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Propagandafilm fürs ScheiternKampflichtspiel des Weltekels

Trotz Filmbluts kein Horror, trotz Kalauern keine Komödie: Mit „Sieg der Vernunft“ hat der Hamburger Ditterich von Euler-Donnersperg einen ironischen neostalinistischen Propagandafilm gedreht.

Wo die KED herrscht, herrscht Ordnung. Oder nicht? Bild: Ditterich von Euler-Donnersperg

HAMBURG taz | „Der Samen eines Sowjet-Deutschlands ist gepflanzt“: Das ist die frohe Botschaft, der hier gefeiert wird. Die Kommunistische Einheitspartei Deutschlands (KED) wird von ihrem Vorsitzenden Dr. Kurt Euler mit eisern-stalinistischer Hand geleitet und in dem begrenzten, aber konsequent durchstilisierten Kosmos von „Sieg der Vernunft“ herrscht dieses System ohne nennenswerte Widerstände.

Dieses Herrschen erschöpft sich nun allerdings in ewigen Parteifeiern, ZK-Sitzungen, Referaten und Gruppendiskussionen, bei denen etwa ein erschöpfender Vortrag über die Vorzüglichkeit des Genickschusses gehalten wird – den es schon gebe, „so lange wie der Mensch auf Erden wandelt“. In kurzen Actionszenen wird dann gezeigt, dass diese Methode der Parteisäuberung tatsächlich oft und professionell ausgeführt wird.

Ein paarmal spritzt dabei auch Kinoblut, aber ein Splatterfilm ist dies ganz gewiss nicht. Auch keine Komödie, obwohl gerne mal heftigst gekalauert wird; so heißt etwa die „Geheime-Partei-Polizei“ – Gepapo. Aber die vielen Monologe, Reden und Diskussionsbeiträge sind nicht auf Lacher hin geschrieben, sondern in einem gehobenen, fast literarischen Stil formuliert, der sich zwar der Sprachklischees der kommunistischen Systeme bedient, aber auch eine eigene, irritierend starke rhetorische Kraft entwickelt.

Mit solch schillernden Unschärfen verstört der Hamburger Underground-Künstler mit dem Alias Ditterich von Euler-Donnersperg gerne sein Publikum. Er hat einen Propagandafilm gemacht für ein ideologisches System, das vor Jahrzehnten moralisch wie politisch gescheitert ist. Und gerade dieses Scheitern, diese Vergeblichkeit ist es, die Euler-Donnersperg reizt.

Die Anfänge des Projekts liegen in den 80er-Jahren, als er das Musiklabel „Walter Ulbricht Schallfolie“ gründete und sich – laut eigenen Worten – „im Geiste Walter Ulbrichts, des damals meistgehassten Menschen der Erde, unbedingt der Langsamkeit verpflichtet fühlte“. Als Antwort auf die Wiedervereinigung rief er in den frühen 90er-Jahren die „Liedertafel Margot Honecker“ ins Leben, die Klassiker aus den DDR-Zeiten sang. Bei ihren Konzerten trat er zum ersten Mal als Dr. Kurt Euler auf, der als Vorsitzender der KED flammende kommunistische Reden hielt.

Euler-Donnersperg wurde ein Held der Hamburger und Berliner Subkultur, fiel aber nie aus der Rolle, ließ sich also nicht als Parodist oder Kabarettist vermarkten. Ein finanziell verlockendes Angebot für ein langes Engagement am damals sehr coolen Schmidt-Theater auf St. Pauli schlug er aus – das wäre „Nasch- und Gaukelwerk“ gewesen. Schon in einem Tempo-Bericht aus dem Jahr 1994 wurde übrigens für den folgenden Sommer die Premiere des Kampflichtspiels „Sieg der Vernunft“ angekündigt. Er hat also über 20 Jahren daran herumgebastelt.

Angesichts der Textfülle war es offensichtlich auch lange ein eher literarisches Werk. Viele Formulierungen von Euler-Donnerspergs Lieblingsdichter Friedrich Gottlieb Klopstock, etwa: „Der größte Zauber beherbergt in seinem Kern den schäbigsten Schwindel“, sind nun in den Reden zu finden – und passen ideal zu seiner Weltsicht: Ditterich von Euler-Donnersperg ist ein Nihilist in der Tradition von Dada und Punk.

So ist auch dieser 154-Minuten-Film, in dem über zwei Stunden lang geredet und höchstens 20 Minuten auch ein wenig erzählt wird, eine Zumutung. Er soll „anstrengend sein und quälen“, sagt der Regisseur selbst. Langweilig ist er aber nicht, denn Euler-Donnersperg ist vielleicht kein talentierter, dafür aber ein exzentrischer Filmemacher, bei dem man nur das Unerwartete erwarten kann.

Dabei nimmt er sein Thema auch durchaus ernst. In einigen Sequenzen zeigt er, wie subtil in einem diktatorischen System geherrscht wird. Da erzählen sich etwa Agenten der Gepapo, wenn sie unter sich sind, „Euler-Witze“. Als einer die anderen denunziert, stellt sich heraus: Der große Vorsitzende kennt die Witze nicht nur alle, er hat sie selbst in Umlauf gebracht hat, weil er um ihre Ventilwirkung weiß.

Die Vielzahl von Splittergruppen – mit Namen wie Humanistische Union für Spirituellen Sozialismus, Libertär-Akropolitische Front oder Revolutionären Neophilister – erinnern an die K-Gruppen in den 70er-Jahren. Besonders ausführlich kommen vor ihrer Liquidation die Cioranisten zu Wort, weil der Rumäne Emil Cioran (1911–1995) mit seinen extrem nihilistischen Thesen ein Lieblingsphilosoph des Regisseurs ist.

Die seltsamsten Sektierer des Films sind aber eine Gruppe von „Hodenbadern“. Tatsächlich gab es in den 80er-Jahren ein paar linke Mediziner in der Schweiz, deren erster Schritt bei der Abschaffung des Patriarchats darin bestand, dass sie ihre Hoden in heißem Wasser badeten. Im Film sieht man nun ein paar nackte Herren im Kreis sitzen, die Hoden in Wasserbädern, und politische Reden führen. Der Regisseur ist sich sicher: So etwas wurde noch nie im Film gezeigt.

Ditterich von Euler-Donnersperg hat „Sieg der Vernunft“ mit vielen Freunden aus der Hamburger Underground-Kunstszene besetzt, die seine langen, verschrobenen Sätze auswendig lernen mussten. Auch für die Drehorte wie Hochbunker, die örtliche Kunsthochschule und ein Domina-Studio hat er kein Geld zahlen müssen. So kostete sein überlanger Film nur 2.000 Euro – und die flossen zum größten Teil ins Catering.

Premiere: Freitag, 1. Mai, 20 Uhr, Metropolis, Hamburg

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4 Kommentare

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  • Maaaan taz, wenn Filmempfehlung, dann bitte mit Link zum Trailer! Das tut nicht weh und macht die Leser/innen froh.

     

    https://www.youtube.com/watch?v=OVfjPkqrsMA

  • Pure Vernunft darf niemals siegen, Tocotronic.

    • @nzuli sana:

      Die Gefahr, dass die "pure Vernunft [tatsächlich irgendwann] siegen" könnte, geht gegen Null. Schon deshalb, weil Menschen ganz gerne aus eigenen Erfahrungen lernen. Diese Erfahrungen aber sind bei ihrer Geburt noch nicht vorhanden, sondern müssen erst mühsam gesammelt werden im Laufe eines langen Lebens. Wir sind halt keine Computerspiele, die am gleichen Tag massenhaft und völlig ausprogrammiert auf den Markt geworfen werden.

       

      Wieso die Jungs von Tocotronic solche Angst gehabt haben vor dem Sieg der puren Vernunft, dass sie sie mit Musik bekämpfen musten, weiß ich nicht. Ich bin kein Tocotronic-Fan. Vielleicht, weil sie geglaubt haben, dass ihr Publikum welche hat. Empathie? Eine Vermarktungsstrategie? Wahrscheinlich von beidem etwas. So, wie bei Ditterich von Euler-Donnersperg. (2.000 Euro ins, vermutlich eher flüssige als feste, Catering zu „investieren“, ist schließlich auch ganz schön „volksnah“.)

       

      Wie dem auch sei. Fest steht, dass man einen Feind, der gar nicht existiert, nicht unbedingt mit allen künstlerischen und intellektuellen Mittel bekämpfen muss. Tun darf man das jedoch. Vor allem, wenn man keinen großen Wert legt auf die eigene Vernunft. Weil man der Ansicht ist, sie würde eh nichts bringen.

      • @mowgli:

        @ MOWGLI :

         

        Ich glaube nicht, daß noch einmal der Tag kommt, an dem noch mal ein auch nur weitestgehend ausprogrammiertes Ccomputerspiel auf den Markt kommt; wenn man die Fehlerkorrekturen mit etwas Zusatzramsch vermischt und das ganze nicht mehr Patch oder Update sondern Downloadcontainer (DLC) nennt, so kann man dafür gleich nochmal Asche vom Kunden abgreifen, was aus rein ökonomischer Sicht natürlich völlig vernünftig ist !

        Aus meiner Sicht durchaus etwas, was es zu bekämpfen lohnen könnte...