Gymnasialabschluss für sozial Benachteiligte: Mehr Abitur, weniger Leistung
Immer mehr arme Jugendliche erhalten die Hochschulreife. Die neue Kess-Studie zeigt, dass sie mit den Leistungen der Gymnasiasten aber noch nicht mithalten können.
Die gute Nachricht vorab: Immer mehr Schüler auch aus bildungsfernen Elternhäusern machen in Hamburg Abitur. Das ergab die „Kess 13“-Studie, die Schulsenator Ties Rabe am Montag im Rathaus vorstellte. Demnach ist in der Zeit von 2005 bis 2012 die Zahl der Abiturienten an früheren Gesamtschulen, Aufbaugymnasien und beruflichen Gymnasien um 67 Prozent gestiegen. Die Leistungen der Schüler haben sich jedoch besonders in Mathematik und den Naturwissenschaften deutlich verschlechtert. Schulsenator Ties Rabe sieht die Ursachen dafür aber nicht in der Oberstufe: „Die Fehler sind eindeutig in der Mittelstufe gemacht worden“, sagt Rabe.
In der vorgestellte Studie wurde der Abiturjahrgang 2012 in den Fächern Englisch, Mathematik und den Naturwissenschaften getestet und mit einer sieben Jahre älteren Studie verglichen. Während die Leistungen der Schüler in Englisch weitestgehend gleich geblieben sind, sind die Lernstände in Mathe und in den Naturwissenschaften gesunken. „Das geht einher mit einem deutlichen Anstieg der Zahl sozial benachteiligter Schüler“, sagt Leiter der Studie Ulrich Vieluf. Zudem besteht ein Lernrückstand von bis zu drei Jahren gegenüber Schülern der Gymnasien.
Insgesamt seien die Lernzuwächse des Kess-Jahrgangs „sehr, sehr, sehr zufriedenstellend.“ Vor allem sozial Benachteiligte hätten Erstaunliches geleistet. „Schüler mit den ungünstigsten Voraussetzungen können die mit Abstand deutlichsten Fördererfolge verzeichnen“, sagt Vieluf.
Gründe, warum es trotzdem zu diesem Studienergebnis kam, sieht Vieluf in der Mittelstufe. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass viele Schüler bereits mit erheblichen Lernrückständen in die Oberstufe eingetreten sind. „Das kann der beste Unterricht in der Oberstufe nicht aufholen“, sagt er.
Für Karin Prien, schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, ist „der Niveauverlust in den Kernfächern beim Abitur alarmierend.“ Prien spricht sich für einen Schulqualitätspakt aus. „Auch die begabteren Kinder dürfen nicht vergessen werden“, findet sie.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Dora Heyenn sagt hingegen: „Die Studie zeigt, dass in Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien große Potentiale stecken. Diese können sich aber im vorhandenen Schulsystem nicht entfalten, weil ihre Eltern nicht über die entsprechenden Mittel verfügen.“
Es reiche nicht, wenn Schulsenator Rabe sich um das Niveau des Abiturs sorge und ansonsten erst einmal abwarten wolle. Er müsse dringend nicht nur die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen verbessern, sondern auch die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach Klasse 4 in angeblich ,gute‘ und ,schlechte‘ Schülerinnen und Schüler abschaffen, indem er sie auf Gymnasien und Stadtteilschulen aufteile.
Ties Rabe setzt darauf, dass die Stadtteilschule ein Erfolgsmodell wird. Kleinere Klassen und mehr Lehrer erhöhten dort die Lernchancen.
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