Gericht beklagt Verzögerungstaktik

■ Mykonos-Prozeß: Gericht wirft Iran Verfahrensbeeinflussung vor. Vom iranischen Expräsidenten Bani Sadr benannter Zeuge packt vor der Bundesanwaltschaft über Teheraner Mordbeteiligung aus

Im Mykonos-Prozeß hat das Kammergericht der iranischen Regierung erstmals unmißverständlich vorgeworfen, sie wolle das Verfahren beeinflussen. Der Vorsitzende Frithjof Kubsch sprach gestern von einer „Verzögerungstaktik“ Teherans, der der Strafsenat nicht folgen werde. Das Gericht lehnte deshalb die weitere Vernehmung eines mutmaßlichen Entlastungszeugen der Verteidigung durch Angehörige der deutschen Botschaft in Teheran ab. Diese Anhörung war vom Iran überraschend im Juni – kurz vor Beginn der Schlußplädoyers der Bundesanwaltschaft in dem dreijährigen Verfahren – angeboten worden.

Unterdessen deutet sich eine weitere Zuspitzung um den Prozeß um die Ermordung von vier kurdisch-iranischen Oppositionspolitikern im September 1992 an. Vor der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erschien gestern ein Zeuge, den der frühere iranische Staatspräsident Abol Hassan Bani Sadr in seinen Vernehmungen vor dem Kammergericht benannt hatte.

Dieser Mann hat nach der Aussage Bani Sadrs direktes Wissen über die Verwicklung der iranischen Staatsspitze – insbesondere des religiösen Führers Ali Chamenei und des Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani – in den Anschlag. Die Quelle muß nach der Aussage des Exilpolitikers früher im iranischen Geheimdienst VEVAK gearbeitet haben.

Nach Angaben des Vertreters der Bundesanwaltschaft soll die Anhörung des Zeugen bis Freitag dauern. Nach Ansicht von Verfahrensbeteiligten rechnet die Bundesanwaltschaft angesichts dieser Terminierung mit einer substantiellen Aussage. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft sagte, daß der Zeuge im Ermittlungsverfahren gegen den iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahijan angehört werden sollte. Ob der Mann bereits Angaben gemacht hat und welchen Inhalts diese gegebenenfalls waren, konnte der Vertreter der Bundesanwaltschaft nicht sagen.

Gegen Fallahijan liegt seit Mitte des Jahres ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs wegen dessen Beteiligung am Mykonos-Attentat vor. Der Vorsitzende Kubsch erklärte, daß das Gericht sich bemühen werde, den Zeugen auch im Prozeß zu hören, falls er wichtige Angaben bei der Bundesanwaltschaft machen sollte.

In der Sitzung lehnte es der 1. Strafsenat ferner ab, den Haftbefehl gegen den angeklagten Iraner Kazem Darabi aufzuheben. Darabi war laut Anklage einer der Drahtzieher des Anschlags in dem Berliner Lokal. Er soll Agent des iranischen Geheimdienstes gewesen sein. Der Zeuge, der nun nicht im Iran vernommen wird, sollte ursprünglich bereits Mitte August in der deutschen Botschaft angehört werden. Er war dem zu derm Termin aber ohne Entschuldigung nicht erschienen. Später hatte er angegeben, er sei damals nicht in die Botschaft eingelassen worden.

Dem deutschen Botschafter sei vom iranischen Außenministerium die Schuld daran gegeben worden, daß der Zeuge nicht vernommen werden konnte. Das Gericht bescheinigte aber der Botschaft korrektes Verhalten. „Den offensichtlichen Versuchen von dritter Seite, den Verfahrensgang zu beeinflussen, versagt der Senat seine Mitwirkung“, sagte Kubsch. dpa