Stadt mit Ausstrahlung: Atomaufsicht unter Aufsicht

Nach miesen Schlagzeilen um verstrahltes Wasser in Stade krempelt Niedersachsens Energieminister Wenzel Atomaufsicht um.

Wusste schon länger vom Austritt radioaktiven Wassers im AKW Stade: Umweltminister Stefan Wenzel Bild: dpa

HANNOVER taz | Im Streit um jahrelange Verzögerungen beim Abriss des Atomkraftwerks Stade zieht Niedersachsens grüner Umwelt- und Energieminister Stefan Wenzel jetzt „personelle Konsequenzen“. Die „gesamte Atomabteilung“ seines Ministeriums müsse sich einer „Evaluierung“ unterziehen, sagte Wenzel am Mittwoch in Hannover vor JournalistInnen der Landespressekonferenz – schließlich stehe die „Glaubwürdigkeit“ seines Hauses in Frage.

Denn das AKW Stade beschert Wenzel seit Wochen miese Schlagzeilen: Schließlich hat die ihm unterstellte Atomaufsicht monatelang verschwiegen, dass aus dem Primärkreislauf des seit 2003 stillgelegten Reaktors radioaktiv verstrahltes Wasser ausgetreten ist. Zwar hat der Atomstromkonzern Eon als Betreiber den Beamten des Umweltministeriums schon im Februar mitgeteilt, dass im Sockel des AKW strahlende „Kondensnässe“ gefunden worden war. Nachgewiesen wurde radioaktiv kontaminierte Borsäure sowie Cäsium 137. Darüber informiert wurde nach Wenzels Darstellung nicht einmal er selbst – und die Öffentlichkeit erst recht nicht.

Dabei wird sich der Abriss des Meilers, der ursprünglich 2015 abgeschlossen sein sollte, nach ersten Schätzungen um mindestens drei bis vier Jahre verzögern: Im stählernen Sicherheitsbehälter des AKW lagern 600 bis 1.000 Tonnen Beton, der so stark verstrahlt ist, dass er nicht wie ursprünglich geplant als Bauschutt entsorgt werden kann. Stattdessen muss das Material irgendwann in einem noch zu findenden Atommülllager untergebracht werden.

Ob das Erdreich unterhalb des Meilers frei von radioaktiver Verstrahlung ist, wurde nach Informationen aus dem Umweltministerium noch nicht untersucht: Entsprechende Arbeiten könnten erst durchgeführt werden, wenn die „Kalotte“ genannte unterer Hälfte des Reaktorsicherheitsbehälters frei von Beton sei.

Noch in der vergangenen Woche beteuerten Vertreter des niedersächsischen Umweltministeriums, der grüne Ressortchef Stefan Wenzel habe frühestens am 4. September vom Austritt radioaktiven Wassers aus dem Reaktor Stade erfahren - und deshalb auch die Öffentlichkeit nicht früher informieren können.

Eine Woche später sagt Wenzel: "Ich wusste seit August davon." Aufgeklärt hätten ihn aber nicht seine Ministerialbeamten, sondern eine "nachgeordnete Behörde".

Warum er dann nicht schon im August an die Öffentlichkeit gegangen ist, sagt Wenzel nicht. Deren Information sei eine Frage der "Risikoabwägung".

Als Konsequenz aus dem Schweigen der oft noch von der schwarz-gelben Vorgängerregierung berufenen Beamten der Atomaufsicht will Wenzel nun zwei Leitungspositionen neu besetzen – und per öffentlicher Ausschreibung auch externe Fachleute gewinnen. Auch der bisher kommissarisch tätige Leiter des Referats 42, das noch immer nicht nur für die „Stilllegung kerntechnischer Anlagen“, sondern auch für „nukleare Versorgung“ zuständig ist, wird wohl auf eine Beförderung verzichten müssen.

Allerdings musste auch Wenzel selbst einräumen, früher vom Austritt des radioaktiven Wassers gewusst zu haben, als bisher bekannt: „Ich habe es Ende August gewusst“, sagte der Grüne auf mehrfache Nachfrage. Zwar sei die Aussage von mehreren Beamten seiner Atomabteilung, ihren Minister erst nach einem Fachgespräch mit Vertretern des Betreibers Eon am 4. September informiert zu haben, nicht falsch. Er selbst sei allerdings schon Wochen vorher durch eine „nachgeordnete Behörde“ – den Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz – auf die Verstrahlung hingewiesen worden.

Vom Bund fordert der Minister jetzt eine Neuaufstellung des gesamten Entsorgungskonzepts für den deutschen Atommüll. Die per Gesetz für das Jahr 2031 vorgesehene Präsentation eines Endlagers sei illusorisch. Das Beispiel Stade zeige, dass auch die AKW-Teile, die bisher nach sogenannter „Freimessung“ als unbedenklich gelten und auf Bauschuttdeponien landen, im Konzept der Atommüllkommission des Bundes berücksichtigt werden müssten.

Denn Betreiber wie Eon finden wegen heftiger Bürgerproteste schon heute kaum Deponien, die den AKW-Schutt einlagern wollen. Umweltschützer gehen deshalb davon aus, dass hunderttausende Tonnen dieses Materials erst einmal an den AKW-Standorten bleiben müssen. „Den Traum von der grünen Wiese“, sagt etwa Udo Buchholz von der Bundesvereinigung Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), „können sich die Betreiber abschminken.“

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