Ausstellung in Hannover: Einfach mal innehalten

Was tun wir, wenn wir nichts tun? Und warum tun wir das so selten? Gekonnt widmet sich eine Ausstellung in Hannover dem Nichtstun und dem Faulenzen.

Berückend: Kollektives Wenigtun, 1957 in Ostberlin. Bild: Sprengel Museum © VG Bild - Kunst, Bonn 2015

HANNOVER taz | Was Matthias heute wohl macht? Vielleicht hat er mittlerweile selbst Kinder, die in ihrem Zimmer die Poster ihrer Stars hängen haben. So wie Matthias damals in seinem Zimmer, von den Beatles und anderen Kerlen mit langen Haaren. Dazu sein typisches Jugendlichenbett, schmal in die Ecke gedrängt.

Am 1. September des Jahres 1979 stellte Matthias dem Fotokünstler Heinrich Riebesehl dieses Bett zur Verfügung. Der zückte tags darauf seine Kamera, und so gehören Bett und Zimmer zu Riebesehls Serie „Unterwegs in fremden Betten“: eine illustre Reihe von Betten samt Zimmern, in denen der Künstler die 70er-Jahre hindurch schlief; mal in Pensionen, oft aber auch privat, so wie bei Matthias’ Eltern in Ratzeburg.

Zu sehen ist das zurzeit im Sprengel-Museum in Hannover. Dort beschäftigt sich die Ausstellung „Auszeit“ mit den Momenten, in denen wir nichts tun – oder zumindest glauben, dass wir nichts täten. Verantwortlich ist dafür Dörthe Wilke, die derzeitige wissenschaftliche Volontärin des Hauses: Sie hatte die Idee und arbeitete sich anschließend tapfer durch die nicht gerade schmale Sammlung des Museums. Weit über 500 Arbeiten hat sie gesichtet, ausgewählt, wieder verworfen und am Ende 110 aufhängen und manchmal auch aufstellen lassen.

„Eine Ausstellung über das Nichtstun zu konzipieren“, sagt Wilke im Rückblick, „macht wahnsinnig viel Arbeit.“ Und sie erzählt von einer Grunderfahrung, die sie während dieser Arbeit machen durfte: Zur Zeit, die einem fehlt oder die zumindest immer zu knapp bemessen scheint, habe jeder, aber auch wirklich jeder etwas zu sagen.

Erst einmal aber gibt es viel zu gucken auf diesem so unterhaltsamen wie klugen und hintersinnigen Rundgang durch die Kunstgeschichte: Max Beckmann, Franz Marc, Emil Nolde und Pablo Picasso sind mit Motiven Ruhender, Schlafender oder auch nur Verharrender vertreten. Von Helga Paris sind Exponate ihrer schön-delierirenden SW-Serie „Berliner Kneipen“ zu sehen; Arthur Kampf zeigt auf einer Radierung von 1902, wie ein Mann nutzlos Badenden zuschaut – betitelt: „Der Einsame“.

So ist es eine feine, fast stille Themenausstellung geworden, die den Besucher nicht mit steilen Thesen aufwühlen will, sondern ihn eher sanft auf das verweist, was uns so oft fehlt: dass wir einfach mal stehen bleiben, einfach mal innehalten, uns einfach mal verlieren – wobei das gedämpfte Licht des Untergeschosses sehr hilfreich ist.

Berückend wirkt da etwa eine frühe Fotografie von Arno Fischer, aufgenommen 1957 in einem Ostberliner Park: Menschen erholen sich vom Tage. Es ist kein technisch perfektes Bild, leicht unscharf sogar, aber eines, das ganz eigensinnig diese Stimmung wiedergibt, wenn wir beim Entspannen nicht alleine sind. Auch Boris Mikhailov, der Berserker unter den zeitgenössischen Fotografen, kommt ungewohnt leise und ruhig daher: Er hat eine Gruppe älterer Frauen auf einer Parkbank abgelichtet; sie sitzen einfach da und wirken sehr zufrieden und entspannt. Auch, als würden sie gerade nichts vermissen.

Kreuzzug gegen die Zigarette

Was geschieht, wenn der dem Klischee nach immer tätige Künstler mal nicht den Zeichenstift führt, nicht das Linolmesser zückt und nicht auf den Auflöser drückt? Gut gefällt dazu die Arbeit „Work“ von Pavel Büchler: Büchler ist leidenschaftlicher Raucher und so hat er in den vergangenen sieben Jahren Momente festgehalten, in denen er zur Zigarette griff. Oft alleine ist er zu sehen, aber auch mit Künstlerkollegen oder Ausstellungsmachern, darunter Sprengel-Chef Reinhard Spieler.

Gezeigt werden diese Bilder nun als Slideshow, die jedes Bild gut vier Minuten stehen lässt – etwa eine Zigarettenlänge. Eine Hommage, die das Verdrängen des Rauchens aus dem öffentlichen und zunehmend auch dem privaten Raum in ein anderes Licht setzt: Gesundheit hin oder her – ist der Kreuzzug gegen die Zigarette vielleicht auch einer gegen die Pause, gegen die Auszeit?

Es fehlen allerdings auch nicht die Gegenbilder: Eindrücke von unfreiwilligem Stillstand, wie ihn Arbeitslosigkeit oder auch Krankheit hervorbringen. Und nach Ausruhen und Schlaf ist auch der Tod, der jede Diskussion über den rechten Umgang mit der uns zugewiesenen Zeit auf seine Weise beenden wird, immer wieder Thema.

Die Ausstellung soll aber nicht nur Anregungen nach außen geben. Sie soll auch nach innen wirken, in den Museumsbetrieb hinein. Eine erste Folge: Das Haus selbst hat die Eröffnung seines Erweiterungsbaus gerade verschoben, von vor den Sommerferien auf die Wochen danach – um, ja, mehr Zeit zu haben.

Zugleich soll der neue Bau drei Logen enthalten, in denen man sich unbehelligt ausruhen und seinen vielleicht ganz eigenen Gedanken nachhängen kann. „Der Zeitnachhall zeigt auch so seine Wirkung“, ist sich Hausherr Reinhard Spieler sicher, „und das vorher Gesehene kann ohne zielgerichtetes Nachdenken sacken.“ Er plädiert überhaupt dafür, dass das Kunstmuseum sich seinerseits nicht hetzen lassen sollte.

Am Ende: Versinken

Dazu passend kann sich der Besucher am Ende dieser Ausstellung ruhig zu Boden sinken lassen; kann auf einem von vier grauen Sitzsäcken lümmelnd eintauchen in Piero Steinles „Triphibious Construction“: Ein Schwimmer zieht durch ein vom Meer getrenntes Schwimmbecken, dazu erklingt ein wohliges Stück für Streicher und Bläser von John Cage. Was für ein Stück genau?

Spieler muss passen. „Ich wollte schon bei Shazam nachschauen, aber hier unten ist kein Empfang“, sagt er entschuldigend. Und lauscht der Musik, die einen auf gänzlich unaufgeregte Art mitnimmt, und sieht dem Schwimmer zu, der jetzt unter düsterem Himmel nach rechts verschwindet, aber gleich wieder auftauchen wird, mit kräftigen, exakten Armschlägen, konzentriert und verlässlich.

„Auszeit. Vom Faulenzen und Nichtstun“: bis 30. August, Hannover, Sprengel Museum
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