: Gene sind keine Legosteine
Funktionierten Lebewesen tatsächlich so simpel, wie die Gentech-Lobby behauptet, dann wären gentechnisch veränderte Pflanzen kein Problem. Doch das alte Dogma, dass Gene einfach hin und her verschoben werden können, ist längst überholt
In den letzten Jahren hat sich immer deutlicher gezeigt, dass das simple Verständnis des Erbguts als Baukastensystem revidiert werden muss. Das derzeit in der Wissenschaft noch bestehende Dogma, einzelne Gene könnten über die Artengrenze hinweg verschoben werden und behielten dabei ihre Funktion unverändert bei, basiert auf falschen Vorstellungen. Gene sind keine Legobausteine: Sie sind ambivalent und dynamisch, kommunizieren und interagieren mit andern Genen und Molekülen und unterliegen komplexen Regulationsmechanismen. Dabei spielt auch die so genannte Epigenetik eine weitaus größere Rolle als lange Zeit angenommen.
Die Epigenetik ist ein „übergeordnetes“ Informationssystem. Mit Hilfe dieses Systems kann die Zelle die Aktivität der Gene regulieren; sie kann Gene an- oder abschalten oder sie gar verändern. Dazu stehen verschiedene Moleküle – Proteine oder kleine DNA-Sequenzen – zur Verfügung. Es entsteht ein neues Bild des Lebens – wobei vieles noch im Dunkeln liegt. Das alte Dogma ließ Gentechnik bei Pflanzen als sicher erscheinen. Obwohl inzwischen widerlegt, liegt es heute immer noch der offiziellen Sicherheitsphilosophie zugrunde, auch wenn kleine Anpassungen vorgenommen wurden.
„Die heutigen Produkte der Gentechnik sind auf dem Niveau einer Dinosauriertechnologie“. So die Einschätzung des Molekularbiologen Cesare Gessler von der ETH Zürich. „Wir benutzen artfremde Gene; wissen nicht, wo im Genom diese eingebaut sind oder was sonst in der ganzen Kette vom Gen bis zum Protein verändert wird. Wir wissen nicht, in welche Regulationszusammenhänge wir eingreifen“, meint der Pflanzenexperte. Weil noch so viele offene Fragen bestehen, hält es Gessler für falsch, die heutigen transgenen Pflanzen freizusetzen. Das sei auch noch nicht nötig, denn vorerst brauche es noch sehr viel Forschung im Gewächshaus: „Erst wenn alles funktioniert und wir alles getestet haben, können wir etwas aufs Feld bringen. Soweit sind wir noch lange nicht“, ist Gessler überzeugt. Er plädiert dafür, das große genetische Wissen für das so genannte Marker Assisted Breeding zu verwenden, also zur Verwendung von Genmarkern bei der konventionellen Züchtung. So könne schneller und präziser gezüchtet werden. Er selbst verwendet diese Technik zur Apfelzüchtung. Die gentechnische Übertragung arteigener Gene hält sich Gessler als Zukunftsvision offen.
Auch der Molekulargenetiker Marcello Buiatti von der Uni Florenz betont, dass die Wissenschaft bei der Erforschung epigenetischer Mechanismen am Anfang stehe. Epigenetische Veränderungen spielten bei Pflanzen eine noch viel größere Rolle als bei Tieren oder Menschen, meint Buiatti: „Verschiedene Zellen einer Pflanze haben beispielsweise nicht notwendigerweise – so wie es normalerweise bei den Tieren der Fall ist – den selben Genotyp, das heißt die selben Gene. Gewebe in ein und derselben Pflanze haben unterschiedlich viele Chromosomen, tragen unterschiedlich mutierte Gene und weisen häufig auch noch verschiedene Varianten der selben Gene auf. So können Pflanzen zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens und unter verschiedenen Umweltbedingungen die gerade vorteilhafte Variante auswählen; ihr Reservoir an Varianten ist viel größer als das von Tieren.“ Das mache gentechnische Veränderungen bei Pflanzen noch unberechenbarer.
Bisher gibt es kaum Studien zu den unerwünschten Auswirkungen epigenetischer Veränderungen. Das erstaunt den Molekularbiologen Gilles-Eric Seralini von der Uni Caen, in Frankreich, nicht. Seralini gehört unter anderem zwei französischen Regierungskommissionen zur Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen an. Er sagt, dass zur Herstellung von gentechnisch veränderten Pflanzen viele Versuche unternommen werden müssten, und nur bei ganz wenigen funktioniere die Genübertragung auch. Etwa 98 Prozent aller transgenen Pflanzen funktionierten nicht, aus vielerlei Gründen. Diese würden einfach weggeworfen und nicht weiter untersucht. „Man findet also sehr wenige Studien zum Thema. Deshalb sollten wir uns bewusst sein, dass die Untersuchungen zur Zusammensetzung gentechnisch veränderter Organismen bei weitem nicht ausreichen, um die Toxizität oder irgendwelche unerwarteten Effekte solcher Pflanzen vorhersagen zu können.“
Seralini weist auf ein weiteres Problem hin: Fast hundert Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen tolerieren Herbizide oder produzieren Pestizide. Und es ist ein einziges Herbizid – Roundup Ready von Monsanto – gegen das 75 bis 80 Prozent all dieser Pflanzen resistent gemacht wurden. Das Herbizid sei nicht harmlos: „Wir konnten in unserm Labor zeigen, dass menschliche Plazentazellen sehr empfindlich auf Roundup Ready reagieren, selbst bei niedrigerer Konzentration als in der landwirtschaftlichen Anwendung. Dies könnte Fehl- und Frühgeburten bei nordamerikanischen Bäuerinnen erklären. Wir haben auch andere Auswirkungen festgestellt.“
Seralini schlägt vor, dass GVO ebenso wie Pestizide auf ihre Toxidität hin geprüft werden sollten. „Ich meine, es ist idiotisch, den Menschen während des ganzen Lebens GVO zu geben, während nicht einmal Toxiditätstests für drei Monate vorgeschrieben sind.“
FLORIANNE KOECHLIN