Film „The Broken Circle“: Bluegrass in der flämischen Provinz

Das Schicksal spielt den Figuren übel mit, aber glaubt man's? Der Film „The Broken Circle“ beschränkt sich darauf, Kulissen zu behaupten.

Die nicht verblassenden Tattoos sind bei Weitem nicht das Einzige, was man „The Broken Circle“ nicht abnimmt. Bild: dpa

Tätowierungen verändern sich mit den Jahren. Die Farben verlieren an Kraft, die Linien werden breiter. Das hat verschiedene Gründe – die Alterung der Haut, die UV-Strahlung, das Zellwachstum.

Merkwürdig, dass Elise (Veerle Baetens), Betreiberin eines Tattoo-Studios und eine der Hauptfiguren in „The Broken Circle“, von dieser Regel ausgenommen ist. Die Schmetterlinge, die Totenschädel, Schriftbänder und Adlerschwingen auf dem Körper der jungen Frau leuchten in kräftigen Farben, die Linien sind wunderbar scharf, obwohl der Film einen Zeitraum von etwa acht Jahren umfasst. Das Einzige, was sich in dieser Zeit auf Elises Haut ändert, ist, dass ab und zu ein neues Tattoo hinzukommt oder ein altes übertätowiert wird.

„The Broken Circle“ stammt von dem belgischen Regisseur Felix van Groeningen, der zuvor „Die Beschissenheit der Dinge“ gedreht hat, und war ein Publikumsliebling bei der Berlinale. Im Mittelpunkt stehen Elise und ihr Partner Didier (Johan Heldenbergh), ein Bluegrass-Aficionado, der Banjo spielt und auf seinem etwas heruntergekommenen Anwesen davon träumt, ein Cowboy zu sein.

Mit dem roten Pick-up, den Pferden und Rindern auf der Weide und den Hühnern im Garten scheint die Anverwandlung der flämischen Provinz an den US-amerikanischen Westen denn auch zu glücken, es erstaunt höchstens ein bisschen, dass man kaum je sieht, wie sich Didier um seine Ranch kümmert.

„I'm only going over home“

Kaum hat es zueinander gefunden, bekommt das junge Paar ein Kind. Das Kind bekommt, als es sechs Jahre alt ist, Krebs, und als es stirbt, ist aus dem Off der Folksong „I am a Poor Wayfaring Stranger“ zu hören: „I’m only going over Jordan / I’m only going over home“. Der Song ist wunderbar, weniger wunderbar ist, dass die Lyrics das Geschehen auf der Leinwand schlicht und einfach verdoppeln.

„The Broken Circle“ gibt sich viel Mühe, Attraktivität aus seinem subkulturell-proletarischen Setting zu gewinnen. Was den Einsatz von Musik anbelangt, klappt das, von den Doppelungen abgesehen, ganz gut, die Konzerte von Elise, Didier und ihrer Band haben etwas Mitreißendes. Doch statt sich wirklich auf das Milieu einzulassen und es dementsprechend glaubwürdig in Szene zu setzen, beschränkt sich der Film darauf, es als Kulisse zu behaupten.

Die nicht verblassenden Tattoos sind bei Weitem nicht das Einzige, was man dieser Fiktion nicht abnimmt. Das ist umso bedauerlicher, als man sich auf Geschichten von existenzieller Not umso besser einlassen kann, je tiefer sie in der konkreten Materialität von Lebensumständen verankert sind. Auf Genauigkeit zu beharren, ist weder Fühllosigkeit noch Beckmessertum, vielmehr wünscht man sich die Wertschätzung der physischen Gegebenheiten und Treue gegenüber dem Material. Wenn ein Film dazu nicht imstande ist, wie soll er dann den Schmerz und das Leid der Figuren respektieren?

Hinzu kommt noch etwas: Ist der dramaturgische Knoten erst einmal so festgezurrt wie nach der Hälfte von „The Broken Circle“, ist es so gut wie aussichtslos, einen Ausgang aus der Erzählung zu finden. Eine Lösung gibt es, aber die hat etwas Mechanisches: Die erste Katastrophe wird durch eine zweite überboten.

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