ich bin also tüchtig allein. Da ist so ein Weihnachtsfest schon eine echte Herausforderung. Mitten in die erste Depressionsdruckwelle hinein klingelt es an der Tür. Als ich öffne, strahlt mich der Briefträger an wie ein Honigkuchenpferd, das sich mit Prinzessin Lillifee auf dem Rücken beim Hopsen über die Zuckerbrothürde beide Beine gebrochen hat. Er hat den ganzen Arm voller Sendungen: die Weihnachtspost!

Wie schön, dass doch noch jemand an mich denkt, da freu ich mich. Von außen sehen die Briefe ja alle recht sachlich aus. Ich hätte ein wenig mehr bunte Schleifen, Kerzen- und Engelsmotive erwartet, aber Heiligabend 2.0 bricht im Design natürlich radikal mit der herkömmlichen parareligiösen und wertekonservativen Gefühligkeitsästhetik. Das finde ich vollkommen okay, Hauptsache, drinnen stecken die üblichen Karten mit gesäuselten Lügengrüßen unter Bildern voll festlichen Brimboriums.

Der Postmann erhält ein dickes Trinkgeld. In freudiger Hast reiße ich die Umschläge auf: Das Finanzamt mahnt die Umsatzsteuer an und droht andernfalls mit einer Art Rollkommando. Die Autovermietung will endlich Geld für eine Schramme sehen, die ich in einen ihrer eh schon zur Unkenntlichkeit verbeulten Schrotthaufen gefahren haben soll. Vodafone verlangt eine happige Auslandszulage, weil ich in Görlitz beim Telefonieren drei Schritte zu nah an der Neiße stand und einen polnischen Anbieter erwischt habe. Nur die Künstlersozialkasse will kein Geld. Sie will mich rausschmeißen, weil ich irgendeine Frist verpasst habe. Nicht so schlimm.

Denn dafür haben meine lieben Eltern ihrem kleinen schwarzen Schaf geschrieben. Ach, auf die guten Alterchen ist doch Verlass – ich bin ja so gespannt, was sie mir mitzuteilen haben: Aha, sie enterben mich pünktlich zu Weihnachten, nachdem sie mein neues Buch gelesen haben, in dem eine Erzählerfigur seine Elternfiguren als völlig durchgeknallte Psychopathen hinstellt. Bei allem Mangel an Abstraktionsvermögen haben zwei Menschen es also immerhin gelesen. Sorgfältig lege ich das Formblatt vom Notar zu der anderen Weihnachtspost.

Das Weihnachtsessen wird mich trösten. Vom Tisch ist allerdings der klassische Karpfen: Zu teuer zum einen, und seit die garstigen Grünen verbieten wollen, es vor der Zubereitung mit den glitschigen Moppelchen in der Badewanne zu treiben, ist so ein Weihnachtskarpfen ohnehin nur noch das halbe Vergnügen. Die herbe Sinnlichkeit dieser „Bescherung vor der Bescherung“, wie ich sie immer nannte, werde ich vermissen. Vom gastronomischen Standpunkt aus hingegen ist Fisch doch sowieso gleich Fisch: Ich reiße eine Folie mit in Salzlauge eingelegtem Matjesfilet auf und dekoriere sie hübsch auf einem Pappweihnachtsteller. Im Nu bin ich pappsatt. Und nun die Beine hoch und vor die Glotze. Herrlich! Ich habe die Wahl zwischen den „Buddenbrooks“, „Heiligabend mit Carmen Nebel“ und „Kevin – Allein zu Haus“. Ja, ich glaube, das passt am besten. Apropos Nebel: Auf einmal habe ich ganz schönen Durst. Ein Glück, dass ich zur Feier des Tages einen Zweiliter-Tetrapak Rosé aus einer kaum bekannten Weinbaugegend in Nordengland besorgt habe. Der wird mir munden. Sieh an: Kevin ist ebenfalls ganz allein. Huh, wie mich gruselt. Hoffentlich kommen jetzt keine Einbrecher, wie im Film, dieser Kevin ist ja viel mutiger als ich. Später gibt es noch eine Versöhnung, nur wenige sind tot. Was für eine weihnachtliche Weichspülarie. Am Ende weine ich. Niemand ist da, um mich zu trösten.

■ Vor Kurzem ist Uli Hannemanns neues Buch, „Wenn der Kuchen schweigt, sprechen die Krümel“, erschienen. Es kostet 7,99 Euro

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