: „Fakten und Empathie“
PROJEKT Studierende haben eine historische Zeitung über jüdische Zwangsprostitution erarbeitet
■ 33, ist Juniorprofessorin für Geschichte Ostmitteleuropas und hat das Projekt mit der Künstlerin Elianna Renner geleitet.
taz: Frau Waligórska, Sie veröffentlichen heute eine Zeitung, die vor über 100 Jahren hätte erscheinen sollen?
Magdalena Waligórska: Das ist eine Art alternative Geschichtsschreibung: Was wäre, wenn Rabbi Rosenak seinen Traum verwirklicht hätte, eine jiddische Zeitung für allein reisende jüdische Auswanderinnen herauszugeben? Die „Naje Welt“ sollte vor den Gefahren der Zwangsprostitution warnen.
Wie kamen Sie von Migration und Zwangsprostitution auf den Rabbiner?
Bremen war damals eine wichtige Station vieler Auswanderer aus Osteuropa und Rabbi Rosenak hat sich für die jungen Frauen engagiert. Wir sind während eines Workshops mit StudentInnen der Uni und der HfK über seine Idee mit der Zeitung gestolpert. Die Studierenden haben sie nun nachträglich realisiert. So haben sie das Thema experimentell aufgearbeitet.
Wie sind Sie vorgegangen?
Die Studierenden haben auf Basis von Archivtexten nacherzählt, was Rosenak gerne gesagt hätte – als geschichtswissenschaftliches und künstlerisches Erinnerungsprojekt. Es ging uns darum, die historischen Frauen sprechen zu lassen, weil sie diese Stimme selbst nicht hatten. So ein emotionaler Zugang ist in der Forschung selten. Erinnerung besteht nicht nur darin, Fakten zu kennen, sondern auch Empathie mit den Opfern zu entwickeln. Das war reizvoll, aber auch schwierig.
Inwiefern?
Wir arbeiten zu einem sehr kleinen Aspekt des Menschenhandels: Die jüdische Zwangsprostitution machte nur etwa 10 Prozent aus. Trotzdem hören viele Leute „jüdische Zuhälter“ und haben sofort ein antisemitisches Klischee im Kopf. Die Zustände in Osteuropa müssen erarbeitet und dargestellt werden, um das Phänomen verstehen zu können.
Gab es Berührungsängste vor so antisemitisch aufgeladenen Themen?
Angst würde ich nicht sagen, aber in den abschließenden Hausarbeiten ist das Problem intensiv bearbeitet worden. Man merkt schon, wie kritisch über diesen Aspekt des eigenen wissenschaftlichen und künstlerischen Handelns nachgedacht wurde. INTERVIEW: JPK
20 Uhr, www.trackingthetraffic.org