Auf dem Weg nach Großenkneten

GROTELÜSCHEN Niedersachsens Landwirtschaftsministerin nach neuen Vorwürfen zunehmend unter Druck. Solidarität bekundet nur noch die Agrarindustrie, ihre Fraktion und die Kabinettskollegen schweigen

Aus CDU-Kreisen hieß es: „Die Situation ist sehr kritisch“

Für einen Rücktritt Astrid Grotelüschens wäre es ein guter Termin gewesen: Gestern warf der Norddeutsche Rundfunk der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin vor, für die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in einer Neubrandenburger Geflügelschlachterei verantwortlich zu sein.

Bei der Fitkost GmbH, so der Sender, habe es Akkordarbeit zu Stundenlöhnen von teils unter einem Euro gegeben, in Schichten von bis zu 13 Stunden, durchgestanden von Schlachtern, denen bei gesundheitlichen Beschwerden mit Entlassung gedroht worden sei. Laut Handelsregister hatte „Grotelüschen, Astrid, geb. Schober“ Einzelprokura für den unter HRB 1540 geführten Betrieb. Erloschen ist die erst am 20. Mai 2010.

Zwar konnte sich die Christdemokratin aus Großenkneten bisher immer auf ihre Freunde aus der Agrarindustrie verlassen. Einer Ministerinnen-Entlassung allerdings muss nicht die Lobby zustimmen, sondern der Landtag. Und aus den Koalitionsfraktionen kommt inzwischen nur noch unterkühltes Schweigen.

Im Sommer, als die Tierrechtsorganisation Peta Quälereien aus Grotelüschen’schen Tochtermästereien publik gemacht hatten, verteidigten ihre Parteifreunde sie noch: Landeschef David McAllister rühmte ihre Kompetenz, während Björn Thümler, Chef der Landtags-CDU, der Presse eine angebliche „Morddrohung“ gegen Grotelüschen präsentierte. Der Staatsschutz ermittelte.

Den Brief, der bei der Fraktion eingegangen war, hatte indes kein militanter Tierschützer verfasst, sondern dem Vernehmen nach ein verwirrter Vielschreiber. „Das Verfahren wurde eingestellt“, erklärte gestern die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage.

Ob die jüngsten Vorwürfe Grotelüschen zum Rücktritt bewegen, ist keineswegs sicher: Wie ihr Ministerium gestern mitteilte, will sich die Politikerin mit juristischen Mitteln gegen die Berichterstattung des NDR wehren. Ministerin Grotelüschen habe eine Strafanzeige gegen unbekannt gestellt, sagte ein Sprecher – wegen Verleumdung und übler Nachrede. Voraussichtlich am heutigen Freitag werde diese Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Hamburg eingehen.

Ebenfalls heute wird es in einer Anhörung im Landtag um den Tierschutz in der Geflügelindustrie gehen. Laut ihrem Sprecher ist die Ministerin nicht dabei. Indes will sich möglicherweise McAllister zur Zukunft Grotelüschens äußern. Aus CDU-Kreisen hieß es: „Die Situation ist sehr kritisch.“ BES