KOMMENTAR VON NICK REIMER ÜBER DEN ANHALTENDEN WINTER : Alle reden vom Wetter. Na endlich!
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche leider noch lange nicht in diesem Jahr, und Goethes Osterspaziergang wirkt anno 2013 wie ein Hohn: Der alte Winter hat sich eben noch nicht in die rauen Berge zurückgezogen, sondern quält die Frühlingssehnsüchtigen. Aber das hat auch sein Gutes: Es wird übers Wetter geredet und damit endlich auch wieder über das Thema, das unsere Zukunft wie kein anderes bedroht: über den Klimawandel.
Zuletzt schien der völlig aus den Augen verloren zu werden: Beim Atomausstieg ging es um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, bei der Energiewende um die Strompreise, beim Netzausbau um Erdkabel. Das große Ganze blieb verstellt und dank des Frackings wurde gar ein neuer Erdöl-Boom vorhergesagt.
Nun aber bibbert Europa und erinnert sich, dass da ein Problem schlummert: Weltweit sind im Boden 12.000 Gigatonnen Kohlenstoff gespeichert. Werden davon mehr als 230 Gigatonnen freigesetzt, erwärmt sich die Globaltemperatur um durchschnittlich 2 Grad. Was nicht dramatisch klingt, aber dramatisch ist: Die Wissenschaft sagt uns, dass es ab dieser Schwelle völlig egal ist, ob die Menschheit vernünftig wird und Klimaschutz betreibt. Jenseits von 2 Grad treten sogenannte Kippmechanismen in Kraft. Zum Beispiel der Permafrostboden in Sibirien, Alaska und Kanada: Unter dieser dauergefrorenen Erde lagern Milliarden Kubikmeter Methan, ein 22-mal so aggressives Klimagift wie Kohlendioxid. Taut der Boden, wird dieses Gift freigesetzt. 4, 5 Grad mehr wären die Folge – ohne dass dagegen etwas unternommen werden könnte.
Aktuell aber ist nichts in Sicht, was uns diesen Horrortripp erspart: Eigentlich hatte sich die Welt 1997 mit dem Kioto-Protokoll verpflichtet, den Treibhausgas-Anstieg bis 2013 um 5 Prozent zu senken. Stattdessen liegen wir heute 40 Prozent darüber. Statt jetzt deutlich mehr Geld für den Ausbau der Erneuerbaren zu mobilisieren, streitet die Politik darum, wie der Ausbau abgebremst werden könnte. Argument: Die Mehrkosten sind niemandem zumutbar. Dabei hat schon 2006 der Report von Nicholas Stern aufgelistet, dass unser derzeitiger Kurs viel teurer wird. Der ehemalige Weltbank-Chefökonom war zu dem Schluss gekommen, dass 2 Grad plus mehr Schäden verursachen werden als Weltkrieg eins und zwei zusammen. Gut also, wenn endlich mal wieder darüber geredet wird.