Filmfestival Viennale: Lust an der Zerstörung

Das Filmfestival Viennale bot „Revolutionen in 16mm“. Zu sehen waren Beiträge von der Kriegsberichterstattung bis zur Befreiungsbewegung.

Körnige Agitation bot der Film „Tsuburekakatta migime no tame ni“ (1968). Bild: Viennale

Die knalligste Karambolage wird für das Publikum nach Ankündigung auf dem Zwischentitel („Watch it again!“) gleich noch einmal gezeigt. Denn so echt wie hier waren die beworbenen „flaming thrills“ noch nie auf der Leinwand zu sehen. Die Explosionen, Kollisionen und Abschüsse in „Camera Thrills of the War!“ sind keine im Studio inszenierten Stunts, sondern dokumentarische Aufnahmen aus den Luftkämpfen des Zweiten Weltkriegs selbst.

Möglich wurde dies durch die robuste und mobile Schmalfilmtechnik, die zwar schon einige Jahrzehnte zuvor erfunden worden war, nun aber in der Kriegsberichterstattung ihren ersten großen Einsatz hatte und direkt aus der Waffenperspektive der Flugzeuge oder Panzer ihre Bilder schoss.

Die These von der Geburt des Kinos aus dem Krieg ist spätestens seit Paul Virilio medienhistorischer Standard und „Camera Thrills of the War!“ ein oft zitierter und (allerdings teilweise in zensierter Fassung) auch im Netz zu findender Klassiker der Filmgeschichte und der Propaganda: Die sichtbare voyeuristische Lust an der Zerstörung und die rassistisch aufgeladenen Zwischentitel erhellen gerade in Zeiten neuer „guter“ Kriege, wie die hässliche Eigendynamik des Militarismus auch damals keineswegs auf die Achsenmächte beschränkt war.

Medientechnisch greift die entpersonalisierte Kameraführung heutiger Drohnen-Überwachung und Go-Pro-Optik voraus.

Mit viel Enthusiasmus gestaltete Sonderschau

Auf der Leinwand zu sehen war der Film gerade auf der Viennale in Wien, wo eine von Katja Wiederspahn und Haden Guest vom Harvard Film Archive mit viel Enthusiasmus gestaltete Sonderschau dreizehn Kapitel aus der Geschichte des Formats präsentierte, das die Filmwelt nach dem Krieg in völlig neue Dimensionen führen sollte.

Dabei emanzipierte sich der Schmalfilm zum Glück rasch von der militärischen Herkunft und wurde mit niedrigen Produktionskosten und der beweglichen Kamera zum wichtigsten Vertreter eines Kinos von unten, das vom Privaten über künstlerische Experimente bis zum pornografischen Kommerz reichte und vielerorts zum Standard für Dokumentarfilme und Fernsehjournalismus wurde.

Auch „Revolutionen in 16mm“, so der schillernde Titel der Retrospektive, schlug einen großen Bogen von Marie Menkens leise flirrender „Notebook“-Poesie über die visuellen Explosionen popbunter Dreifachprojektionen bis zu dem aus dem Müll geretteten Home Movie „Enema Medley“, dessen Umstände und Protagonisten im rätselhaften Warum ihres Tuns faszinierend dunkel bleiben.

Befreiungsbewegung von Guinea-Bissau

Dass Filme aus dem Krieg nicht martialisch sein müssen, zeigte „No Pincha!“ (R: Tobias Engel, René Lefort, Gilbert Igel, 1970), der mit einem ohne jegliche Kampfrhetorik vorgetragenen an Bundeskanzler Willy Brandt gerichteten Appell eines Sprechers der Befreiungsbewegung von Guinea-Bissau beginnt. Es folgt eine parteiliche, aber dokumentarisch genaue Reise ins Innere des Landes zu den Akteuren und Akteurinnen der Befreiungsbewegung – von PAICG-Chef Amílcar Cabral bis zu den Küchenfrauen.

Gezeigt wurde „No Pincha!“ damals – auch typisch für die Verwendung des Formats – bei Solidaritätsveranstaltungen, für die in Deutschland etwa Co-Regisseur Tobias Engel mit dem Film durch die Studentengemeinden zog.

Heute sind die politisch-agitatorischen Funktionen des 16-mm-Formats längst vom Web übernommen und die Projektoren eigentlich nur noch im Kunstkontext von Galerien und Ausstellungsräumen in Arbeit, wo sie in Loops unermüdlich ihren leise schnurrenden Dienst tun.

Fotochemische Alchemie

Genau diesem Verschwinden gewidmet ist eine experimentelle Arbeit der Filmkünstlerin Els van Riel, die in ihrem mit allen analogen Tricks manipulierten Schwarz-Weiß-Film „Gradual Speed“ mit subtil in Graduation und Helligkeit changierenden Bildern eine meditativ aufgeladene und technisch nur in diesem Format mögliche Hommage an die fotochemische Alchemie und ihre Vergänglichkeit versteht.

Auch sonst war – ganz abgesehen von allen Inhalten – jeder einzelne Film dieser in körnigem analogem Filmschmelz erleuchteten „Revolutionen“ in seiner im Hier und Jetzt stattfindenden einmaligen Aufführung ein unwiederbringlicher visuell-sinnlicher Hochgenuss.

Spielort der Schmalfilm-Reihe war das als Theaterort aus dem 19. Jahrhundert stammende Metro-Kino, das vom betreibenden Filmarchiv Austria in Partnerschaft mit der Viennale gerade mit einem zweiten Saal, Sichtungsplätzen und Ausstellungsräumen zu einem Filmkulturzentrum ausgebaut wurde und wird. Ein Projekt, das nach einem kritischen Bericht von Stefan Grissemann im profil und einer gekonterten Brandrede von Viennale-Direktor Hans Hurch gegen die heimische Filmpresse eine öffentliche Debatte über die Institutionen der Filmgeschichte und ihr Personal auslöste.

Eigentliche Kontrahenten sind dabei Hurch und Alexander Horvath, der als Direktor des Österreichischen Filmuseums eine nicht gleich, aber doch ähnlich gelagerte Institution betreibt – und übrigens Hurchs Vorgänger als Viennale-Chef war. Es lässt sich nur hoffen, dass die offene Debatte die schon lange schwelende Konkurrenz zwischen beiden Häusern produktiv beflügelt und nicht lähmt.

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