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Archiv-Artikel

Kulinarisches Matriarchat

FOLKLORE Gözleme oder Döner? Die eine Gaumenverführung ist Frauensache, die andere wird nur von säbelschwingenden Männern gemacht. Warum ist das so?

Gözleme selber machen – auch für Männer

Was brauche ich? Die Zutaten für den Grundteig sind ganz schlicht: 150 Gramm Mehl, 1,5 Teelöffel Salz, 100 Milliliter warmes Wasser. Mögliche Zutaten für die Füllung, je nach Geschmack: Schafskäse, gedünsteter Spinat, Knoblauchwurst, Ei, Tomate, Kartoffel, Hackfleisch. Gewürzt wird die Füllung mit einem Bund Petersilie und einer großen Zwiebel (jeweils klein gehackt), Pfeffer und Salz.

Wie geht das? Aus dem Mehl, dem Salz und dem warmem Wasser einen Teig kneten. Daraus zwölf Kugeln rollen und unter einem feuchten Tuch dreißig Minuten ruhen lassen. Später zu dünnen Fladen von ungefähr zwanzig Zentimetern Durchmesser ausrollen und zur Hälfte mit den gewünschten Zutaten belegen. Den Teig umklappen, die Ränder festdrücken. In einer mit Öl benetzten Pfanne circa fünf Minuten auf jeder Seite backen. Mit warmer Butter bestreichen und so schnell wie möglich verzehren.

Wo kann ich das anschauen? Im Netz stehen einige Filmchen online, die Gözleme-Bäckerinnen bei der Arbeit zeigen: einfach bei www.youtube.de das Stichwort „Gözleme“ eingeben.

VON KIRSTEN REINHARDT

Haben Sie schon einmal eine Gözleme-Bäckerin bei ihrer Arbeit beobachtet? Mit einem Rundstab rollt sie den Teig aus, hauchdünn muss er werden, ihre Bewegungen sind schnell und präzise. Noch ein bisschen Mehl – und der Stab tanzt, bis der Teig so fein ist wie zarter Stoff.

Gözleme sind crepeartige Fladen aus einem Mehl-Wasser-Salz-Teig, gefüllt mit Spinat, Hack oder Schafskäse. Die Spezialität wird vor den Augen der Kunden zubereitet und ist daher immer frisch. Ein gutes Gözleme ist nicht zu fettig, zwei Stück sind eine leichte Zwischenmahlzeit. Die Bäckerinnen, meist in Schürze und Kopftuch, belegen den Teig mit frischen Zutaten und backen ihn auf einem von unten beheizten Rundblech, dem Sac.

Nicht nur in der Türkei, auch in Berlin gibt es inzwischen in fast jedem Stadtteil ein Gözleme-Lokal, in dessen Schaufenster Frauen mit Teig hantieren. Und auch in anderen deutschen Städten ist die anatolische Spezialität zu bekommen: In der Moschee von Schwäbisch-Hall treffen sich jeden Freitag Frauen zum gemeinsamen Gözleme-Backen und in vielen Orten mit türkischen Gemeinden werden bei Anlässen wie dem Zuckerfest, dem Fest des Fastenbrechens, von Frauen betriebene Gözleme-Stände aufgebaut.

„Das kann kein Mann!“

Aber Moment mal! Wieso backen das eigentlich immer nur Frauen? „Männer können das nicht.“ Energisch spricht Gülten Ates diesen Satz aus. Die agile, schmale Frau ist die Chefin des „Gözleme Restaurant“ in Berlin-Neukölln. Vermutlich das erste seiner Art in der Hauptstadt. Gültens Mann Saim hat es 1994 eröffnet. Neben ihrem Restaurant drängen sich Handygeschäfte und Imbisse vieler Nationen; in der vollgestopften Auslage eines Waffengeschäftes nebenan schläft ein Jagdhund.

Gülten Ates erklärt die Aufschrift des DIN-A4-Blattes, das in ihrem Schaufenster klebt. „Bayan Elaman Araniyor“ steht darauf: „Köchin gesucht“. Die 46-Jährige macht ganz deutlich, dass es auf gar keinen Fall ein „Koch“ sein kann: „Sehen Sie, wie sauber es hier ist? Das kann kein Mann!“ Die füllige Gözleme-Bäckerin, die währenddessen im Schaufenster die Gözleme zubereitet, strahlt Geborgenheit aus. Es ist, als säße man in der Küche der Lieblingstante und schaue ihr zu, wie sie mit ruhigen, sicheren Handgriffen ein Rezept aus der Kindheit zubereitet. Der Effekt ist gewollt: Großformatige Fotos mit dörflichen Szenen zieren die Wände. Frauen mit bunten Gewändern und Kopftüchern sind darauf zu sehen, sie sitzen vor niedrigen Holztischen am Boden vor einem mit Feuer beheiztem Sac. Und so erscheint dieses Berliner Gözleme-Lokal wie ein geschützter Raum, ein gastronomisches Matriarchat. Das Kopftuch gehört zu einer Gözleme-Bäckerin dazu. Sie trägt es nach hinten gebunden; aus hygienischen Gründen, sagt Gülten Ates – aber eine gewisse Folklore spielt wohl auch mit. Das Tuch erinnert eher an die arbeitende Frau aus dem dörflichem Kontext vergangener Zeiten, sei es aus Ungarn, Anatolien oder Schleswig-Holstein, als an die schicken Kopftücher urbaner Musliminnen.

„Mit den Türken und Gözleme ist es wie mit den Berliner Schwaben und ihren Spätzle-Lokalen“, sagt die Erzieherin Hatice Sahin aus Krefeld. „Es ist ein Stück Heimat – und da muss es authentisch zugehen.“ Im Gegensatz zu anderen Befragten, deren Interpretationen der Gözleme-Frage so simpel wie offenbarend sind („Das ist eben so.“ „Das wird einfach von Frauen gemacht.“ „Männer können das nicht.“ „Es sieht schöner aus, wenn Frauen das machen.“), rollt Sahin das Feld der türkischen Gender-Gastronomie von hinten auf. Sie erinnert an die männlichen türkischen Gastronomiearbeiter, die Dönermänner, wie sie mit einem langen Messer in der Hand kraftvoll am Dönerspieß säbeln – der Gegensatz zu den zarten Bewegungen der Gözleme-Bäckerinnen. „Warum nur Männer in Döner-Läden arbeiten? Na, das ist doch eine körperliche Angelegenheit, mit dem Messer.“ Perfekt imitiert sie die Schabbewegung. „Die Männer kümmern sich um das Fleisch, sie schlachten, zerlegen und bereiten es zu. Die Frauen bereiten die anderen Gerichte zu. Auch von meiner Familie in der Türkei kenne ich es, dass sich die Frauen gemütliche Pumphosen anziehen und bunte Kopftücher umbinden, damit die Haare nicht ins Essen geraten, und dann gemeinsam Gözleme zubereiten.“

Corinna Gomani, Dozentin an der Universität Bielefeld, forscht zu Frauen, Feminismus und Islam. Auch sie bestätigt diese Form der Arbeitsteilung von Frau und Mann. Gomani bezeichnet sie als „anthropologische Konstante“: „Die Frauen bereiten alles zu, was weich ist, mit Milch und Teig zu tun hat. Die Männer kümmern sich um das Harte, um Fleisch und Blut. Das ist etwas ganz Ursprüngliches, das man in vielen Kultu- ren beobachten kann.“ Und eine gewisse Inszenierung des Traditionell-Kulinarischen, vermutet Gomani, gehöre wohl auch dazu.

Mit ihrem „Das ist eben so“ bekräftigen die Befragten die Analysen des Ethnografen Volker Gottwick in dessen Buch „Konstruktion des anderen“. Für den Fall Gözleme bedeutet das: Die Interpretation der geschlechtsspezifischen Zuordnung von gastronomischen Tätigkeiten hat eine mögliche erste Ursache vollkommen überlagert – und bereits selbst den Charakter der Begründung angenommen. Im Sinne von: Es ist so, wie es ist, weil es immer so war, und so soll es auch bleiben.

Gülten Ates aus dem „Gözleme Restaurant“ hat das Gözleme-Backen übrigens von ihrer Großmutter in der Türkei gelernt. In ihrer Familie konnte sie ihre Backkunst bisher nicht weitergeben: Sie hat zwei Söhne, die fallen geschlechterbedingt aus. Also muss sie weitersuchen, nach einer Köchin. Aber einfach wird das nicht: „Es ist schwer geworden, Frauen zu finden, die Gözleme machen können“, sagt Ates, „die jungen Leute wollen diese Arbeit nicht machen.“ Vielleicht bahnt sich da das Ende einer – sehr leckeren – anthropologischen Konstante an.