Jürgen Trittin über den Kampf gegen IS: „Bodentruppen nur aus der Region“
Der Außenpolitiker Jürgen Trittin widerspricht seiner Fraktionschefin und warnt: Bundeswehrsoldaten gegen die Terrormiliz in Syrien anzubieten, sei ein falsches Signal.
taz: Herr Trittin, Ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat den Einsatz deutscher Bodentruppen gegen IS ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?
Jürgen Trittin: Zunächst einmal hat sie zu Recht gefordert, den Kampf gegen IS auf eine solide völkerrechtliche Grundlage zu stellen. Das geht nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen. Wir müssen schließlich davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung mit IS nicht morgen zu Ende sein wird, sondern mindestens zehn Jahre dauert. Das lehrt die Erfahrung aus Afghanistan.
Aber ist es richtig, für einen Militäreinsatz unter UN-Mandat notfalls deutsche Bodentruppen in Aussicht zu stellen?
Wenn wir den Einsatz von Bodentruppen der Bundeswehr gegen IS anbieten, sabotieren wir damit unsere richtige Forderung nach einem UN-Mandat. Denn es wird kein UN-Mandat geben, das auf eine Interventionsermächtigung für den Westen hinausliefe. Diese beiden Forderungen schließen sich gegenseitig aus.
Ist der Einsatz von Bodentruppen gegen IS generell falsch?
Wenn man die Forderung nach einem UN-Mandat ernst nimmt, dann sind am Ende Bodentruppen wahrscheinlich notwendig – aber diese sollten weder aus Europa noch aus den USA kommen, sondern aus der Region. Also ausgebildete Truppen aus dem Irak, von der Freien Syrischen Armee und auch den Kurden.
Warum?
Man darf IS nicht weiter bestärken in der Fantasie, sie würden alleine gegen die Ungläubigen kämpfen. Daraus ziehen sie ihre Kraft. Westliche Soldaten als Gegner würden also eher zu Solidarisierung mit IS als zum Gegenteil führen. Und alles andere ist außerdem mit den Kräften der Region nicht zu machen – und dann gibt es wiederum kein UN-Mandat.
60, sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Bis Herbst 2013 führte er die Fraktion seiner Partei im deutschen Parlament.
Grüne Parteifreunde warnen, Deutschland dürfe in diesem Konflikt nicht anderen Ländern „die Drecksarbeit“ überlassen.
Das ist doch eine Debatte aus dem Feuilleton. Krieg ist immer Drecksarbeit. Wir müssen uns fragen: Wer kann einen solchen Krieg überhaupt gewinnen? Eine Grundvoraussetzung ist, dass man IS möglichst isoliert und den Terrormilizen keinen Anlass gibt, sich als wahre Kämpfer gegen den Westen zu profilieren. Ich halte deshalb Barack Obamas Vorschlag, regionale Kräfte zu befähigen, den notwendigen Kampf am Boden zu führen, nicht für feige, sondern für klug.
Welche Dimension hätte ein Militäreinsatz am Boden gegen IS?
Das wäre „AfghanistanPlus“. Die Größenordnung wäre deutlich höher, weil IS eine ganz andere Kraft darstellt als die Taliban. Zur Vollständigkeit einer Debatte über Bodentruppen gehört deshalb, auch ehrlich zu sagen, dass man womöglich Tausende oder Zehntausende Soldaten aus Deutschland in einen solchen Konflikt schicken müsste.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Afghanistaneinsatz?
Wir waren damals von einer schnellen Lösung überzeugt: Die Taliban würden sich nicht lange halten, dann würde es freie Wahlen geben und man wäre wieder weg. Damit lagen wir falsch. Genauso wird zurzeit die Debatte über den IS-Konflikt geführt. Die Lehre aus Afghanistan ist aber: Wenn man Soldaten losschickt, macht man das für mindestens ein Jahrzehnt. Mit fragwürdigem Erfolg. Wenn man also nur mit 5.000 Soldaten rechnet, die jeweils vier Monate bleiben, wären das schon 15.000 im Jahr – auf zehn Jahre gerechnet also rotierend 150.000. Diese Tragweite verbietet ein leichtfertiges Gerede über die Drecksarbeit der anderen. Wir müssen uns einfach an dieser Stelle unserer Verantwortung gerade für die Soldatinnen und Soldaten bewusst sein.
Der Bundesaußenminister hält ein UN-Mandat gegen IS derzeit aber für weltfremd.
Bundesaußenminister Steinmeier drückt sich davor, ein solches Mandat überhaupt anzustreben. Die Bundesregierung hat bisher nicht überzeugend erklärt, warum sie keinen ernsthaften Versuch unternimmt, ein UN-Mandat hinzubekommen. Steinmeier sollte seine Arbeit machen, statt mit dem Finger auf die grüne Fraktionsvorsitzende zu zeigen.
Aber wie soll unter den aktuellen Umständen ein UN-Mandat mit Russland gelingen?
Angesichts seiner Schwierigkeiten mit der muslimischen Bevölkerung von Dagestan bis Tschetschenien kann auch Russland kein Interesse am Aufbau eines Kalifats in dieser Region haben. Natürlich muss man für ein solches Mandat verschiedenen, sich zum Teil widersprechenden Interessen gerecht werden. Wer ein UN-Mandat fordert, kann nicht als erste Priorität den Sturz des syrischen Machthabers Assad haben. Das ist bitter, aber nichts Ungewöhnliches, selbst die Amerikaner sind inzwischen so weit, dass sie gewisse Absprachen mit dem syrischen Regime treffen. Und natürlich muss man dann auch den Iran mit an den Tisch holen, mit allen Kräften, die dahinterstehen – also auch der Hisbollah im Libanon.
Die Grünen fordern eine politische Gesamtstrategie für Syrien. Wer soll die liefern angesichts der chaotischen Zustände dort?
Niemand hat einen Masterplan für Syrien und den Irak, das ist aber kein Grund, nicht daran zu arbeiten. Die Arbeit an einem UN-Mandat könnte Eckpunkte für eine politische Gesamtlösung markieren. Es wäre ein Schritt in diese Richtung. Wer wie Steinmeier von einer Gesamtstrategie spricht, aber die Arbeit an einer UN-Mandatierung verweigert, wird seiner politischen Verantwortung nicht gerecht.
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