Die Wahrheit: Dinosaurier in Duderstadt
Nirgendwo sonst auf der Welt lassen sich so viele Dinosaurierüberreste und Zeugnisse ihrer Schreckensherrschaft finden wie ...
N irgendwo sonst auf der Welt lassen sich so viele Dinosaurierüberreste und Zeugnisse ihrer Schreckensherrschaft finden wie entlang der niedersächsisch-thüringischen Grenze. Und das sogar nachts, wenn man über sie stolpert. Manchmal liegen nämlich ganze Gerippe quer auf den Wanderwegen, oder sie bilden einfach nur kilometerweit den alten Grenzverlauf ab, den man an dieser Stelle vor 1989 auch gut den „Skelettenen Vorhang“ hätte nennen können.
Als der Tierfilmer Heinz Sielmann hier vor Jahren seine Landschaftsschutzidee vom Grünen Band in die Tat umsetzte, hatte er jedenfalls am Rande des Eichsfelds überhaupt keine Verlaufsprobleme. Sogar die grüne Farbe hatte sich in Form von Moosen satt auf die bleichen Gebeine gelegt.
Dass sich in diesem vergessenen Landstrich besonders viele Exemplare erhalten haben, hat einen prähistorischen Grund. Hier haben sich die Dinosaurier viel länger gehalten als ihre lange vor ihnen ausgestorbenen Artgenossen. Als sich nämlich nach dem Asteroideneinschlag vor der mexikanischen Halbinsel Yucatan die ganze Welt verfinsterte und das global dimming den meisten Lebewesen die Lebensgrundlagen entzog, waren die Saurier im katholischen Eichsfeld weniger hart von der Katastrophe betroffen, da dort die Welt schon immer praktisch lichtlos vor sich hin dämmerte.
Die besonders stark vertretenen fleisch- und wurstfressenden Arten wie Strackosaurus und Raptor Duderstadtensis konnten sich so noch mindestens 35 Millionen Jahre länger am Leben erhalten als die vegetarischen Spezies, denen der Lichtentzug schwer zu schaffen machte. Chlorophyll und Photosynthese spielten im frühen Eichsfeld praktisch keine Rolle.
Bleibt noch, auf eine andere Besonderheit dieser knochenversessenen Gegend hinzuweisen, nämlich den hohen Stellenwert, den die Prothesenindustrie im Duderstädter Umland hat. Die Stützstrumpffirma Otto Bock, die nicht nur Paralympicsathleten mit dem Nötigsten für die Wettkämpfe versorgt, sondern sich weltweit um das Ersetzen und die Nachbildung abgetrennter und -gebissener Gliedmaßen kümmert, konnte eigentlich nur in einer Ökonische entstehen, die seit Olims Zeiten mit diesen Unbilden der Existenz hat umgehen und leben lernen müssen.
Das wusste keiner besser als Heinz Sielmann. Wäre der Tierfilmer noch am Leben, würde er dem knöchernen Treiben längs des Grünen Bandes sicher mindestens eine Sendung widmen. Und uns, den Zuschauern, würde er am Beispiel des Hühnerhabichts, der vor laufender Kamera einem frisch erwischten Wiesel die Fellflocken aus dem Leibe rupft, genau erläutern, wie wir uns das Leben in grauer Vorzeit vorstellen müssten – natürlich weitaus größer und gewaltiger und gefährlicher.
Da lebte eben vieles in scheinbar undurchdringlichen Farnwäldern possierlich vor sich hin – und im nächsten Moment war es bereits zu spät. Von Glück konnte da noch der Urmensch sprechen, wenn er lediglich mit dem Verlust eines Beines einigermaßen glimpflich davonkam.
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