: Belohnung für Kohlekraftwerke
ERDERWÄRMUNG Unternehmen aus den Industriestaaten versuchen, effizientere Kohlekraftwerke in Entwicklungsländern als Klimaprojekte registrieren zu lassen
VON NADINE MICHEL
Erneut steht ein zentrales Instrument der internationalen Klimaschutzpolitik in der Kritik: Mit dem sogenannten Clean Development Mechanismus (CDM) sollen eigentlich Klimaprojekte in Entwicklungsländer umgesetzt werden, die sich europäische Unternehmen positiv auf ihre Klimabilanz zu Hause anrechnen lassen können. Doch nun versuchen Unternehmen vermehrt, auch neue Kohlekraftwerke in Indien und China als „saubere Projekte“ registrieren zu lassen und dafür CO2-Gutschriften zu bekommen. Das kritisiert die Organisation CDM-Watch und fordert die Nicht-Anerkennung derartiger Projekte.
„Künstliche Emissionskredite, wie sie von diesen Kohleprojekten erzeugt werden, schaden dem Klima, weil sie Emissionsminderungen zu Hause ersetzen“, sagt Eva Filzmoser von CDM-Watch. CDM-Projekte sollten erneuerbare Energien fördern. Ein Kohlekraftwerk zu bauen, sei „einfach absurd“.
Beim CDM können Investoren aus Industriestaaten Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern finanzieren, etwa eine Windkraftanlage in Indien. Die dort eingesparten Treibhausgas-Emissionen können sie sich dann anrechnen lassen und im Gegenzug im eigenen Land mehr ausstoßen, als sie eigentlich dürften. Die Anträge für solche Projekte werden von zugelassenen Gutachtern nach UN-Kriterien bewertet, danach entscheidet der CDM-Exekutivrat der UN über die Genehmigung.
Das weltweit erste CDM-Projekt mit einem Kohlekraftwerk in Indien wurde im Dezember 2009 registriert. Begründet wurde es damit, dass der Bau eines Kraftwerks mit neuerer, effizienterer Technik den Bau eines Kraftwerks mit älterer Technik verhindern würde. „Es ist interessant zu sehen, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt weitere Projekte eingereicht wurden“, sagt Filzmoser von CDM-Watch. Die Genehmigung für das erste Kohlekraftwerk sei ein entscheidendes Signal an andere Konzerne gewesen.
Einer davon ist der Energiekonzern RWE, der Abnehmer von einem geplanten Projekt in China sein würde. Dort hieß es auf taz-Anfrage: „Wir halten uns wie bei allen unseren CDM-Projekten an den Prozess der Vereinten Nationen.“ Zudem wies eine Sprecherin daraufhin, dass grundsätzlich alle Projekte von „zig Instanzen“ geprüft würden und innerhalb des Genehmigungsverfahrens viele unabhängige Schritte erfolgten. Doch auch die Unabhängigkeit der Prüfer wurde von der Umweltorganisation WWF schon in Frage gestellt.
Eine Studie der Stanford Universität in den USA hat jetzt die inzwischen 14 geplanten Kohlekraftwerksprojekte untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass sie auch wegen der fehlenden Zusätzlichkeit fragwürdig seien. Denn entscheidend ist bei CDM, ob ein Projekt in dem Entwicklungsland ohnehin umgesetzt würde oder erst durch die zusätzlichen Investitionen ermöglicht wird. Sowohl in Indien als auch in China sei die neue Technologie der Kohlekraftwerke längst üblich, um den steigenden Energiebedarf zu decken. Die CO2-Zertifikate würden demnach also keine echten Emissionsreduktionen bedeuten.
In einem Brief an den CDM-Exekutivrat fordert CDM-Watch, die Kohleprojekte sofort zu suspendieren, um die Glaubwürdigkeit des Instruments nicht weiter zu unterminieren. Der CDM-Exekutivrat tagt in dieser Woche in Bonn. Der taz gegenüber sagte man, der Kritik nachgehen zu wollen.
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