Palästina bei der Tischtennis-WM: Die Hoffnung ist klein und orange

Die Palästinenser haben keinen eigenen Staat, aber eine Tischtennis-Nationalmannschaft. Ihr Champion ist erst 19. Seine ganze Familie lebt für den Sport.

Hat noch viel vor: Husam Dufesh beim Training. Bild: Esther Göbel

HERBRON taz | Ein kahler Raum in Hebron, zwei Männer in Sportklamotten stehen sich gegenüber, die Blicke konzentriert, die Nerven angespannt. Dem einen stehen Schweißperlen auf der Stirn. Der andere wird gleich schießen.

Husam Dufesh wirft einen kleinen, orangefarbenen Ball in die Luft – und spielt ihn so schnell über die Tischtennisplatte, dass der Blick kaum folgen kann. Keine Chance für den Gegner. Husam lächelt. Das Training läuft gut. Vor der Mannschafts-WM in Japan ist er in Topform.

An nichts anderes kann der 19-Jährige mehr denken, nur noch an Tokio. Jeden Tag trainiert er unter den strengen Augen des Vaters, zwei Stunden am Nachmittag, dann noch zwei bis drei Stunden am Abend. Der junge Mann, die Frisur selbstbewusst nach oben gegelt, ist der aktuelle Tischtennis-Champion im Westjordanland. Und die größte Hoffnung der palästinensischen Tischtennisnationalmannschaft.

Wer das Wort „Palästina“ hört, der denkt an Krieg und Krise, an Checkpoints und Soldaten, Oliven und Arafat. An eine Tischtennisnationalmannschaft eher nicht. Wie auch? Ist doch der rechtliche Status der palästinensischen Autonomiegebiete noch immer nicht klar definiert, und selbst manch Einheimischer weiß nicht, wo genau nun eigentlich die Grenzlinien verlaufen. Eine Tischtennisnationalmannschaft für einen Staat, den es nicht so richtig gibt. Willkommen im Westjordanland.

Das Team: 220 Mannschaften nehmen an der am Montag beginnenden Weltmeisterschaft in Tokio teil. Palästina tritt mit Ahmad Albashar, Husam Dufesh, Fadi Masalma und Nader Qasem an. Die Mannschaft ist an Platz 186 gesetzt und spielt daher nur in der vierten oder fünften WM-Klasse. Ein Frauenteam hat Palästina nicht nach Japan geschickt.

Der Rest: Topfavorit bei den Männern und Frauen ist wie immer China. Das deutsche Herren-Team um Dimitrij Ovtcharov will den Titelverteidiger wie schon 2010 und 2012 im Finale am 5. Mai herausfordern. Vorher gibt es fünf Gruppenspiele und K.-o.-Runden ab dem Achtelfinale.

„Mir ist die ganze Politik doch egal!“, sagt Radi Al Shareef, 42, offiziell der Nationaltrainer. „Das Einzige, was mich interessiert, ist Tischtennis.“ Normalerweise sagt er nicht viel, lieber spielt er und lächelt zurückhaltend, während ein Tischtennisschläger im Miniformat um seinen Hals baumelt.

Radi, so könnte man sagen, ist der stille Chef jener skurrilen palästinensischen Tischtennis-Boygroup, die sich heute in der Sporthalle der Stadtverwaltung zum Training eingefunden hat. Wie ein breiter, sanft wankender Schrank wuchtet er sich durch den kahlen Saal, die Hände tief in den Taschen seiner Sporthose vergraben. Ab und an durchbricht ein derber Witz Radis Zurückhaltung. Den Palästinensern mag es an Perspektiven fehlen, an Humor mangelt es nicht. Dann grinst Radi breit, während der Rest der Mannschaft sich vor Lachen halb über den Boden wälzt.

Zu diesem Rest zählen an diesem Abend auch noch: Basel Maraqa, 32, der kleine, dicke Pausenclown des Teams und frühere Champion, der immer zu viel redet. Hazem Al Shareef, 36, ein dünner, langer Typ, der mittlerweile ausgerechnet in China lebt, aber viel lieber in der Heimat spielt und ebenfalls mal Champion war. Und dann ist da noch Kamel Dufesh, 47, Husams Vater, den man stets in Trainingsanzug antrifft, auch wenn er gerade in seinem Taxi Kunden durch die Straßen Hebrons kutschiert, und der seinen Sohn mit ehrgeiziger Hartnäckigkeit und starrer Miene trainiert, weil er weiß, welche Chancen der Sport bietet.

Schon der dreijährige Bruder spielt

Kamels komplette Familie ist verrückt nach den kleinen Bällen – Husams Schwester Haneen war der weibliche Tischtennis-Champion im vergangenen Jahr, und selbst der dreijährige Bruder Youssef in seinem Adidas-Minianzug weiß schon, wie er eine anständige Vorhand spielen muss. Im Hinterzimmer, zwischen alten Decken und anderem Gerümpel, hat der Vater für seine Söhne auf engstem Raum eine Platte aufgestellt; die Familie setzt ihre ganze Hoffnung auf Husam. Der wiederum steckt alle Hoffnung in seinen Sport.

Am Morgen nach dem Training sitzt der Champion im Wohnzimmer der elterlichen Wohnung zwischen einem ganzen Dutzend Familienpokalen und fummelt vorsichtig einen Schläger aus einer Plastikfolie. „400 Euro!“, sagt Husam ernst, „das hier ist ein internationales Modell!“ Und zwar nicht irgendeins. Sondern ein Timo-Boll-Schläger von dessen Firma Butterfly, mit der Nummer N001734IC02, die Beschichtung 2,1 Millimeter dick, Made in Japan. Unten in der Ecke prangt die krakelige Unterschrift Bolls.

Husam verehrt den deutschen Spieler, „es gibt einfach keinen, der besser ist“. Manchmal schaut er sich mit seinem Kumpel YouTube-Videos von Boll im Internet an. Für Husam steht Boll für Tischtennis auf höchstem Niveau und Deutschland für „viel Grün, viele Seen“ – und für eine Profikarriere. Von der träumt Husam. So eine Karriere ist in seinem Land in etwa so realistisch wie das Ende der Besetzung durch Israel; gerade erst beendete Israel die Friedensverhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde.

„Husam spielt sehr schnell, genau auf den Punkt, das ist seine große Stärke“, erklärt Basel, der frühere Champion, während der aktuelle sich noch immer seinem Schläger widmet. „Er spielt besser als ich, als sein Vater, ach, als wir alle zusammen! Er hat das Spiel im Griff. Husam hat sein Topniveau erreicht, er braucht bessere Trainingsbedingungen.“

Verzwickte politische Lage

Doch das ist angesichts der verzwickten politischen Lage schwierig. Gerade in Hebron ist sie kritisch. An keinem anderen Ort leben radikale jüdische Siedler und Palästinenser so eng beieinander. Seit den 90er Jahren ist die Stadt in zwei Hälften geteilt. Fast täglich entlädt sich die Spannung zwischen beiden Lagern gewaltsam. Fliegende Steine, Tränengas und Schikanen gehören zum Alltag der Palästinenser wie der Ruf des Muezzin. Alles ist an diesem Ort politisch – auch Husams Sport.

Denn wäre die politische Situation eine andere, könnten Trainer Radi und seine Mannschaft aus dem Westjordanland mal wieder mit den Kollegen aus Gaza spielen, so wie sie es zuletzt vor über zehn Jahren getan haben. Radis Bruder, Vizepräsident der Palestine Table Tennis Association, trüge nicht den Spitznamen „Arafat des Pingpong“. Husam, der junge Champion, könnte unter besseren Bedingungen trainieren. Und die Tischtennis-Boygroup um Kamel, Radi und Hazem hätte nicht von ihrer holprigen Reise nach Ägypten zu erzählen, während der zweiten Intifada: Ganze drei Tage brauchten sie damals, um an einem Turnier der Arabischen Liga in Kairo teilzunehmen. „Um uns herum starben die Menschen“, erinnert sich Hazem, „während wir nur zu unserem Turnier wollten. Wir haben die Soldaten angefleht, uns durchzulassen.“

Der Arafat des Pingpong, Radwan Al Shareef, ist denn auch der Erste, der das Thema Politik offen anspricht. Der 52-Jährige empfängt zum Gespräch in seinem Büro; dunkles Holz und schwere Polstermöbel, ein riesiges Bild der berühmten Al-Aksa-Moschee an der Wand, die palästinensische Flagge als Miniaturausgabe auf dem Schreibtisch. „Wir sind anders als die anderen“, sagt Radwan, noch bevor er gefragt wird, „wir sind nicht nur Athleten. Wir haben eine Botschaft, die allen Palästinensern gemein ist. Wir wollen der Welt zeigen, dass wir hier sind!“

Ein Riesensymbol

Würde Husam bei der diesjährigen Weltmeisterschaft gewinnen, so schiebt er noch hinterher, wäre das ein Riesensymbol. „Aber es ist natürlich unmöglich für ihn, zu gewinnen.“ Da macht der Vizepräsident sich gar keine Illusionen. So sei das Leben unter der Besetzung eben, „natürlich haben wir hier keine optimalen Trainingsbedingungen“, erklärt er und hebt die Hände zum Himmel, „uns fehlt das Geld dafür, und wir brauchen für alles eine Genehmigung von den Israelis. Wir könnten noch nicht mal ein internationales Turnier in unserem eigenen Land veranstalten.“

Trotzdem ist Al-Shareef stolz auf seine Nationalmannschaft. Insgesamt 50 Mitglieder, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, zählt das Team momentan. 64 verschiedene Tischtennisteams gehören allein der Liga im Westjordanland an, in Gaza sind es noch mal 30. Husam, der Champion, spielt bei Ahli al-Khalil, momentan Platz 9 der Liga im Westjordanland. Wieso aber ist ausgerechnet der Sport der kleinen Bälle in Palästina so beliebt? „Weil Tischtennis so schön ist“, sagt Radwan, so als gäbe es nur diese eine mögliche Antwort. „Und weil es ein Sport ist, den jeder spielen kann. Man braucht kein großes Material und nicht viel Platz.“

Dann springt er auf, öffnet die Schublade seines Schreibtischs und fingert ein kleines gerahmtes Bild in Schwarz-Weiß heraus. Mit viel Mühe lässt sich ein junger Jassir Arafat erkennen, der einen Tischtennisschläger schwingt. Radwan liebt Arafat, mindestens genau so sehr wie den Sport.

„Wir brauchen den Frieden“, sagt Radwan, „mehr als jeden Sieg im Tischtennis.“ Er gönnt sich noch einen versonnen Blick auf sein Bild. Dann schiebt er Arafat zurück in die Schublade.

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