Bürgerkrieg in Libyen: Zwischen Tuareg und Gaddafi

Die schwersten Kämpfe im Süden des Landes seit der Revolution geben Anlass für unzählige Gerüchte. Die Regierung setzt Panzer in Bewegung.

Rauch steht über Sebha, der größten Stadt Südlibyens. Bild: reuters

BERLIN taz | Nach schweren Kämpfen mit über 80 Toten in der Sahara-Metropole Sebha hat der libysche Nationalkongress die Armee in Alarmbereitschaft versetzt und den Notstand ausgerufen. Der Flughafen und sämtliche Zufahrten der Stadt mit 200.000 Einwohnern sind seit Tagen gesperrt, die Straßen wie leergefegt, wie Augenzeugen gegenüber der taz berichten.

Panzerverbände ehemaliger Revolutionäre aus Misrata und Zintan sind gemeinsam auf dem Weg nach Sebha, um die Kämpfe zu beenden, Abgesandte aus Zintan vermitteln bereits.

Hauptgrund der bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Libyens Süden ist der Konflikt zwischen der Tobu-Minderheit und Milizen des Uleid-Sliman-Stammes, der seine traditionelle Vorherrschaft in der Provinz Fezzan mit der Revolution eingebüßt hat. Während die unter Diskriminierung leidenden Tobu aufseiten der Revolutionäre in Bengasi kämpften, blieben viele arabischstämmige Libyer in Südlibyen dem ehemaligen Machthaber Muammar Gaddafi bis zu seinem Tod im Oktober 2011 treu.

Zudem nutzen zunehmend Anhänger des alten Regimes das nachrevolutionäre Machtvakuum zur Organisierung einer Widerstandsbewegung, die wohl von ins Ausland geflohenen Funktionären finanziert wird.

Kritische Stimmen in Sebha bezweifeln jedoch die in sozialen Medien behauptete Stärke der sogenannten „grünen Milizen“ der Gaddafi-Anhänger. Sie befürchten eher einen Propagandacoup der in Tripolis in Verruf geratenen Einheiten aus Misrata und Zintan, die nun Sebha unter ihre Kontrolle bringen wollten.

Aus dem Tschad eingesickerte Kämpfer?

In Tripolis herrscht Verwirrung über die Saharakrise. Die meisten Libyer informieren sich auf sozialen Netzwerken, wo wilde Gerüchte über aus dem Tschad eingesickerte Gaddafi- und Tobu-Kämpfer kursieren. Die Regierung dementiert.

Der Journalist Mohamed Lino, Herausgeber des multiethnischen Zeitungsprojekts Murzuk, sieht den Mangel an Öffentlichkeit und objektiver Berichterstattung mittlerweile als Gefahr: „Wie bei vielen lokalen Konflikten in Nachkriegslibyen vermischen sich alte Stammeskonflikte und Vorurteile mit Verteilungskämpfen. Durch die Gerüchteküche auf Facebook ist aus einem Mord in wenigen Stunden ein ganzer Flächenbrand geworden.“

Vor zwei Wochen hatten Tobu den Kommandeur einer islamistischen Miliz, Mansour al-Aswad, erschossen. Sie machen den Afghanistanveteran für einen Artillerieangriff auf ihren Stadtteil verantwortlich, bei dem im vergangenen Jahr 120 Menschen ums Leben kamen.

„Wir hatten die Regierung aufgefordert, die Täter vor Gericht zu bringen. Weil monatelang nichts geschah, haben sich Angehörige der Ermordeten eigenhändig gerächt“, mutmaßt Abdulmagid Issa, ein politischer Vertreter der Tobu. „Das ist kein Kampf verschiedener Stämme, wir Tobu kämpfen gegen Al-Qaida-Verbündete“, behauptet er. „Die Minderheiten der Tuareg, Tobu und Berber kontrollieren Libyens Grenzen. Da Islamisten den Korridor von Ostlibyen bis Mali kontrollieren wollen, sind wir ihnen im Weg.“

Die Regierung in Tripolis ist derweil mit sich selbst beschäftigt. Nach mehrmalig misslungenem Misstrauensvotum gegen Ali Seidan beschloss die den Muslimbrüdern nahestehende Gerechtigkeits- und Aufbaupartei, ihre Minister aus der Regierung zurückzuziehen. Wie vier seiner Kollegen begründete der für den Ölexport zuständige Minister Abdulbari Arrusi seinen Rücktritt mit der Unfähigkeit von Seidans Regierungsteam.

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