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Weg vom "engen ABM-Korsett"

■ Unter dem Druck der Arbeitsmarktpolitik muß der Vorzeigebetrieb Atlantis teilweise von seinen Unternehmenszielen Abschied nehmen. Aufteilung in einen Markt- und einen ABM-Betrieb

Umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen mit der Förderung von Arbeitslosen zu verknüpfen – das war das Ziel des ökologisch-sozialen Vorzeigebetriebs Atlantis in Kreuzberg bei seiner Gründung 1989. Doch das Unternehmensziel läßt sich sieben Jahre später immer weniger verwirklichen. Schuld daran sei, so der Atlantis-Geschäftsführer Uwe Gluntz, die heutige Arbeitsmarktpolitik. Sie erschwere zunehmend die Verbindung von AB-Maßnahmen und der Herstellung umweltfreundlicher Anlagen. „Wir können mit den ABM-Kräften kaum noch produktiv arbeiten“, so Gluntz' ernüchterndes Fazit.

Für Kreuzberg mit seiner hohen Arbeitslosigkeit sei ein Unternehmen wie Atlantis die richtige Strategie, dachten sich Bezirksamt und Arbeitsverwaltung Ende der 80er Jahre. Die Produktion von Sonnenkollektoren für die Warmwasserherstellung und Photovoltaikanlagen (die Sonnenenergie in Strom umwandeln) sollte einen Ausgleich schaffen für die Vernichtung von Arbeitsplätzen im Bezirk. ABM-Kräfte sollten neue Produkte für einen aufstrebenden Markt fertigen, anstatt jahrelang in aussichtlosen Warteschleifen zu hängen. Allerdings: Eine ernsthafte Konkurrenz zu „normalen“ Betrieben darf das gemeinnützige Atlantis aufgrund der ABM-Bestimmungen nicht werden.

Von dieser Geschäftsidee nimmt der Betrieb heute teilweise Abschied. Geschäftsführer Gluntz nennt einen Grund: „Wir müssen zunehmend ungelernte Beschäftigte anleiten.“ Das Arbeitsamt vermittle auf die zur Zeit rund 250 ABM-Stellen bei Atlantis immer mehr und zum größten Teil ungelernte Langzeitarbeitslose. Diese könnten sich wegen der zunehmend langen Beschäftigungslosigkeit oft nur mit Mühe an geregelte Arbeit gewöhnen. Außerdem ließen ihre Fertigkeiten die schnelle Einbindung in die Produktion nur in den wenigsten Fällen zu, hat Gluntz erfahren: „Es dauert, bis sie Ständer für Solarmodule schweißen können.“ Das bestätigt auch Fred Schulz, Bereichsleiter für AB-Maßnahmen beim Arbeitsamt IV in Kreuzberg: „Die Motivation der Beschäftigten ist häufig gering, weil es nach dem Beschäftigungsjahr wenig Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt gibt.“ Dennoch sei das Interesse für AB-Maßnahmen insgesamt nach wie vor sehr hoch.

Erschwerend kommt hinzu, daß die ABM-Stellen nahezu ausschließlich nur noch für ein Jahr genehmigt werden. Bis den ABM- Leuten die handwerkliche Basis beigebracht wurde, ist das Jahr schon vorbei, und die Angelernten stehen Atlantis nicht mehr zur Verfügung. „Wir können aufgrund der kurzen Beschäftigungsdauer keine längerfristigen Aufträge planen“, klagt Atlantis-Mitarbeiter Günther Kusidlo. Die Firma am Spreeufer zieht daraus Konsequenzen: „Wir wollen unseren Arbeitsförderbetrieb mehr und mehr verselbständigen“, sagt Geschäftsführer Gluntz. Dieser Betriebsteil hat den Vorteil, daß seine Beschäftigten über zunächst drei Jahre vom Arbeitsamt gefördert werden und sich schrittweise aus dem „engen ABM-Korsett“ (Günther Kusidlo) befreien. Derzeit sind bei Atlantis 50 Beschäftigte im Arbeitsförderbetrieb. In diesem Jahr steht ein weiterer dreijähriger Förderzeitraum in Aussicht. Damit kann ein Wirtschaftsunternehmen schon eher kalkulieren und die Investitionen in Ausbildung nutzen. Zudem ist im Gegensatz zu ABM- Stellen die gewinnbringende Tätigkeit des Arbeitsförderbetriebes auf dem normalen Markt nicht verboten, sondern geradezu gewünscht. Motto: Einen Teil des Geldes liefert das Arbeitsamt, einen anderen Teil erwirtschaften die Betriebe selbst. Im Mai soll jedoch von der Arbeitsverwaltung für alle Arbeitsförderbetriebe der Stadt eine Art Zwischenbilanz gezogen werden. Günther Kosidlo befürchtet, daß diese „Revision“ nicht alle Betriebe „überstehen“ werden, auch wenn er für Atlantis keine Gefahr sieht. So „rechneten“ sich die in den Arbeitsförderbetrieben gefertigten elektronischen Schaltschränke für Windkraftanlagen bereits.

Atlantis will 1997 einen Schritt weitergehen: Man will den Arbeitsförderbetrieb als eigenständige GmbH ausgliedern und damit stärker die Gewinnorientierung ins Auge fassen. Die Firma plant, ihre Dienste verstärkt den Bezirksverwaltungen anzudienen und etwa Gewerbehöfe in öffentlichem Besitz mit ökologischen Energieanlagen auszustatten, so Uwe Gluntz. Dies werde über die Installation von Photovoltaikzellen und Blockheizkraftwerken hinausgehen. Atlantis visiert an, als Betreiber dieser Stromanlagen, mithin als kleiner Konkurrent zur Bewag, aufzutreten und damit den Gewinn zu erhöhen. Durch die stärkere interne Segmentierung zwischen marktkonformem Arbeitsförderbetrieb und ABM- Qualifizierung werden die ABM- Beschäftigten jedoch entgegen der ursprünglichen Absicht wieder in „Warteschleifen“ degradiert und bloß einige Monate aus der Arbeitsamtstatistik entfernt. Das betrachten das Bezirksamt Kreuzberg und Umweltsenator Peter Strieder (SPD) mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Die Unterteilung von Atlantis in einen unproduktiven und einen produktiven Teil erhöht die Aussichten, daß der Betrieb – ohne lästigen ABM-Balast – konkurrenzfähige Produkte anbieten kann. So ist der bündnisgrüne Bürgermeister Franz Schulz von der „hohen Flexibilität“ von Atlantis begeistert. Im Gegensatz zu „Umwelthelfern“, die nichts anderes täten, als nach „Schlaglöchern“ auf den Straßen zu forschen, sei das Unternehmen ein gutes Beispiel dafür, daß ABM-Träger nicht „stehenbleiben müssen“.

Atlantis könnte sich tatsächlich zum Katalysator für Kreuzbergs Entwicklung zum Solarbezirk mausern. Bereits im vergangenen Jahr schickte der damalige Bürgermeister Peter Strieder elf Betriebe aus dem Bezirk gemeinsam zur Hannover-Messe, um für die „Solarpolis Kreuzberg“ zu werben. Eine mögliche Zukunft für Atlantis, doch den ABM-Beschäftigten schwinden die Möglichkeiten, in diesem Prozeß am Ball zu bleiben. Hannes Koch, Julia Naumann

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