Ordensschwestern in Hamburg: Gottes diskrete Dienerinnen

In Hamburg hat sich ein Ableger des französischen Xavière-Ordens niedergelassen. Die Schwestern sind berufstätig und leben in dieser Welt.

Die Bibel im Schoß, den Gekreuzigten im Blick: Schwestern Aurélie, Béatrice und Gudrun (v.l.). Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Ein missionarischer Schwestern-Orden in Hamburg – was für ein Echo will er hier finden, denkt man, hier, wo nicht mal dreißig Prozent der Menschen Kirchenmitglieder sind. Und wie nachdrücklich soll die Mission sein? Die Xavière-Schwestern leben in einer Wohnung des katholischen Bistums, direkt am Marien-Dom, im fünften Stock. Es sind drei: Schwester Gudrun, die Oberin, eine Deutsche, die lange in den französischen Niederlassungen des Ordens gelebt hat, Schwester Béatrice und Schwester Aurélie.

Sie haben nicht danach gedrängt, in die Zeitung zu kommen. Schwester Gudrun sagt, dass die meisten Journalisten enttäuscht sind, dass sie keinen Habit tragen, weil die Fotos dadurch so uninteressant würden, aber die Vorstellung, dass man sie über ein halbes Jahr hinweg besucht, leuchtet ihnen ein: So kann man sehen, was aus dieser Niederlassungs-Pflanze wird.

Die Küche der Schwestern ist sehr aufgeräumt, nichts steht in der Kochzeile herum, auf dem Tisch liegt eine geblümte Plastikdecke. Die Zimmer sind einfach. Das Persönliche hätte wohl Platz in einem Koffer: der Fotokalender, den eine Gruppe junger Leute für Schwester Beatrice gemacht hat, die Giraffe, die an der Tür von Schwester Aurélie hängt, der Rosenkranz, den ein 92-Jähriger Schwester Gudrun geschenkt hat. Sie sind hier nur vorübergehend, aber eigentlich ist alles ein Vorübergehendes für die Xavières-Schwestern, die immer wieder die Niederlassung wechseln.

Schwester Béatrice ist jetzt vor allem Schülerin. Es ist eine Umstellung. In La Rochelle, wo sie die letzten zehn Jahre verbracht hat, hat sie ein Unternehmen zur Integration gesellschaftlich Abgehängter in den Arbeitsmarkt geleitet und jetzt ist sie in der Sprachschule in einem Kurs, wo die meisten Teilnehmer viel jünger sind als sie.

Aufgewachsen ist sie in einem Pariser Stadtteil, in dem Gewalt zum Alltag gehörte. Es war ein schwieriges Leben für eine Jugendliche. „Ich war voller Hass“, sagt Schwester Béatrice. Dann las sie ein Buch über Maria, „ein ganz unberühmtes“, sagt sie. Aber es hat alles verändert. “Meine Sicht auf die die Leute, das Leben, die Schöpfung hat sich geändert“, sagt sie, „alles ist von Gott geliebt“.

Wenn die Xavières-Schwestern von ihrer Beziehung zu Gott und zu Jesus sprechen, klingt es so, wie wenn Paare vom Beginn ihrer großen Liebe sprechen. Alle drei hatten Beziehungen zu Männern vor ihrem Eintritt in den Orden. Das erzählen sie von sich aus und alle sagen, dass die Idee, Ordensschwester zu werden, zunächst absurd für sie war – und irgendwann nicht mehr zu umgehen. Bei Schwester Béatrice hat es sieben Jahre gedauert.

Schwester Gudrun hatte angefangen, katholische Theologie in Marseille zu studieren. Abends arbeitete sie in einem Mädchenwohnheim für Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Das Unglück, das sie dort sah, verschlug ihr die Sprache. Sie ist damals vorsichtig geworden, vor diesen Menschen über ihren Glauben zu sprechen, über eine Theologie, die sagt, dass Jesus alle liebt. Es hätte zynisch klingen können für die, in deren Leben Liebe keine große Rolle spielte. Damit brach die Frage auf: Wie kann man von dieser Liebe Zeugnis ablegen, ohne Worte zu gebrauchen, die nur leer scheinen?

In Deutschland lernte sie einen Orden kennen, wo es für die Essensausgabe an die Armen getrennte Löffel gab. Bei den Xavières-Schwestern konnte sie sich so etwas nicht vorstellen. Dort geht man mit den Menschen um, so wie sie sind: arm oder reich.

In den Orden tritt man erst nach dem Postulat und Noviziat tatsächlich ein. Bei den Xavières-Schwestern dauert das drei Jahre. Bis zum endgültigen Gelübde sind es mindestens acht Jahre. Vermutlich ist es das, was die Faszination an diesem Leben ausmacht: dass es viel mehr Zeit zur Verfügung zu haben scheint. Und zugleich zeitlos wirkt in seiner jahrhundertelangen Tradition. Im Alltag, auf der Straße begegnet man den Ordensleuten kaum noch und weiß nicht, ob die eigenen Kinder noch wissen werden, was das ist: eine Ordensschwester.

In Schwester Aurélies Vorstellung waren Nonnen zu brav und zu ruhig, das war die erste Hürde, sich einem Orden anzuschließen und als sie sich darüber hinweggesetzt hatte, hatte sie keine Lust, sich einen solchen Orden wie einen Joghurt im Supermarkt auszusuchen. Er sollte kontemplativ sein, aber im Leben stehen, und sie wollte mit Leuten in Kirche und Gesellschaft arbeiten. Schwester Aurélie ist jungenhaft schmal und sehr lebhaft. Sie ist Mathematiklehrerin und als sie ihren Eltern sagte, dass sie Ordensschwester werden wollte, war das schwer für die.

Es gibt ein Bild von der Karnevalsfeier der Gemeinde, in der Schwester Gudrun Pastoralreferentin ist, auf dem die Schwestern in Kostümen zu sehen sind: Schwester Aurélie ist Matrose, Schwester Gudrun Engel mit einem Heiligenschein aus Plastik und Schwester Béatrice trägt ein Kleid und einen grünen Hut und soll damit eine Touristin in einem warmen Land darstellen.

Es ist Karneval, sie feiern mit, aber es ist eine Feier ohne den Exzess der Karnevalsfeiern draußen. So ist es mit mancher ihrer Freiheiten – sie machen wenig Gebrauch davon. Der Wein, den sie in der Küche haben, in der jetzt ein von einer Mitschwester gestrickter Matrose auf dem Fensterbrett sitzt, wird schlecht, weil sie so wenig davon trinken.

Drei Monate nach Ankunft der Schwestern in Hamburg beendet die katholische Kirche die Zusammenarbeit mit dem kriminologischen Institut Niedersachsen, das bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Kirche helfen sollte. Im Januar verweigert eine katholische Klinik einer vergewaltigten Frau die Pille danach. Im gleichen Monat erscheint eine Studie, wonach sich das katholische Milieu immer weiter von der Kirche entfernt. Im Februar vergleicht der Regensburger Erzbischof Gerhard Ludwig Müller die antikatholischen Tendenzen mit einer Pogromstimmung. Über all dies kann man mit den Schwestern sprechen. Aber sie haben nicht das Bedürfnis, all dies zu verteidigen oder zu rechtfertigen - sie haben selbst Kritik und sie können mit Kritik von außen leben.

Es ist ein anderes Thema, das die Schwestern interessiert: Was Mission eigentlich für sie bedeutet, denn der Xavière-Orden ist ein missionierender. „Wir legen Zeugnis ab“, sagt Schwester Béatrice. „Aber unsere Wahl hat ohne den Glauben keine Bedeutung.“ Die Wahl, das ist die Entscheidung, Xavière zu sein. Aber wie soll man diese Wahl bemerken, wenn die Schwestern ungefragt gar nicht davon reden, gar nicht als Schwestern kenntlich sind?

Béatrice hat es sich selbst oft gefragt. Es ist ein diskretes Zeugnis, eines, das erfordert, dass die anderen fragen. Etwa, als sich die Sekretärin in ihrem französischen Betrieb erkundigte, warum sie einen ganzen Monat nicht käme, und Schwester Béatrice antwortete, dass sie vor ihrem ewigen Gelübde einen Monat Exerzitien machen würde.

Schwester Béatrice hatte sich eine Weile gefragt, ob sie überhaupt ein Chef-Temperament habe. „Es ist die Rolle des Chefs“, sagt sie und klatscht die Hand auf den Arm, „ich mag es auch“: schwierige, aber notwendige Entscheidungen zu treffen. In Hamburg hat sie als Verkäuferin gearbeitet, in einem Diakonie-Laden, gemeinsam mit Frauen, die das Arbeitsamt geschickt hatte. Es täte ihr gut, sagt sie, es lehre sie Demut.

Das Leben in Hamburg ist nicht einfach für die französischen Schwestern. Sie suchen dringlich eine Stelle, aber wenn sich einmal eine auftut, scheitern sie an der Bürokratie, die ihre Abschlüsse nicht anerkennen will. „Warum bin ich hier?“, fragt sich Schwester Aurélie, die sich geschworen hatte, Mathematik zu unterrichten und nicht Französisch, für das sie nicht ausgebildet ist. Nun macht sie es doch.

„Die Antwort ist: Warum nicht“, sagt Schwester Aurélie. „Ich kontrolliere das nicht.“ Sie will ihre „Mission“ entdecken, auch dort, wo sie es nicht erwartet hat und sich darauf einlassen. Kürzlich war sie bei einem Treffen der jungen Xavière-Schwestern, zu dem sie eine der ganz alten eingeladen hatten. „Ich war im Dunkeln“, hat die über 80-Jährige gesagt. „aber in Treue.“

Schwester Béatrice war acht Tage in der Provence bei Schweige-Exerzitien, die viel verändert haben. „Etwas in mir hat sich ausgeruht“, sagt sie. Von der Fremdheit in Hamburg, auch von einer Fremdheit in ihrer Beziehung zu Gott, die sich eingeschlichen hat, nachdem ihre Mutter vor zwei Jahren qualvoll an Krebs starb. „Das ist intim“, sagt sie. Und man denkt, dass inzwischen das Sprechen über Glaubensfragen intimer ist als das über Sex.

Der Orden der Xavière-Schwestern wächst. Gegen alle Wahrscheinlichkeit. Langsam, aber stetig. Ob die Gemeinschaft in Hamburg wachse, könne man erst in mehreren Jahren wissen, sagt Schwester Gudrun. Sie wird dann wohl nicht mehr da sein.

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