: Die Anstalt für Hoffnungslose
■ Rund 100 Lehrer diskutierten auf einer GEW-Tagung über die Zukunft der Hauptschule. Nur noch zehn Prozent aller Schüler sind Hauptschüler. Nur wenig Abschlüsse trotz des besonderen pädagogischen Profils
Hauptschule als Restschule, als Sozialstation, als „Pflichtschule für zehn Prozent Hoffnungslose“? Sollte man diese problemüberladene Einrichtung nicht besser verschwinden lassen? „Hauptschulen in Berlin – retten oder abschaffen?“ – darüber debattierten am Mittwoch etwa 100 Lehrer mit Fachleuten auf einer Tagung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Konsens: Die Hauptschule muß abgeschafft werden, im Dreierpack zusammen mit Realschule und Gymnasium. Aber an eine Kulturrevolution glaubt nach 20 Jahren Gesamtschulentwicklung keiner der Lehrer mehr. Deshalb muß die ungeliebte Hauptschule gerettet, vom Stigma der „Schulversager-Verwahranstalt“ befreit und, natürlich, reformiert werden. Nur wie?
Lehrer Jens Großpietsch von der Heinrich-von-Stephan-Hauptschule machte dann auch gleich ein paar Vorschläge aus seiner eigenen Schule: „1980 waren wir am Ende. Von 1982 an gab es zwei Jahre lang keine Schulleitung – das sollte allen Schulen im Abstand von zehn Jahren empfohlen werden.“ Statt auf eine Reform von oben zu warten, habe sich das Kollegium aus eigener Kraft mit neuen Unterrichtsformen auseinandergesetzt. Zum Beispiel jeder Klasse zwei Klassenlehrer zugeordnet, Unterrichtsvorschläge von Schülern aufgenommen, eine Schüler- GmbH eingeführt, die CD-Ständer fabriziert und T-Shirts bedruckt. Damit sei die Schule einigermaßen erfolgreich der Misere entkommen – nicht zuletzt wegen einer generellen politischen „Funkstille“ nach dem Laisser- faire-Prinzip. „Man läßt uns machen, solange es keine Katastrophen gibt“, bilanzierte Großpietsch.
Doch die Verwaltung hat sich natürlich gerächt: Als die Schule als Einrichtung mit besonderer pädagogischer Prägung angemeldet werden sollte, wurde sie von der Senatsverwaltung abgelehnt. Mittlerweile läuft der zweite Antrag.
Horst Seidel, Mitarbeiter beim Landesschulamt, kann so viel Eigeninitiative trotzdem nur gutheißen. Er stellte die Eckdaten der Hauptschule auf der Tagung noch einmal schonungslos bloß: Nur sechs Prozent der Eltern melden ihre Kinder direkt bei den Hauptschulen an, vier Prozent der Schüler rekrutieren sich durch Rückläufer aus Realschule und Gesamtschule. Ein Viertel der Hauptschüler verlassen die Lehranstalt ohne Abschluß.
37 Hauptschulen arbeiten mittlerweile mit „besonderen pädagogischen Profilen“, also reformiert. Bisher habe das aber weder bei der Nachfrage noch bei den Abschlüssen etwas verändert. Dennoch wolle die Senatsschulverwaltung diese „37 Blumen“ zu einem Strauß zusammenfassen, um daraus Ansätze für eine allgemeinere Reform zu filtern. Um den Problemdruck – hoher Ausländeranteil, soziale Schwierigkeiten, Lernbehinderungen – von den Hauptschulen zu nehmen, wünscht sich Seidel eine neue Schülerschaft durch eine Art Quotierung der Schülerzahlen bei Real- und Gesamtschulen. So könnte der Hauptschulanteil eines gesamten Jahrgangs wieder auf etwa 18 Prozent hochgefahren werden. Die Praktiker schenkten diesen Ideen jedoch nur ein mildes Lächeln.
Tilmann Kressel vom Hamburger Institut für Lehrerfortbildung brachte die frohe Nachricht von der Beseitigung des „Hauptschulsyndroms“ durch die Einführung integrierter Haupt- und Realschulen in der Hansestadt. Also quasi die kleine Gesamtschullösung. Seit 1991 laufe der Schulversuch in Hamburg, so Kessel. Besonders bewährt habe sich der gemeinsame Unterricht in den Klassen 7 bis 10. Kressel sprach auch über die Probleme der Hauptschüler. „Viele werden nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, haben eigene Überlebensstrategien entwickelt in einer Lebenswelt, von der viele ihrer Lehrer nicht einmal etwas ahnen.“ Warum also noch zur Schule gehen, wenn sich daran sowieso kein normales Arbeitsleben in der Gesellschaft anschließt?
Die Politik kam auch noch zu ihrem Auftritt, allerdings völlig belanglos. Gabriele Thieme- Duske, Grundschullehrerin und für die SPD im Abgeordnetenhaus, sprach von „vielen ermutigenden Ansätzen“, von „Schule in erweiterter Verantwortung“, bis sie gnadenlos niedergemurmelt wurde und sich die Herren und Damen Lehrer lieber in eine organisierte Pause zurückzogen, als weiter zuzuhören. Thmoas Loy
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