: Happening beim Kanzler-Spatenstich am Reichstag endete mit Freispruch
Wie wichtig Videomitschnitte bei gewaltfreien Aktionen sind, konnte gestern am Amtsgericht Tiergarten verfolgt werden. Tatort war der die Paul-Löbe-Straße vor dem Reichstag anläßlich des ersten Spatenstichs des Kanzlers für den Tiergartentunnel am 13. Oktober des letzten Jahres. Zwei Mitglieder der Umweltschutzorganisation Robin Wood fuhren mit einem gemieteten Lkw langsam zum Reichstag vor, um mit lautstarkem „Money, Money, Money“ von Abba gegen den milliardenteuren Tunnelbau zu protestieren.
Für die Staatsanwaltschaft sah die Wirklichkeit anders aus: Laut den Aussagen der Polizei und Wachschützer sei der Lkw „mit Speed um die Ecke geschossen“. Zumindest einer, wenn nicht mehrere Wachschützer hätten sich „nur mit einem Hechtsprung“ retten können, bezeugten die privaten Wachmänner sowie sinngemäß auch Polizeibeamtin Thea B. samt Kollegen im Vernehmungsprotokoll. Die Staatsanwältin glaubte den Aussagen der ZeugInnen und ermittelte wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr – versuchte Körperverletzung mit einem Lkw – sowie Widerstands gegen die Staatsgewalt. Doch vor Gericht war dann gestern doch alles ganz anders.
Dafür sorgte ein von der Medienwerkstatt Tiergarten gedrehter Videofilm von der Einfahrt des Lkw in den abgesperrten Bereich vor dem Reichstag. Auf den Bildern war zu sehen, daß der Laster in schnellem Schrittempo fuhr. Der „Hechtsprung“ war in Wirklichkeit nur ein „Wechselschritt“ von einem Bein aufs andere, und die Sicherheitskräfte ließen den Lastwagen unkontrolliert einfahren.
Trotz der eindeutigen Videobilder blieb die Polizistin Thea B. bei ihrer Aussage, was der Verteidiger im Plädoyer als „Falschaussage“ bezeichnete. Die Richterin wollte sich dieser Einschätzung nicht anschließen, sondern nannte psychologische Gründe wie die angespannte Situation als Ursache der offensichtlich falschen Wahrnehmung.
Ob es nun der Druck der Vorgesetzten war oder die Situation die Wahrnehmung eingeschränkte, wäre für die beiden Angeklagten allerdings egal gewesen: Ohne das Video wären sie auf jeden Fall verurteilt worden. T. Bünning
Foto: Rolf Zöllner
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