: NS-Justiz im Netz
Vor 70 Jahren zerschlugen die Nazis den antifaschistischen Widerstand in Wuppertal. Nun erinnert eine Webseite an die „Gewerkschaftsprozesse“
VON DIRK ECKERT
Woher die Gestapo den Tipp hatte, ist bis heute nicht geklärt. Jedenfalls war die Geheime Staatspolizei zur Stelle, als sich am 17. Januar 1935 in Wuppertal-Elberfeld drei Funktionäre der verbotenen KPD trafen. Gegen 16 Uhr wurden Wilhelm Muth, Otto Heyler und Wilhelm Recks festgenommen und „dem hiesigen Polizeigefängnis zugeführt“, wie es in den Akten heißt.
Die Festnahme war der Auftakt zu einer größeren Verhaftungswelle, mit der die Nazis den antifaschistischen Widerstand in dem als linke Hochburg bekannten Wuppertal brachen. Seit Oktober 1934, vermerkte die zuständige Gestapo-Dienststelle am 3. Januar 1935, habe sich „eine erneute und erhöhte Tätigkeit der illegalen KPD bemerkbar gemacht, welche sich vor Allem dadurch äußerte, daß an den verschiedensten Stellen dauernd neue illegale Flugblätter der illegalen KPD auftauchten“.
Rund 1.200 Menschen – Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter oder Parteilose – wurden ab Januar 1935 festgenommen und inhaftiert. Die Gestapo ging mit brutaler Gewalt vor: Mindestens 17 Menschen starben bei den Verhören, darunter einer der Verhafteten vom 17. Januar, Wilhelm Muth. Es folgte eine Serie von Prozessen vor dem Oberlandesgericht Hamm und dem Volksgerichtshof. Bis 1937 wurden über 600 Menschen wegen Hochverrat zu zum Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Verfahren gingen als Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse in die Geschichte ein.
Der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal hat sich nun daran gemacht, diese Massenprozesse sowie den Widerstand im „roten Wuppertal“ genauer zu erforschen. Eine Ausstellung zum 70. Jahrestag scheiterte jedoch am Geld. Stattdessen haben die Historiker und Sozialwissenschaftler die Ergebnisse ihrer Forschungen im Internet unter www.gewerkschaftsprozesse.de veröffentlicht.
Herzstück der professionell gestalteten Webseite ist eine Datenbank mit über 1.000 biographischen Daten von Verfahrensbeteiligten. Dort kann zum Beispiel nach Angehörigen recherchiert werden, erläutert Projektkoordinatorin Anne Marioth. Die Sammlung erlaubt den Wissenschaftlern aber auch Rückschlüsse darauf, wer in Wuppertal den Nazis Widerstand leistete: Es waren vor allem gelernte Arbeiter aus den Metall- und Textilindustrie. Auffällig ist der hohe Anteil Erwerbsloser. Knapp die Hälfte hatte zum Zeitpunkt der Verhaftung keine Arbeit. Bei den Parteimitgliedschaften dominierte zwar die KPD, der etwa ein Drittel der Verhafteten angehörte. Aber immerhin die Hälfte war überhaupt nicht Mitglied einer Partei. Die übrigen gehörten zu SPD, SAJ, USPD oder anderen meist linken Kleinstparteien.
Der Widerstand im „roten Wuppertal“ wie auch die Gewerkschaftsprozesse, die damals eine internationale Solidaritätskampagne auslösten, gelten als noch wenig erforscht. Auch im Internet fand sich bisher wenig. Mit gewerkschaftsprozesse.de ist wenigstens diese Lücke nun geschlossen. Die Webseite umfasst ein großes Textangebot, außerdem viele Originaldokumente und Bilder. Und die Wissenschaftler haben noch mehr Material auf Lager: So soll die Datenbank weiter ausgebaut werden, außerdem sollen noch weitere Textdokumente, aber auch Ton- und Filmdokumente online gestellt werden, verspricht Projektkoordinatorin Marioth.