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Archiv-Artikel

Klassenkampf, antipostmodern

PROTEST Eine der radikalsten Regie-Existenzen im internationalen Kino: Svetlana Baskovas „neo-sowjetischer“ Film „Für Marx …“ erzählt von der allgegenwärtigen Ohnmacht im heutigen Russland

Die Helden erfahren, dass Auflehnung in diesem System das Leben kosten kann

VON BARBARA WURM

Russland heute. Ein monströs-ruinöses Stahlwerk irgendwo in der halburbanen Peripherie. Werktätige tuckern im extraklapprigen Bus und mit fossilem Phlegma zur Arbeitsstätte. Klingt realistisch? Soll es auch. Zu sehen sein wird aber: Kampf um Arbeit, Lohn, Würde, Mitspracherecht. Klingt utopisch? Soll es auch.

Denn mit „Für Marx …“ – der Originaltitel „Za Marksa …“ ist entweder im Sinne eines Toasts („Auf Marx“) oder als Widmung für den Ur- und Übervater zu verstehen – hält ein Kino Einzug, das das ehemalige Underground-Enfant-terrible Svetlana Baskova und ihr Produzenten-Triumvirat als „neosowjetisch“ bezeichnen. Was nicht nur bedeutet, Film als Form ideologischer Positionen zu betrachten, sondern auch den Hauch einer (freilich innovativ bearbeiteten) soz-realistischen Ästhetik zu verbreiten, die Realismus und Idealismus bekanntlich in Balance hielt und bewusst schematisierte.

Die Tatsache, dass sich in „Für Marx …“ drei Aktivisten – Vorarbeiter, Gießmeister und juragebildeter Marxist – einer (noch unter Jelzin konstitutionell eingeführten) Alternative zum gängigen Modell obrigkeitshöriger Gewerkschaftler besinnen und eine unabhängige Gewerkschaft gründen, wird unter den alten und neuen Despoten des korrumpierten Turbokapitalismus zum Skandalon. Mit allen Mitteln wird das Dreigestirn bekämpft, auf den Miniaufstand in der Zeche, für den ganz wunderbare Formen des sozialistischen Agitprop reaktiviert werden, folgen zunächst die Gegenagitation der offiziellen Arbeitnehmervertreter („Seid vernünftig, Burschen!“) und darauf die massive Erpressung durch die Manager, deren Methoden augenscheinlich an jenen profikriminellen Strategien geschult sind, die sich über die Jahre (besonders die 1990er) erfolgreich in der russischen Praxis etabliert haben. Gegen Ende des Films werden unsere „überflüssigen“ Helden nicht nur über sich hinausgewachsen sein und bluten, sondern auch erfahren haben, dass Auflehnung in diesem System das Leben kosten kann.

Dabei tun sie nur, was ihnen gesetzlich zusteht (genauer: zustand, denn als der Film in Russland herauskam, trat ironischerweise Putins umstrittenes Versammlungsverbotsgesetz in Kraft): Sie mobilisieren ihre Genossen, organisieren eine Demonstration. Und nebenbei exzerpieren sie Vissarion Belinskijs revolutionären „Brief an Gogol‘“ aus dem Jahr 1847 (dessen illegale Lektüre schon Dostojewski die Inhaftierung beschert hatte) oder diskutieren Jean-Luc Godards Film „Le vent de l’est“, der (was schon sehr witzig ist) im Kinoklub der Fabrik gezeigt wird. Von einer neuen Arbeiter- und Kulturgeneration von Enthusiasten, die naturgemäß an „CineFantom“ erinnert, jenen Filmklub, der in der späten Sowjetunion im Untergrund wirkte und bis heute nicht nur überlebt hat, sondern maximal produktiv ist – u. a. als Produzenten des Films, gemeinsam mit dem linken Hardcore-Aktionskünstler Anatolij Osmolovskij.

Sie haben Baskovas Recherche-Initiative, neokommunistische Organisationsformen in den klassischen Industriestädten zu dokumentieren („One Solution – Resistance“, zu sehen auf ihrer Homepage), aufgegriffen und damit die Karriere einer der radikalsten Regie-Existenzen im internationalen Kino reanimiert. Baskovas koprophage Armee-‚Studie‘ „Kleiner, grüner Elefant“ („Zelenyj slonik“) hatte 1999 schockiert, wurde verboten und zum „dreckigsten Film des gesamten 20. Jahrhunderts“ gekürt. Damals bildete Tschetschenien den Hintergrund, heute ist die Ohnmacht allgegenwärtig. Damals zielte Baskova auf den Underground, heute konfrontiert sie mit einem Amalgam aus V-Effekt und narrativem Action-Kino die (affirmierte) Masse.

Brecht ernst zu nehmen, Tarkowski zu zitieren, Schukschin zu huldigen und dabei präzise die letzten Generationen der postsozialistischen Machtelite zu sezieren ist eine Kunst, die historische Dimension hat und aktueller nicht sein könnte. Und sogar der filmische Kontext zum Thema „Klassenkampf, antipostmodern“ stimmt haarscharf, mit Travis Wilkerson bei „Unknown Pleasures“ oder der kommenden Zelimir-Zilnik-Werkschau. „Old School of Capitalism“ heißt eine seiner letzten Arbeiten. Ob die USA, Serbien oder Russland – die Parole lautet: „Beat the system!“

■ „Für Marx …“: Acud, Brotfabrik, Krokodil, Lichtblick, zusätzlich im Kulturbund Treptow, 14. 1., 19 Uhr