Debatte über Schulterkameras: Big Bulle is watching you
Eine Expertenanhörung zu geplanten Schulterkameras für Polizisten weist auf offene Fragen hin. Der Modellversuch auf St. Pauli dürfte trotzdem kommen.
Die Opposition war auch nach der Anhörung nicht überzeugt. Im Innenausschuss der Bürgerschaft stritten am Dienstagabend sechs von den Fraktionen benannte Experten über Sinn und Unsinn, Nutzen und Gefahren der vom Senat geplanten Ausrüstung Hamburger Polizisten mit Schulterkameras.
Vier dieser sogenannten Bodycams sollen im Rahmen eines einjährigen Pilotprojekts angeschafft und zunächst im Stadtteil St. Pauli eingesetzt werden. Das gut sichtbare Kameraauge soll potenzielle Gewalttäter abschrecken. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte der SPD-Senat bereits Anfang September verabschiedet.
Dieser aber weist nach Meinung der Experten zahlreiche Lücken auf. So gebe es keinerlei wissenschaftliche Erhebungen, die einen Rückgang der Gewalt an Polizisten durch den Bodycam-Einsatz belegten, hieß es am Dienstag. Clemens Arzt von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Politik sieht in der geplanten Maßnahme „einen erheblichen Eingriff“ in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Gefilmten. Darauf aber nehme der Hamburger Gesetzentwurf gar keinen Bezug.
Es fehlten klare Regelungen, so Arzt weiter, unter welchen Umständen die Bodycams überhaupt eingesetzt werden dürften. Und Nils Zurawski vom Institut für Kriminologische Sozialforschung der Uni Hamburg forderte eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung und Auswertung des Projekts, die bislang so „nicht vorgesehen“ sei.
„Die Anhörung hat mich von der Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht überzeugt“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller. Die Bodycams seien „ein weiterer Schritt hin zu einer immer umfassenderen Überwachung im Alltag“. Ein Konzept für die „konkrete Umsetzung“ des Pilotprojekts liege nicht vor, rechtliche Fragen dieses „erheblichen Eingriffs“ in Persönlichkeitsrechte seien „nicht geklärt“, so Möller.
Der FDP-Abgeordnete Carl Jarchow kritisiert, dass „die Frage, wer wann diese Daten auswerten darf und löschen muss“, vom Gesetz nicht beantwortet sei. Da es „keine Dringlichkeit“ für die Bodycams gebe, sei es sinnvoll, zunächst Erfahrungen aus Hessen auszuwerten, wo die Kameras bereits im Polizeieinsatz sind.
Christiane Schneider von der Linksfraktion fühlt sich durch die Anhörung in ihrer „grundsätzlichen Ablehnung dieser weiteren Aufrüstung der Polizei bestärkt“: Für einen derart schweren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung brauche es starke Gründe, sagt sie – „die gibt es nicht“.
Dagegen mag der SPD-Abgeordnete Martin Schäfer nur „Präzisionsbedarf“ an einigen wenigen Punkten erkennen, „etwa bei der Aufbewahrungsfrist“ des Videomaterials. Eine Evaluation sei nicht entscheidend, weil es darum gehe, „das subjektive Sicherheitsempfinden der betroffenen Beamten zu verbessern“ – und das sei nicht messbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin