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Außenpolitik als innenpolitisches Poker

Mit der Entsendung von Soldaten nach Bosnien übernimmt die US-Regierung wieder einmal die Rolle des Weltpolizisten. Dabei sind Auslandseinsätze in den USA ziemlich unbeliebt  ■ Aus Washington Andrea Böhm

In den Stand der Friedensengel erhoben zu werden ist nicht das Schlechteste, was einem US-amerikanischen Präsidenten passieren kann – noch dazu kurz vor Weihnachten. Trotz der prekären Verkehrsverhältnisse in Frankreich hat Bill Clinton am Donnerstag in Paris die vorerst letzte Perle für seine Kette außenpolitischer Vermittlungserfolge eingesammelt: die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens, offiziell auch „Allgemeines Rahmenabkommen für Frieden in Bosnien-Herzegowina“ genannt.

Daß es sich hierbei eher um einen Befriedungsversuch zum Erhalt eines ethnisch segregierten Bosniens handelt, haben Kommentatoren aus allen politischen wie geographischen Ecken in den letzten Wochen hinlänglich analysiert. Doch ändert das nichts daran, daß es ausgerechnet der als Zauderer verschriene Bill Clinton war, der der bosnischen Bevölkerung wenigstens die Chance auf einen Frieden in Aussicht gestellt hat.

Was man im Ausland als neue Lust der USA an der alten Führungsrolle interpretieren mag, hat die US-Amerikaner selbst in eine tiefe und streitbare Konfusion über ihre Rolle in der Welt gestürzt – nicht zuletzt verschärft durch den Umstand, daß zwanzigtausend ihrer Soldaten bei der Umsetzung dieses brüchigen Friedens mithelfen sollen.

In Lokalblättern ebenso wie in der New York Times oder Newsweek findet der Leser dieser Tage Abbildungen der Minensuchgeräte, Beschreibungen der soldatischen Winter-Unterwäsche und der Gewehre, mit denen sich US- Soldaten gegen jede Bedrohung sofort wehren dürfen. Doch selbst solche Details haben in der Öffentlichkeit kaum Enthusiasmus für diese Mission in eine „Hölle aus Kälte, Minen und schlechten Straßen“ (Newsweek) geweckt.

Widerstand gegen die Entsendung von Truppen gab es auch vor dem Golfkrieg gegen den Irak, doch der schlug bald in Patriotismus und Kriegsbegeisterung um. „Schließlich“, sagt der Psychologe und Historiker Robert Jay Lifton, „ging es um Ruhm und Ehre für das Vaterland.“ Dieses Mal geht es „nur“ um eine Friedensmission ohne erkennbares „nationales Sicherheitsinteresse“ für die meisten US-Bürger. Entsprechend bewegt sich die Debatte, so Lifton, zwischen zwei „typisch US-amerikanischen Polen: dem Bedürfnis, das moralisch Richtige zu tun, und dem ungeheuren Mißtrauen gegenüber der Außenwelt und ihren Problemen und Konflikten“.

Wer diese Debatte in Kneipen, Kirchen oder auf dem Capitol mitverfolgt, kann unmittelbar nur zu einem Schluß kommen: Was immer die ausschlaggebenden Motive für Clintons Wende hin zu einer konsequenten Bosnien-Politik gewesen sein mögen, wahlkampftaktische Gründe waren es nicht – auch wenn ihm das viele Kritiker immer noch unterstellen. Ein Erfolg der Mission – also der Abzug der meisten US-Soldaten in möglichst unversehrtem Zustand innerhalb eines Jahres bei einem gleichzeitig anhaltenden Frieden in Bosnien – garantiert Clinton keineswegs den Jubel der Wähler zu Hause. Denn die interessieren sich auch im kommenden Wahljahr vor allem für die Krise ihrer eigenen Gesellschaft, nicht für die anderer Länder. Endet der Einsatz in einem Desaster – also mit Fernsehbildern toter US-Soldaten, die an den Bombenanschlag gegen US- Marines in Beirut oder an Szenen aus Mogadischu erinnern –, so sinken des Präsidenten derzeit gute Chancen auf eine zweite Amtszeit gen Null. Bill Clinton, so schrieb der Londoner Economist kurz nach der Paraphrasierung des „Dayton-Abkommens“, habe das Pokerspiel seines Lebens angetreten und „seine Präsidentschaft auf ein brüchiges Friedensabkommen verwettet“.

Warum? Weil die Alternative noch viel riskanter erscheinen mußte. Die Clinton-Regierung sah sich nach der serbischen Eroberung des UN-Schutzzonen Žepa und Srebrenica mit dem „Alptraumszenario“ konfrontiert, US- Soldaten nach Bosnien schicken zu müssen, um den Rückzug der UN- Truppen aus einem Kriegsgebiet zu sichern. Die Kämpfe wären weitergegangen, die UNO restlos kompromittiert worden und die Gefährdung der US-Soldaten weitaus größer gewesen. Da erschien es nicht nur als das kleinere Übel, sondern auch als die bessere Politik, eine „Pax Americana“ (Washington Post) durchzuboxen. Letztendlich, so kommentierte die Zeitschrift The New Republic jüngst in einem Leitartikel, „kamen die USA endlich wieder zur Besinnung und demonstrierten, daß sie die einzige Nation sind, um solche Verbrechen zu stoppen, die nicht nur eine Schande für den Westen, sondern auch eine Bedrohung seiner Stabilität darstellen“.

So manchem europäischen Minister dürfte bei dieser Lektüre der Kamm schwellen, doch angesichts des eklatanten Versagens der Europäischen Union im Fall Bosnien wird er sich bissige Kommentare verkneifen müssen. Nichts wird in der US-Presse derzeit mit mehr Genuß und Häme zitiert als der luxemburgische Außenminister Jacques Poos, der 1991 im Namen der EG die USA aufgefordert hatte, das Problem Jugoslawien Europa zu überlassen, dessen Ära nun begonnen habe. „Dayton hat eines unwiderruflich gemacht“, schreibt The New Republic: „Europa ist politisch und psychologisch eine Illusion.“

Diese Prognose mag sich als voreilig erweisen. Dahinter steht allerdings nicht nur die berechtigte Kritik an einer inkompetenten europäischen Sicherheitspolitik, sondern auch eine fast schon hysterische Opposition gegen jede Teilnahme an einer kooperativen Sicherheitspolitik. Das willkommene Angriffsziel bietet – nicht zuletzt dank ihrer unrühmlichen Rolle in Bosnien – die UNO, die in den USA mittlerweile zum Synonym für multilaterales Chaos und geldhungrige Bürokratie degradiert worden ist.

Hatte Bill Clinton in seinem Wahlprogramm 1992 noch die Einrichtung einer schnellen Eingreiftruppe der UNO zur Verhinderung militärischer Aggression und Kriegsverbrechen gefordert, so muß er heute befürchten, daß die Vereinten Nationen am finanziellen Würgegriff der Vereinigten Staaten verenden. 1,5 Milliarden US-Dollar schulden die USA der UNO an Beitragszahlungen. Gerade erst verabschiedete der Kongreß im Alleingang, die Mittel für die UNO zusammenzustreichen. Zwar versucht die Clinton-Administration noch zu retten, was zu retten ist. Doch zu der Anti-UNO- Stimmung im eigenen Land, argumentiert Jessica Matthews vom „Council on Foreign Relations“, habe sie einiges beigetragen. „Sie hat für ihre eigenen Fehlentscheidungen in Bosnien und Somalia die UNO verantwortlich gemacht.“ Das sei Wasser auf die Mühlen all jener neugewählten, erzkonservativen Republikaner im US-Repräsentantenhaus, die sich durch eine „grundlegende und willentliche Ignoranz gegenüber Amerikas Rolle in der Welt und seinen Verpflichtungen“ auszeichnet. Die Konsequenz dieser Ignoranz könnte die Clinton-Administration schon bald in ihrem „Hinterhof“ zu spüren bekommen: In Haiti hatte eine Militärintervention der USA dem demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrande Aristide zur Rückkehr in sein Amt verholfen. Doch die UNO-Blauhelm-Mission, die schließlich das Kommando von den Amerikanern übernahm, wird wegen Geldmangels voraussichtlich im Februar beendet – obwohl die innenpolitischen Verhältnisse des Landes die weitere Präsenz der Blauhelme dringend notwendig erscheinen lassen.

Nirgendwo wird die von Matthews kritisierte „Ignoranz“ deutlicher als in der Frage der zivilen Wirtschafts- und Entwicklungshilfe der USA. Zwar macht die gesamte Auslandshilfe im letzten Haushaltsjahr mit insgesamt 13,6 Milliarden US-Dollar weniger als ein Prozent des Bundeshaushalts aus. Doch selbst das ist in den Augen der Republikaner, allen voran des Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Senat, Jesse Helms, zuviel. Entwicklungshilfe verschwindet nach Ansicht von Helms „in irgendwelchen Rattenlöchern“, weshalb nun ein Viertel der Mittel gestrichen werden sollen. Am härtesten betroffen sind afrikanische Länder, aber auch internationale Programme zu Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, Schulbildung oder humanitärer Hilfe. Eine hitzige Debatte über Auslandshilfe könnte im US-amerikanischen Kongreß auch nach den Wahlen in Rußland wieder aufflammen, wenn die US-Administration erneut in Rechtfertigungszwang für ihre Pro-Jelzin- Politik geraten dürfte.

Alles, was zur Friedenssicherung beitragen könne, empört sich Matthews, werde zusammengestrichen – „mit Ausnahme des Militärs“. Den diesjährigen Haushalt für das Pentagon, in dem die republikanische Kongreßmehrheit dem Verteidigungsministerium zu den geforderten 220 Milliarden US- Dollar noch 7 Milliarden dazu spendierte, hat Präsident Clinton trotz seines ursprünglichen Protestes bereits genehmigt. Andernfalls, so befürchtete das Weiße Haus, würde der Kongreß die Finanzmittel für den Bosnien-Einsatz blockieren.

Über den Beitrag des Militärs zur Friedenssicherung – oder die immanente Unmöglichkeit eines solchen – kann man sich bekanntermaßen auf vielen Ebenen streiten. Einen krassen Widerspruch zu seiner Politik der humanitären Intervention (Haiti) und Friedenssicherung (Bosnien) schafft Bill Clinton jedenfalls durch den steigenden Export von Rüstungsgütern. Gerade weil das Pentagon aufgrund der Budgetkürzungen der letzten Jahre weniger Waffen aus US-Produktion bestellen und bezahlen kann, konzentrieren sich Rüstungsfirmen mit tatkräftiger Unterstützung seiner Administration auf das Exportgeschäft. Häufig bezahlen ausländische Regierungen Waffen aus den USA mit der Militärhilfe, die Washington jährlich bewilligt. Als Boom- Markt gilt vor allem Ostasien, dessen Nationen sich aus Angst vor China mit Produkten made in USA hochrüsten. Zu den treuesten Kunden zählt neben Saudi-Arabien, Israel und Ägypten auch die Türkei, die sich für den Krieg gegen die Kurden im eigenen Land unter anderem mit US-Kampfhubschraubern eindeckte. Mit diesem Aspekt seiner Außenpolitik hat Clinton allerdings am wenigsten Schwierigkeiten, wenn es darum geht, öffentliche und parlamentarische Unterstützung zu suchen.

Der grundsätzliche Konflikt, so schreibt der Politologe und Außenpolitik-Experte Ronald Steel in der Zeitschrift Atlantic Monthly, bestehe vielmehr darin, daß das Selbstverständnis der politischen Elite über die Rolle Amerikas sich immer weiter vom Selbstverständnis der amerikanischen Bürger entferne. „Seit dem Beginn des Kalten Krieges, als das Establishment die Öffentlichkeit zu einer Politik des globalen Aktivismus unter dem Banner des Antikommunismus mobilisiert hat“, sei der Graben nicht mehr so tief gewesen. Steel zeichnet das Bild einer Gesellschaft, deren soziale und ökonomische Probleme ihren Anspruch auf eine internationale Führungsrolle längst unterminiert haben. „Eine Nation, die von Drogen, Waffen und Gewalt geplagt wird, in der sich soziale Klassenunterschiede rassische Spannungen und allgemeine Unsicherheit zunehmend verschärfen, ist ein schwacher Akteur auf der Weltbühne.“

Das „Ende des amerikanischen Jahrhunderts“ hat Steel deswegen vorausgesagt. Vorerst noch nimmt man die Hilfe und Vorstöße dieses schwachen Akteurs noch ganz gern in Anspruch – ob in Nordirland, Bosnien oder im Nahen Osten.

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